Unheimliches Zwischenspiel

Ist der Abgrund etwas, das man vermisst? In Maja Zades Drama „abgrund“ an der Schaubühne ist das so

Von Katrin Bettina Müller

Ein blanker Küchentresen dominiert die Bühne, Jenny König wienert seine Ecken. Sie wischt und huscht. Sie huscht als Bettina, Gastgeberin und Mutter, den ganzen Abend zwischen den Eingeladenen herum, unterbindet hier mit „noch etwas Wein“ einen Beziehungsstreit, schaut mit Freundin Sabine entzückt auf ihr schlafendes Baby, reicht Matthias (Christoph Gawenda), der in blanken Töpfen kocht, die Teller.

Eine neue Wohnung, eine Einladung von Freunden, man lobt die Suppe, den Braten, nach Nachtisch, bewundert die niedlichen Kinder. Man redet über Bücher, Filme, wer kokst und eine Wohnung verkaufen muss, wie langweilig es neulich bei den Arztehepaaren war, beide mit zwei Kindern und ohne Abgrund. „abgrund“ ist auch der Titel des Stücks, das Maja Zade geschrieben und dessen Uraufführung Thomas Ostermeier an der Schaubühne inszeniert hat.

Ostermeier erzählte in einem Pressegespräch, wie seltsam der Text ihn angefasst habe, gerade dann, wenn er dachte, das ist jetzt wie bei mir zu Hause. Maja Zade arbeitet seit 20 Jahren als Dramaturgin und Übersetzerin für die Schaubühne. Dass sie selbst auch Stücke schrieb, erzählte sie dem Intendanten nicht, aber dem Henschel-Verlag. Der publizierte zwei davon und dort entdeckte sie Ostermeier, der gleich zwei Uraufführungen von ihr einplante.

Aber über ein ironisch schmunzelndes Wiedererkennen von Manufactum-Käufern und mittelalten Kreativen, die mit der gerade erworbenen Bürgerlichkeit noch ein wenig hadern, die ein Mehr im Leben vermissen, aber doch nicht wagen wollen, das Erreichte zu riskieren, kommt die Inszenierung zu wenig hinaus.

Vielleicht muss die Begutachtung des eigenen Milieus ja auch nicht boshaft sein, aber mit etwas nicht Vorhersehbarem, mit einem Heraustreten aus den bekannten Gedanken sollte sie schon aufwarten.

Doch die Rollen sind zu schnell klar, die Stichworte verteilt. Was einem beim Sehen dennoch bei der Stange hält, sind kurze gestellte Bilder, stumme Szenen, die wie aus einem anderen Film wirken, aus einer Geschichte, in der etwas Schreckliches passiert.

Wie eine Seitentür in der Erzählung vom Abend der Freunde verdichten sich gegen Ende die Szenen, die von etwas erzählen, das im Kinderzimmer geschah. Dort tut sich endlich der Abgrund auf, den Freund Stefan so vermisste in den Biografien der sich langsam Etablierenden. Und danach gibt es nur noch ein Ringen um Worte.

Vor wenigen Tagen war der „Eissturm“, 1997 von dem amerikanischen Regisseur Ang Lee gedreht, auf Arte zu sehen. Dessen Story ähnelt „abgrund“, befreundete Paare, Partys, Verwerfungen in den Beziehungen, ein Kind ist am Ende gestorben und alle blicken mit Schrecken auf das, was sie eben noch zu sein vorgaben. Auch bei Ang Lee geht es um den Blick auf Oberflächen; was sie verdecken, ist nicht ausbuchstabiert. Aber seine Figuren haben dennoch jene Komplexität, die den Bühnenfiguren bei Maja Zade fehlt.

Vielleicht liegt das daran, dass ihr Text sich Abstraktionen leistet. Die Dialogzeilen sind keinen Personen zugeordnet, Begriffe wie „decken“, „poly was“, „kinderzimmer 3“, „nichts“ schaffen etwas wie Kapitelüberschriften, in der Inszenierung erscheinen sie als Schriftbild. Das suggeriert eine Offenheit, wie bei einem Puzzle seien unterschiedliche Konstellationen auszuprobieren. Ostermeiers Inszenierung erzählt ja auch simultane Varianten. Aber dennoch bleibt der Eindruck haften, dass das Unglück am Ende hier nur dramaturgischer Kniff ist, um davon abzulenken, dass nach den Sprechblasen nicht mehr viel kommt.

Wieder am 17./19./21. + 22. 4.