Mythos wächst weiter

Svetislav Pešić, 69, führt die Basketballer des FC Barcelona aus einer schweren Krise. Jetzt soll der Coach zwei weitere Jahre bleiben

Mit unverbrauchter Leidenschaft: Svetislav Pesic versucht sich an der Linie Gehör zu verschaffen Foto: imago

Aus Barcelona Florian Haupt

Svetislav Pešić stellt seine Espresso-Tasse in die Mitte des Tischs. „Der Spieler ist hier“, sagt er. Dann beginnt der deutsch-jugoslawische Basketballtrainer in der Bar an der Halle des FC Barcelona, weitere Gegenstände um die Tasse zu gruppieren: „Familie, Agent, Medien, Fans, Klub, Trainer – alle haben Einfluss.“ Pešić, 69, will damit den Kampf um Ohr und Seele eines Profis illustrieren. „Im Training sage ich einem Spieler: ‚Wann fängst du an, richtig Defense zu spielen?‘Das Training ist vorbei, er kommt aus der Halle, und sein Agent sagt: Vergiss Defense. Guck mal, dass du Punkte und Assists machst, dann kann ich für dich einen besseren Verein finden.“

Der Job, resümiert Pešić, ist ein anderer geworden über die fast 40 Jahre seiner Trainerkarriere: „Es ist viel schwerer, sich durchzusetzen. Alles hat sich verändert. Ich bin froh, dass ich die beste Zeit für einen Trainer erlebt habe. Ich versuche, nicht in der Vergangenheit zu leben, aber dank meiner Vergangenheit existiere ich noch.“

Seine einmalige Titelsammlung – unter anderem EM mit Deutschland, EM und WM mit Jugoslawien, Korać-Cup mit Alba Berlin, Euroleague mit Barcelona – verleiht eine Autorität, die ihn ewig erscheinen lässt. In der jüngeren Vergangenheit war er im vorigen Februar beispielsweise Skifahren in Österreich. Seit seinem Abgang bei Bayern München 2016 hatte er nicht mehr gecoacht und dabei wäre es womöglich auch geblieben. Hätte nicht Barça eine schwere Krise durchgemacht und wäre nicht der für den Basketball zuständige Direktor seiner ersten Amtszeit heute Klubpräsident. Josep Maria Bartomeu rief also bei Pešić an, ein paar Tage später war Pešić da ­– und ein Jahr später ist der FC Barcelona wieder eine große Nummer im Basketball.

Eine Legende macht es noch einmal, und wie. Gerade am Sonntag wurde das Liga-Spitzenspiel bei Real Madrid gewonnen und damit der erste Platz gefestigt. Fast schon Routine. 6:2 steht es seit der Rückkehr von Pešić in den Duellen gegen Real, was doppelten Wert hat, denn die Madrilenen sind nicht nur Europas Beste der letzten Jahre. Sondern natürlich auch: der Erzrivale. Da ist der Basketball nicht anders als der Fußball.

Unter den Clásico-Siegen: die Pokalfinals 2018 und 2019. Das erste sensationell, da war Pešić gerade eine Woche wieder da. Das zweite, diesen Februar, so hochklassig, dramatisch und polemisch, dass man es in Spanien nie vergessen wird. Madrid drohte wegen der Schiedsrichterleistung sogar mit einem Ligaaustritt, allerdings waren die Katalanen nicht minder benachteiligt worden.

Seinen Mythos lässt das immer weiter wachsen. Die Fans im stimmungsvollen Palau Blaugrana begrüßen ihn bei jedem Spiel mit einer Ovation. „Einer Abteilung auf der Intensivstation hat er Illusionen und Träume zurückgegeben“, jubelt Sport. Die Schlagzeilen werden ihn schon insofern freuen, weil endlich mal der eigene Klub vor der NBA die Basketballnachrichten bestimmt. Die Herabstufung des europäischen Spiels im Vergleich zum amerikanischen hält er für weit übertrieben. „Der qualitativ beste Basketball wird hier gespielt, speziell in der Euroleague“, sagt Pešić. In der hat Barça vor dem vorletzten Spiel heute gegen Podgorica das Viertelfinale bereits erreicht. Die letzten beiden Jahre wurde noch das Playoff verpasst.

Seine einmalige Titelsammlung verleiht eine Autorität, die ihn ewig erscheinen lässt

Pešić ist besonders zufrieden damit, dass seine Spieler nach dem emotionalen High des Pokalfinales in der Euroleague gegen Baskonia und gegen Madrid gewannen. „Das hat viel gekostet, aber diese Energie und dieses Selbstbewusstsein charakterisiert große Mannschaften.“

Und so eine Mentalität kann man trainieren, das ist einer seiner Grundsätze. Wie der des Teambasketballs oder der unverhandelbare Einsatz in der Verteidigung als Basis für das spektakuläre Offensivspiel. Die Details steuert Pešić in seinen bekannt leidenschaftlichen Auszeiten, und nebenher muss er noch entscheiden, ob er Bartomeus Vertragsangebot über zwei weitere Jahre annimmt. Basketballtrainer zu sein, zumal mit seiner Intensität, erlaubt gewiss keine Seniorenteilzeit.

„Wir haben es ein bisschen stabilisiert“, sagt Pešić über die aktuelle Lage in Barcelona. Die Bescheidenheit ehrt ihn, aber in Wahrheit sehen sie das Team – bei diesem Trainer! – schon wieder zu allem bereit. Barças Futsal-Coach kommt zufällig am Tisch vorbei, lachend ruft er Pešić zu: „Du weißt schon, jetzt noch die Liga und die Euroliga!“ Pešić lacht auch. Er weiß, natürlich. Der Job mag sich verändert haben, die Erwartungen sind immer noch die gleichen. Auch das geht mit seinem Namen einher.