piwik no script img

Archiv-Artikel

„Die Großen vor Augen“

Der Bremer Jugendknast hat eine neue Bleibe – in einem der ältesten deutschen Gefängnishäuser. Hinter den 150 Jahre alten Eisengittern des einstigen Frauengefängnisses in Oslebshausen sitzen heute rund 60 junge Männer ein. Eine Zeitreise von Eva Rhode (Text) und Kathrin Doepner (Fotos)

Eine neue Ära ist angebrochen. „Die bleierne politische Wolke ist endlich weg.“ Wie ein Aufatmen klingen die Worte der Sozialarbeiterin im Bremer Jugendvollzug. Acht VollzugskollegInnen im Konferenzzimmer nicken. „Wir blicken nach vorne“, sagt auch die Schulleiterin. Nach vorne, das heißt, die 60 Insassen zwischen 14 und 24 Jahren fürs Alltagsleben draußen so fit zu machen, dass sie hier nie wieder herkommen – hinter die feuchten Backsteinmauern, in die muffigen Zellen mit dem Klo zwei Meter vom Bett. Die Helfer sind sich einig: Das ist schwere Arbeit. „Wer zu uns kommt, hat schon alle Vorstufen zur Haftvermeidung durchlaufen.“

Auch die Bediensteten haben in den vergangenen Jahren einiges durchlaufen. „Ich wollte nicht gerne nach Oslebshausen“, sagt die Schulleiterin. „Aber jetzt sind wir gerne hier.“ Ein Nicken geht durch die Runde, die Vollzugsleiter Reinhard Peter zu einer Art 100-Tage-Bilanz zusammengerufen hat. Seit April ist der alte Flachbau im Blockland endgültig dicht, die zeitweise 80 Jugendstraftäter aus Niedersachsen sind wieder weg. Übrig geblieben sind rund 60 Bremer Jugendliche. Großstadtgewächse. 40 von ihnen bereits verurteilt.

„Die letzten sieben Jahre wurde die Belegschaft im Jugendgewahrsam verarscht“, blickt ohne jede Diplomatie nur Personalrat Axel Janzen auf die „bleierne Wolke“. Erst wechselten ständig die AnstaltsleiterInnen, dann kamen die inzwischen eingestampften Pläne von einem Umzug nach Hameln auf. Die Affäre endete schließlich in Haus IV, einem uralten Backsteinbau, dessen kleine Fenster sich problemlos zerschmeißen lassen, so dass der Wind in die hohe Halle vor den Zellentüren pfeift. Ein Szenario, in dem sich leicht ein atmosphärisch glaubwürdiger Mafia-Streifen drehen ließe.

Anwälte und Jugendrichter hatten diesen Ausgang der hochfliegenden Pläne für einen großen Knastneubau schon lange als „Bremer Billiglösung“ befürchtet. Zu Recht. Die Vorschläge der Roland Berger Unternehmensberater für einen Knastneubau waren nicht finanzierbar. Nun fordern die juristischen Fachgremien als politisches Minimalzugeständnis wenigstens einen eigenen Anstaltsleiter für die Jugendhaft – als echten Interessenvertreter einer besonderen Klientel, die hinter den 150 Jahre alten Gittern doch erzogen werden soll. Weswegen die Juristen auch immer auf das Trennungsgebot zwischen jugendlichen und erwachsenen Straftätern pochten. Doch um die einstige Drohung, gegen einen Jugendknast hinter den Mauern des Erwachsenenvollzuges notfalls zu klagen, ist es still geworden: Die Schlachten sind entschieden. Wenigstens bleiben die jungen Strafgefangenen nun in Bremen. Auch ein paar Arbeitsplätze sind damit verbunden – und die Resozialisierung vor Ort.

Bis zur Entlassung allerdings ist es für manche Gefangene ein harter Weg. „Das Haus IV war doch nur eine Notlösung. Das ist drinnen angekommen“, sagt Rechtsanwalt Thomas Holle. „Die Großen vor Augen“ – die Insassen im Erwachsenenvollzug, über dessen Hof der Weg zum Jugendknast führt – trage zu Perspektivlosigkeit bei. Dazu die hohen Hürden, um in den offenen Vollzug zu kommen. „Die Entlassungsvorbereitung war früher besser“, sagt nicht nur Holle. Dabei ist der Personalschlüssel seit langer Zeit zum ersten Mal zufriedenstellend – auch wenn von 20 Stellen drei unbesetzt sind.

