: Schweigen und Beten
Hildesheimer Bischof beauftragt endlich externe Experten mit der Aufklärung des Missbrauchsskandals. Ex-Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz soll Kommission leiten
Von Reimar Paul
Mit Betroffenen reden, Zeugen befragen und in Archiven recherchieren: Das sind die Aufgaben einer Expertengruppe, die die Fälle von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch im katholischen Bistum Hildesheim aufarbeiten wird. Das Team aus vier Fachleuten werde unabhängig von den Interessen des Bistums arbeiten, sagte Bischof Heiner Wilmer am Donnerstag: „Wir möchten eine offene, schonungslose und wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung des Unrechts.“
Leiterin der Untersuchungsgruppe wird die pensionierte Verwaltungsrichterin und frühere niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz. Zusätzlich zu ihrer Funktion als Obfrau soll sie Hauptansprechpartnerin für Zeitzeugen und andere Hinweisgeber sein.
Für die Archiv-Recherche ist der Leitende Oberstaatsanwalt a. D. Kurt Schrimm aus Stuttgart verantwortlich. Er leitete 15 Jahre lang die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Die Psychologen Gerhard Hackenschmied und Peter Mosser vom Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) vervollständigen die Expertengruppe. Sie sind die Hauptautoren des vor zwei Jahren veröffentlichten IPP-Gutachtens zu verschiedenen Missbrauchsfällen im Bistum.
Ausgangspunkt für die Untersuchung bilden die Missbrauchsvorwürfe zweier Betroffener gegen den langjährigen Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen, der von 1957 bis 1982 amtierte. Ein früherer Messdiener hatte ausgesagt, dass er sich vor Janssen habe ausziehen müssen. Anschließend habe ihn der Bischof weggeschickt, weil er ihn nicht gebrauchen könne. Zu Janssen gebracht und dort wieder abgeholt habe ihn der damalige Leiter des Kinderheims „Bernwardshof“ – der Priester soll den Jungen selbst missbraucht haben. Ein Hilfspriester habe sich ebenfalls an ihm vergangenen. Janssen ist seit 1988 tot, auch die beiden anderen mutmaßlichen Täter sind inzwischen gestorben.
Das IPP warf dem Bistum Hildesheim in seinem Bericht jahrzehntelange schwerwiegende Versäumnisse im Umgang mit sexuellen Missbrauchsfällen vor. Die Aufarbeitung soll nun deutlich über die Janssen zur Last gelegten Taten hinausgehen, kündigte Wilmer an. Bislang sind im Bereich des Bistums Hildesheim in den vergangenen Jahrzehnten mindestens 153 Opfer von sexualisierter Gewalt bekannt geworden. Von den 82 Beschuldigten, meist Priester, sind bereits viele gestorben.
Dem Bistum zufolge sollen die Experten auch klären, welche Rolle die Führungsebene des Bistums im Umgang mit Priestern spielte, die in der Amtszeit Janssens tätig gewesen und des sexuellen Missbrauchs beschuldigt worden sind. Ebenso soll geklärt werden, ob es ein „Beziehungsgeflecht“ der mutmaßlichen Täter untereinander gab und ob dieses mögliche Geflecht durch ein bestimmtes Personalmanagement gefördert wurde.
Im zweiten niedersächsischen Bistum Osnabrück sind 84 Missbrauchsfälle und 35 mutmaßliche Täter bekannt geworden.
Bundesweit sollen zwischen 1946 und 2017 insgesamt 3.677 Minderjährige Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche gewesen sein. Es gibt Hinweise auf 1.670 beschuldigte Kleriker.
Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode hatte sich 2010 als erster deutscher Bischof öffentlich entschuldigt.
Das Bistum Osnabrück will Priestern, die sich des sexuellen Missbrauchs schuldig gemacht haben, das Gehalt bis auf 1.000 Euro kürzen. Nach Abzug von Krankenversicherung und Miete, bliebe kaum mehr als der Sozialhilfesatz.
Die Ermittlung durch die externen Fachleute erfolge offen, versprach gestern das Bistum. Die Untersuchung soll im Jahr 2020 abgeschlossen sein. Die Resultate würden dem Bistum und der Öffentlichkeit ohne Einschränkungen in einem Bericht mitgeteilt, hieß es.
Wilmer, der seit September Bischof von Hildesheim ist, hat seine Kirche angesichts der Missbrauchsfälle schon vor Wochen zu strukturellen Veränderungen und zur Gewaltenteilung aufgefordert. „Wir müssen in der Kirche unsere Vorstellungen über sexuelle Moral neu formulieren“, sagte er. Die Abschaffung des Zölibats fordert der Bischof Wilmer aber nicht. Er halte ihn „für eine spannende Lebensform“: „Er ist unorthodox, gegen den Mainstream. Es ist aber gut, dass wir darüber reden, ob er freigestellt werden kann.“ Gleichwohl scheine „offensichtlich, dass die Kirche durch den Zölibat sexuell unreife Männer angezogen hat“.
Wilmer sprach sich zudem dafür aus, den Missbrauchs-Skandal in der katholischen Kirche international nach einheitlichen Maßstäben aufzuarbeiten. Das Problem sei, dass es zum Teil unterschiedliche Gesetze in Polen, den USA, im Kongo oder auf den Philippinen gebe. „Wir brauchen mit Blick auf den Missbrauchs-Skandal weltweit eine eindeutige Handhabe“, betonte Wilmer.
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