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Geld oder Leben

Mit William Bolcoms Oper „Gier nach Gold“ feiert das Bremerhavener Theater die deutsche Erstaufführung eines am Kapitalismus krittelnden Westerns: etwas beliebig, aber schön

Von Jens Fischer

Fußballtrainer brüllen sie bei ihren Schutzbefohlenen wach: die Gier nach Ballbesitz, Torschüssen und Siegen. Gierig zu bleiben in den Hierarchiestrukturen des Arbeitgebers raten Karrierecoaches. Und Evolutionstheoretiker erklären die Überlebens- und Sexgier als erfolgreiche Strategie der Arterhaltung. Nur triebhafte Gier, nach immer mehr materiellen Reichtum, hat einen miesen Ruf – und wurde mit ihrem zwanghaften Zwilling, dem Geiz, in die Top 7 der Todsünden aufgenommen, weil sie entzivilisiert und asozialisiert. Gier ist das unkaputtbare Kraftwerk des Kapitalismus. Das kritisierte Autor Frank Norris bereits zur vorletzten Jahrhundertwende, als sich das Recht des Stärkeren immer seltener mit der Waffe, zunehmend mit Geld durchsetzen ließ. „Gier nach Gold“ ist die deutsche Ausgabe seines naturalistischen Abrechnungsromans betitelt, den der US-amerikanische Komponist William Bolcom nach dem Ende der ­Reagan-Ära zur Vorlage für seine erste Oper nahm. Das Stadttheater Bremerhaven präsentiert die deutsche Erstaufführung.

Ende des 19. Jahrhunderts ist die Kolonisierung des Wilden Westens abgeschlossen, der amerikanische Traum lebt im wachsenden urbanen Wohlstand. Regisseur Matthias Oldag lässt den Opernchor daher immer wieder hin und her flanieren in porentief rein gewaschenen Siedlerkostümen und mit Speisen auf Silbergeschirr. Nur Trina fällt aus dem Wirtschaftswunderoptimismus. Ein abgebrochener Zahn bringt die verklemmte Bürgerstochter ins existenzielle Zweifeln: Ist ihre Schönheit als Verkaufshit auf dem Heiratsmarkt für immer ruiniert? Sie besucht Zahnarzt McTeague (James Allen Smith), der sich in einem Anfall von todsündigem Hochmut einen goldenen Zahn als Werbeschild vor seine Praxis gehängt hat und behauptet, mit bloßen Fingern Zähne ziehen zu können.

Der extrem schmerzempfindlichen Trina spendiert er aber eine Vorzugsbehandlung unter Vollnarkose – und kann dann nicht anders, als in fulminanter Tenorseligkeit loszuschmettern, von der Todsünde Wollust ergriffen zu sein angesichts des leblosen Trina-Körpers. Aber es folgt keine psychotherapeutische Beratung wegen Nekrophilie, sondern die Heirat.

Alle reden von Liebe. Dann gewinnt Trina 5.000 Golddollar in der Lotterie. Ihr Exfreund artikuliert Todsünde 5, den Neid, und bringt McTeague um seinen Job. Aber Trina gibt dem schnell verarmten Gatten keinen Cent, sondern hortet den Reichtum wie einen Fetisch. Sie liegt im Bett, begießt sich mit ihren Goldmünzen und artikuliert eine geradezu ekstatische Lust, die Taler an ihrem ganzen Körper zu spüren. Die Magie des Goldes ist die Kraft, sich per Kaufakt in Güter und Dienstleistungen aller Art verwandeln zu können. Dieses Potenzial will Trina nicht nutzen, sondern bewahren, feiert statt Konsumexzessen ihren obsessiven Geiz. Die Folgen sind die Hölle.

Wer Lust auf ausschweifende musikalische Verweise hat, wird reichlich fündig

Es wird gewalttätig und blutig, später unter Männern auch tragikomisch. Erst gehen sie fürs Gold über Leichen, dann stehen sie sich in der Todeswüstenhitze des Death Valley zum Showdown gegenüber, der letzte Tropfen Wasser verdampft – und nur das Gold überlebt. Zur schlichten Geschichte passt die Regie: Durchaus vorhandene Reminiszenzen an den neusachlichen Stummfilmexpressionismus der Verfilmung des Stoffes durch Erich von Stroheim („Greed“, 1924) werden ignoriert, die Todsünden auch nicht symbolisch überhöht, sondern in Verismo-Manier emotionalisiert. Spannend ist die Musik, die sich einer weiteren Todsünde zuliebe in Völlerei austobt.

Amerikanische Opern sind ja eher selten auf deutschen Bühnen zu erleben und sorgen daher immer noch für Befremden, da dort weniger ein persönlicher Stil denn Eklektizismus gefragt ist. Wer Lust auf musikalische Verweise hat, wird reichlich fündig. Die Entwicklung der amerikanischen Popmusik aus Blues, Ragtime, Jazz, Musical ist genauso präsent wie serielle Musik und Stilmittel europäischer Opern. Bolcom arrangiert die Versatzstücke handwerklich versiert und addiert gleißend illustrative Soundtrack-Momente bis zu hochfrequenten Zahnarztbohrertönen. Flirrende Hitze trieft aus schwebenden Klangflächen. Dramatik wird mit dissonanten Akzenten, eine Herzensregung mit lieblich wogender Streichermelodie betont.

Die Partitur spielt haltlos mit den Traditionen. Es fehlt ein übergeordneter Gedanke: der große erzählerische Bogen auf musikalischer Ebene. Dirigent Marc Niemann betont das noch, indem er die Klangeffekte schillern, in die Fortissimo-Intensität treiben, aber selten einen Musizierfluss entstehen lässt. Um sich dagegen zu behaupten, wird meist sehr forciert gesungen. Herausragend gestaltet allerdings Tijana Grujic ihre Arie um das Bad in den Goldmünzen – als einen intimen Moment des Wahnsinns. Habgier eben, die einen Horizont von Möglichkeiten aufreißt, Fantasien beflügelt und ins Verderben reißt. Diese Moral von der Geschicht’lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Wieder am 5., 10., und 20. April, 19.30 Uhr, Stadttheater Bremerhaven

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