portrait : Zu beliebt für Tony Blairs Geschmack
Sie war die beliebteste britische Politikerin ihrer Ära. Gestern früh ist Mo Mowlam gestorben. Sie wurde nur 55 Jahre alt. Premierminister Tony Blair bezeichnete sie als „eine der bemerkenswertesten und farbigsten Persönlichkeiten“ in der britischen Politik. Verstanden hatte er sich mit ihr schon lange nicht mehr.
Mo Mowlam war eine der Architektinnen von New Labour. Nach dem Wahlsieg 1997 machte Blair sie zur Nordirlandministerin – einer der undankbarsten Posten im Kabinett, den sie zunächst auch dreimal ablehnte, bevor sie schließlich doch einwilligte. Der Job machte sie berühmt. Obwohl sechs Monate vor der Wahl bei ihr ein Hirntumor diagnostiziert worden war, machte sie sich mit großem Eifer daran, die verfeindeten Parteien in Nordirland an einen Tisch zu bringen. Höhepunkt ihrer Arbeit war die Unterzeichnung des Belfaster Karfreitagsabkommens 1998.
Ihr Verhandlungsstil war ungewöhnlich. Mal zog sie sich die Schuhe aus, mal nahm sie ihre Perücke ab, und meistens kaute sie Kaugummi. Auf die Frage, was der schlimmste Augenblick während der zähen Verhandlungen war, antwortete sie: „Als bei einer Meinungsumfrage herauskam, dass ich beliebter bin als der Premierminister – am Tag, als der nach Nordirland reiste.“
Es war ernst gemeint. Blair sah in ihr zunehmend eine Rivalin, zumal Mowlam auf dem Parteitag im Herbst desselben Jahres mitten in Blairs Rede Standing Ovations erhielt, als er ihren Namen erwähnte. Ein Jahr später schob er sie auf einen unbedeutenden Posten ab, während sie sich den Job als Außenministerin erhofft hatte. Nach ihrer Absetzung wurde es still um sie, bei den Wahlen vor vier Jahren kandidierte sie nicht mehr für das Unterhaus.
Mowlam kam am 18. September 1949 in Watford zur Welt, sie war das zweite von drei Kindern. Ihr Vater Frank, ein Alkoholiker, war Postbeamter, ihre Mutter Tina arbeitete als Telefonistin. Mowlam besuchte ein Gymnasium in London, bevor sie auf eine der ersten Gesamtschulen in Coventry wechselte. Nach dem Abitur studierte sie ab 1968 Soziologie und Anthropologie. Im selben Jahr trat sie der Labour Party bei. Nach 6 Jahren in den USA engagierte sie sich in der Labour Party in Newcastle, 1987 zog sie als Abgeordnete für Redcar im Nordosten Englands ins Unterhaus ein. 1995 heiratete sie ihren Labour-Kollegen Jon Norton.
Im vorigen Jahr holte ihre Krankheit sie wieder ein. Sie litt immer öfter unter Gleichgewichtsstörungen. Anfang des Monats stürzte sie und verletzte sich schwer am Kopf. Vor vier Tagen stellten die Ärzte im Hospiz von Canterbury die lebenserhaltenden Maschinen ab, so wie sie es gewünscht hatte.
RALF SOTSCHECK