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„Der Regen hat ein bisschen Härte reingebracht“

Bernd Weidmann fuhr vor 40 Jahren im Anti-Atom-Treck der Gorlebener Bauern nach Hannover mit. Und er war dabei, als die Landwirte Ministerpräsident Ernst Albrecht ihre Forderungen auf den Tisch knallten

Text und Protokoll Reimar Paul

Ende 1978, Anfang 1979 ist die noch junge Anti-AKW-Bewegung in der Bundesrepublik in eine erste Krise gerutscht. Die militanten Schlachten in Brokdorf in Schleswig-Holstein und Grohnde in Niedersachsen gegen eine zunehmend hochgerüstete Staatsmacht sind verloren gegangen, Bauplatzbesetzungen scheinen keine Option mehr zu sein.

Im Februar 1977 hat die damalige niedersächsische Landesregierung unter Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) Gorleben im Kreis Lüchow-Dannenberg als Standort für ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ (NEZ) benannt: Auf einer Fläche von vier Quadratkilometern sollen eine atomare Wiederaufarbeitungsanlage, ein Endlager und ein Zwischenlager sowie weitere Nuklearfabriken entstehen.

Im schwach besiedelten und strukturschwachen Wendland, unmittelbar an der Grenze zur DDR gelegen, würden die Leute schon nicht gegen diese Fabriken haben – und erst recht nichts gegen die versprochenen Arbeitsplätze, so Albrechts Kalkül.

Er sollte sich irren. Die meisten Lüchow-Dannenberger lehnen den Bau der Atomanlagen strikt ab. Bauern und Bürgerliche, Einheimische und Zugezogene organisieren den Protest – und eröffnen neue Perspektiven auch für den bundesweiten Widerstand.

Am 25. März 1979 starten die Landwirte dann zu ihrem legendären Protest-Treck nach Hannover. Der Student Bernd Weidmann steuert einen der Schlepper. Heute erinnert er sich: „Ich habe Ende der 1970er-Jahre in Göttingen Landwirtschaft studiert und war in Göttingen auch in der Anti-AKW-Bewegung aktiv. In den Ferien habe ich häufiger auf Höfen mitgearbeitet, zur Zeit des Trecks auf dem Hof von Heinrich Pothmer, ein Bauer aus dem Wendland, der einer der Wortführer der atomkraftkritischen Landwirte war. Gorleben stand damals ja schon im Fokus wegen der Pläne, da eine Wiederaufarbeitungsanlage und ein Endlager zu bauen.

Beim Treck sind wir zusammen losgefahren, Heinrich Pothmer und ich. Er mit seinem großen Trecker und ich mit dem kleinen Trecker hinter ihm. Ein Teil der Trecks war ja schon ein paar Tage vorher in Gedelitz in der Nähe von Gorleben gestartet, da waren auch Fußgänger und Radfahrer und Reiter dabei. Aber ein großer Teil der Bauern ist erst in der Nacht zum 31. März losgefahren, die konnten ihren Hof ja gar nicht so lange allein lassen.

Wir haben die Strecke nach Hannover also in einer großen Etappe bewältigt. Unterwegs stießen dann immer mehr Trecker dazu, die kamen von rechts, von links, von allen Seiten. Kurz vor Hannover hat sich unser Treck dann mit dem Teil vereinigt, der schon vorher losgefahren war. Das Ganze war schwer beeindruckend. Ich erinnere mich noch an jede Einzelheit, das war ja eine richtige Siegesfahrt.

