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Das Regime in Algerien spielt auf Zeit

Der Abgang des langjährigen Staatschefs Abdelaziz Bouteflika zieht sich hin: Bis Ende April will der 82-Jährige zurücktreten. Im Hintergrund übernehmen andere die Macht

Vieles ist offen, doch eins ist sicher: Bouteflika befindet sich in den letzten Wochen seiner Präsidentschaft Foto: Sidali Djarboub/ap

Aus Tunis Sofian Philip Naceur

Algeriens Staatsführung setzt weiter auf einen langsamen, von ihr kontrollierten Übergangsprozess. Damit versucht sie, allzu umfassende Konzessionen an die Protestbewegung zu vermeiden, die seit Mitte Februar gegen Präsident Abdelaziz Bouteflika auf die Straße geht. In einer Erklärung des Präsidentenpalastes ließ der 82-Jährige am Montagabend ausrichten, er werde noch vor dem offiziellen Ende seiner Amtszeit am 28. April zurücktreten. Vorher müsse er noch „wichtige Maßnahmen ergreifen“, um das „Funktionieren staatlicher Institutionen während der Übergangsperiode zu gewährleisten“.

Erst vergangene Woche hatte Armeechef und Vize-Verteidigungsminister Ahmed Gaid Salah die Anwendung von Artikel 102 der Verfassung gefordert und damit die Marschrichtung vorgegeben. Laut Verfassung wird der Vorsitzende des Oberhauses des Parlamentes als Interimspräsident eingesetzt, wenn der Staatschef aus gesundheitlichen Gründen für amtsunfähig erklärt wird oder selbst zurücktritt. Der seit 2002 amtierende Präsident des Oberhauses, Abdelkader Bensalah, müsste dann innerhalb von 90 Tagen eine Präsidentschaftswahl abhalten. Bei diesen dürfte er selbst zwar nicht antreten, doch mit ihm würde ein seit Langem auf Algeriens politischer Bühne stehender Akteur den politischen Übergangsprozess organisieren – sehr zum Unmut der Protestbewegung.

Ob ein solcher Schachzug der Mobilisierung in Algeriens Straßen den Wind aus den Segeln zu nehmen vermag, ist zu bezweifeln. Sowohl Armeechef Salah als auch Bensalah sind zuletzt selbst zur Zielscheibe der weiterhin konsequent friedlichen Protestbewegung geworden, gelten doch beide als Vertreter der alten Ordnung. Während Salah der Regimefraktion Bouteflikas zugerechnet wird, entstammt Bensalah der vormaligen Regierungspartei RND des ehemaligen Regierungschefs Ahmed Ouyahia, der Mitte März abgesetzt wurde. Ouyahia und die RND gelten als zivile Aushängeschilder einflussreicher Seilschaften im Sicherheitsapparat, die von einem Sturz Bouteflikas profitieren dürften.

Erst am Sonntag hatte der am 11. März neu ernannte Regierungschef Noureddine Bedoui nach dreiwöchigen Konsultationen ein neues Kabinett vorgestellt. Nur sechs der 27 Minister blieben auf ihren Posten. Neu besetzt wurden unter anderem das Außenministerium, Finanzministerium, Innenministerium und Energieministerium. Armeechef und Vize-Verteidigungsminister Salah bleibt jedoch in seinen Ämtern.

Der „Clash of Clans“ im algerischen Machtapparat tritt jetzt in seine heiße Phase

Doch wenige Stunden nach der Ankündigung zogen erneut Tausende Demonstranten durch das Zentrum von Algeriens Hauptstadt Algier und machten deutlich, was die Protestbewegung von derartigen Manövern hält: nichts. Die Demonstranten fordern einen echten politischen Wandel und eine Übergangsphase ohne die alte Garde im Machtapparat.

Eine solch radikale Lösung ist jedoch unrealistisch und gefährlich zugleich. Denn so würde die Bewegung selbst zur Zielscheibe mächtiger Fraktionen im Staatsapparat, die bereits eifrig daran arbeiten, Bouteflikas Clan von der Macht zu verdrängen und dessen Platz einzunehmen.

Jüngstes Anzeichen dafür, dass ein solcher „Clash of Clans“ derzeit in seine heiße Phase tritt, ist die Verhaftung von Ali Haddad. Der einflussreiche Geschäftsmann und Bouteflika-Verbündete wurde am Samstag beim Versuch verhaftet, sich nach Tunesien abzusetzen. Er und elf andere mit Bouteflikas Clan verbündete Oligarchen – darunter Mitglieder der einflussreichen Kouninef-Familie – haben Reisesperren bekommen, die inzwischen behördlich bestätigt worden sind. Ein Gericht in Algier hat bereits Untersuchungen wegen Korruption und unerlaubtem Kapitaltransfer ins Ausland gegen die Gruppe eingeleitet, allerdings bleibt es offen, wie konsequent sie juristisch belangt werden.

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