: „Ihr müsst daraus euer eigenes Gedicht bauen“
Die Blicke auf den Körper irritieren: Juliette Mahieux Bartoli und Athar Jaber in der Galerie Kristin Hjellegjerde
Von Mira Nagel
Von Weitem sieht es aus wie eine Fotocollage. Schwungvoll kreisen die Versatzstücke umeinander. Versatzstücke von Körperteilen, die in ihrer Blässe an Marmorskulpturen erinnern. Durchbrochen werden die Fragmente durch den pinken Untergrund, der an einigen Stellen in harten, über die Körper ausgreifenden Kanten endet. Dazu wallende Tücher, die sich – ganz in Renaissancemanier – neckisch um die nackten Körper winden. Tritt man näher heran, erkennt man die feine Struktur der Ölmalerei.
Das großformatige Gemälde ist Teil der Ausstellung „Nonsequitur“ bei Kristin Hjellegjerde, einer jungen Kunstgalerie am Oranienburger Tor, die Exponate von Juliette Mahieux Bartoli und Athar Jaber zeigt. Der Ausstellungstitel, der im Lateinischen die Unterbrechung einer logischen Folge bezeichnet, wird zum Bindeglied für die unterschiedlichen Arbeiten der beiden. Beide beziehen sie sich auf den menschlichen Körper und fragmentieren ihn.
Vertrautheit und Befremden
Eine runde Brust auf dem Sockel, aneinandergeschmiegte Ohren an der Wand, ein Arm auf dem Boden – fast wäre man darüber gestolpert. Mit den aus Carrara-Marmor gestalteten Körperteilen spielt Athar Jaber auf die alte Tradition des Votivkults an, des Opferns von Körperteilabbildungen, um damit Heilung von den Göttern zu erbeten. Von dieser Tradition ausgehend, erforscht der Bildhauer in seiner Arbeit unterschiedliche Dynamiken von Gewalt. Ihn interessiere dabei nicht nur „unser hierarchisches Verhältnis zu Regierungsorganen und religiösen Autoritäten“, erklärt er. Insbesondere unser Verhältnis zum menschlichen Körper und der Zusammenhang von Schönheit und Gewalt beschäftigen ihn.
Die glatt und rund geformte Brust auf dem Sockel irritiert. Sie erinnert in ihrer marmornen Makellosigkeit an klassische Skulpturen. Gleichzeitig ist sie jedoch vom restlichen Körper getrennt. Das ambivalente Gefühl von Vertrautheit und Befremden, das mich als Betrachterin des isolierten Körperteils beschleicht, evoziert Jaber bewusst – um unser Verhältnis zur Natur des menschlichen Körpers infrage zu stellen, wie er sagt.
Auch die Bildwerke von Juliette Mahieux Bartoli destrukturieren den menschlichen Körper. Theoretisches Unterpfand ihrer Arbeit ist jedoch die intensive Beschäftigung mit Sprache. Wenn die studierte Kunsthistorikerin über ihre Leidenschaft für Linguistik und die französische Literaturwissenschaft spricht, tut sie das auf eine Art und Weise, die ansteckend ist. Mit lebhafter Gestik beschreibt sie die Hintergründe ihrer Arbeit, die viel mit dem italienisch-französischen Haushalt zu tun haben, in dem sie aufgewachsen ist. „Sprache ist für mich etwas, das mir seit frühester Kindheit sehr bewusst ist, weil ich immer dazwischen war“, erklärt die Künstlerin, die heute zwischen Rom und London arbeitet.
In der Galerie Hjellegjerde zeigen ihre Bilder Körperfragmente, die auf dem farbigen Untergrund zu schweben scheinen. Eine Schulter, Hände, das durchbrochene Gesicht einer Hermesskulptur. Gehalten werden die marmornen Versatzstücke durch sensibel gesetzte Linien, die mal spitz aufeinander zulaufen, mal horizontal oder senkrecht das Körperfragment durchkreuzen. Der Eindruck einer Fotocollage täuscht. Für das eingangs beschriebene großformatige Gemälde beispielsweise, hat sich die Künstlerin fotografieren lassen, ihren Körper am Computer ausgeschnitten, zerschnitten und wieder zusammen gesetzt, sodass die Körperteile erneut zueinander in Beziehung treten – wenn auch auf artifizielle Art und Weise. Im letzten Schritt überträgt Mahieux Bartoli die Komposition auf die Leinwand – mit Ölfarbe. Die Künstlerin versteht visuelle Komposition als Sprache, Bildfragmente als Worte, die sie dem Betrachter zur Verfügung stellt: „Ihr müsst daraus euer eigenes Gedicht bauen“, fordert die Künstlerin die Umstehenden auf.
Bis 20. April, Kristin Hjellegjerde Galerie, am Oranienburger Tor, Di.–Fr. 12–18 Uhr
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