Nasal K., in Haft wegen Körperverletzung, sieht die Lage dennoch gelassen. Der 20-Jährige mit dem Igelschnitt hofft auf Entlassung im Oktober – und dann auf einen Ausbildungsplatz zum Altenpfleger. Er kennt nur das alte Jugendgefängnis im Blockland, als es schon voll im Niedergang war. Dagegen ist „Haus Cäsar“, seine Etage, wohin nur erfolgreiche Insassen gegen Haftende kommen, doch Gold. In rot und rosa hat er liebevoll seine Zelle dekoriert. Manchmal hat er Ausgang in die Stadt. „Von den anderen Gefangenen und von Ärger halte ich mich aber fern“, sagt er. Die übersichtliche Betreuungslage wegen vieler aufgelaufener Überstunden beim Personal stört ihn nicht: „Ich weiß klar, wer mein Ansprechpartner ist.“

Auch die Perspektiven der Beschäftigten sind klarer geworden – im wahrsten Sinne: Vom ebenerdigen Flur aus können sie alle 40 Gefangenen in Haus IV auf einmal in den Blick nehmen, wenn die nicht, wie oft, gerade auf Zelle eingeschlossen sind und ihr überlaufendes Testosteron mit lautem Brüllen durch rückwärtige Fenster abbauen. Zum Leid der Nachbarn, die noch Glück haben, weil dieses Haus mit seinen drei nach innen offenen Etagen auch weitere 20 Gefangene fassen würde. Zwar hatte der Förderkreis gefordert, „Inseln“ zwischen den Balkonen auf den Etagen einzubauen – als Treffpunkte. Die aber wurden nicht genehmigt. Die dazugehörige Zwischendecke hätte die Sicht – und damit die Überwachung per Fernblick – blockiert. „Verwahrvollzug“ nennen böse Zungen das Ergebnis.

Schon von fern erkennen Vollzugsbeamte jeden Regelverstoß. Der nachlässig gegen die geweißte Wand gestemmt Fuß zum Beispiel. Ermahnung, Einschluss auf Zelle oder Ausschluss vom beliebten Sport gehören zum Disziplinierungskatalog. Wer einen Koller kriegt, der landet im Bunker mit Glasbausteinen statt Fenstern. Neu ist, dass im Alarmfall Kollegen aus anderen Häusern anrücken – in Sicherheitsmontur und sehr schnell. „Da ist die Nähe zum Erwachsenenvollzug ein Segen“, sagt ein Beamter im Jugendvollzug. „Ich brauche nicht selbst Gewalt anwenden und kann dem Jugendlichen am nächsten Tag anders gegenüber treten.“ Wo er doch ständig Gewaltfreiheit predige. „Dass der Jugendvollzug ohne Anti-Aggressionstraining läuft, ist ein Unding“, heißt es unterdessen beim Förderkreis Jugendvollzug. Immerhin sitzen 40 Prozent der Jugendlichen wegen Körperverletzung. Auch andere Trainingsmaßnahmen seien überfällig.

„Dissoziale, verwahrloste Leute. Der Bodensatz dieser Gesellschaft“, nennt Vollzugsleiter Peter seine Schützlinge, die meist eine Karriere als Schulvermeider hinter sich haben. „Im Knast bekommen sie 110 Euro dafür, dass sie am Unterricht teilnehmen. Fürstliches Geld.“ 24 Jugendliche machen sich derzeit in drei völlig heterogenen Klassen mit den Grundrechenarten und Lesen und Schreiben vertraut. „Viele haben ein hohes verborgenes Intelligenzpotenzial“, sagt die Schulleiterin, immer bereit, auch kleine Fortschritte wertzuschätzen. Ihre Elite – das sind die wenigen, die den qualifizierten Hauptschulabschluss schaffen. Nasal K. gehört dazu.

Ihm droht mit dem Ende der Strafe eine neue Härte. „Vor ein paar Jahren gab es noch doppelt so viele Fördermöglichkeiten nach der Entlassung“, sagt Holger Ahrens von der Hans Wendt-Stiftung, die viele Haftentlassene betreut. „Die würden ihr Leben sonst gar nicht auf die Reihe kriegen.“ Diesen Kandidaten in einer überbetrieblichen Ausbildung nur eine Chance zu geben, sei zu wenig. „Wenn der Berufsberater denen sagt: Wenn du das abbrichst, hast du keine Chance mehr, verstehen die das gar nicht“, sagen auch seine KollegInnen. „Eigentlich müsste man unsere Jugendlichen offensiv auf die Arbeitslosigkeit vorbereiten“, sagt jemand. Die anderen nicken. Eva Rhode