Unterwegs gab es mehrere Haltepunkte, an denen wir verpflegt wurden und an denen es aktuelle Informationen gab. Das war alles super gut organisiert, es gab auch im Treck selbst Versorgungsfahrzeuge, die meisten hatten außerdem ja noch eigene Lebensmittel mitgebracht

Es hat ja fast den ganzen Tag geregnet, und es war auch ziemlich kalt auf dem Trecker, aber die Temperaturen spielten überhaupt keine Rolle. Es hätten auch zehn Grad minus sein können, das wäre egal gewesen. Auch der Regen hat uns überhaupt nichts ausgemacht. Im Gegenteil, das war gut, dass es geregnet hat. Das hat da noch mal so ein bisschen Härte reingebracht in die Aktion. Sonnenschein wäre scheiße gewesen. Also ganz eindeutig, das würde ich aus heutiger Sicht so sagen.“

Am 28. März beginnt der schwere Unfall im US-Atomkraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg (Pennsylvania). Im Reaktor Nummer 2. kommt es zu einer partiellen Kernschmelze, etwa ein Drittel des Kerns wird fragmentiert oder läuft in den Boden des Druckgefäßes. Tausende Menschen werden evakuiert, Zehntausende weitere fliehen aus der Region.

In der Bundesrepublik mobilisiert der Unfall viele Menschen, am 31. März nach Hannover zu kommen – es wird die bis dahin größte Demo gegen Atomkraft in der Bundesrepublik.

Bernd Weidmann erinnert sich an die verregnete Demonstration: „Wir sind ja am Nachmittag auch bei strömendem Regen nach Hannover reingefahren. Da waren 100.000 Leute oder noch mehr und haben uns empfangen, die ganze Stadt war verstopft, das war schon überwältigend, das muss ich sagen. Es sind dann ja auch viele Leute auf die Trecker geklettert, um das letzte Stück mitzufahren.

Allerdings konnten wir diese gewaltige Stimmung nur in den Situationen so richtig aufsaugen, wenn der Treck stand, aber das war in dem Gewühl ja oft der Fall. Wenn wir fuhren, mussten wir uns total auf die Straße konzentrieren und auf den Vordermann achten, dass wir dem nicht hinten reinfuhren.“

Zeitgleich läuft in der niedersächsischen Landeshauptstadt das „Gorleben-Hearing“. Albrecht hat dazu mehrere Dutzend Wissenschaftler aus dem In- und Ausland eingeladen. Sie sollen bestätigen, dass der Bau des NEZ ungefährlich ist.

Bernd Weidmann erzählt: „Eine Delegation der Bauern konnte in die Versammlung rein, das war vorher abgesprochen, ich habe es auch geschafft, in diesen Raum reinzukommen, in dem alle versammelt waren, trotz Einlasskontrollen und Security.

Ich kann mich noch genau an die Situation erinnern, als die Bauern ihre Forderungen vorgetragen haben. Und an das Gesicht von Albrecht, an seine Mimik. Und ich weiß noch, dass ich in dem Moment das ganz sichere Gefühl hatte, Albrecht cancelt seine Pläne für Gorleben, zumindest teilweise. Ich konnte ihm das irgendwie an den Augen ablesen. Dieser Treck, dieser Massenprotest in Hannover, das war für Albrecht ein entscheidender Moment, das hat ihn sichtlich beeindruckt. Das konnte man nicht seinen Worten entnehmen, sondern in seinen Augen ablesen.“

Wenig später schreibt Albrecht an Bundeskanzler Helmut Schmidt, dass der Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage im Kreis Lüchow-Dannenberg politisch zurzeit nicht durchzusetzen sei. Im Wald hinter Gorleben entstehen in der Folgezeit aber zwei Zwischenlager für Atommüll und eine sogenannte Pilotkonditionierungsanlage.

Der unterirdische Salzstock wird jahrzehntelang auf seine Eignung als Endlager untersucht, bei der vorgeblichen Prüfung entsteht unter Tage ein fast fertiges Endlager. Obwohl die Erkundung inzwischen unterbrochen und ein Neustart bei der Endlagersuche verkündet wurde, bleibt Gorleben als möglicher Endlagerstandort im Rennen.

Zwei Ausstellungen befassen sich in den kommenden Wochen mit dem Gorleben-Treck von 1979: Sonderausstellung „Trecker nach Hannover“: Mi., 27. 3. bis 30. Juni, Historisches Museum Hannover

„Der Gorleben-Treck – 40 Jahre danach“: Mo., 1. 4. bis 30. Juni, Kreishaus in Lüchow

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