piwik no script img

abgesatteltFedern lassen!

Karl May ist schuld. Nicht daran, dass die Deutschen und die Romantik das Verhältnis haben, das sie haben. Wenn aber in deutschen Bücherregalen, Fernsehgeräten, Köpfen und Herzen stets Platz war für eine ganz besondere Ausprägung von Naturkitsch und Zivilisationsskepsis, dann hat er damit eben doch zu tun, der Wildwesterfinder aus Mitteldeutschland.

Ja, von Winnetou ist die Rede, diesem edelsten unter den Wilden, dieser rothäutigen Projektionsfläche für von der Moderne Bedrohtes. Denn wer, wenn nicht mit Mays Apachen Aufgewachsene, war’s, die nun murrten, weil eine Kita in Ottensen fand: Zu Fasching als „Indianer“ … Nein, nicht so richtig sensibel. Den Kindern sei das vermittelbar, sagte Carmen Kwasny vom Verein „Native American Association of Germany“ der Morgenpost, die das Skandälchen aufgedeckt hatte; das Problem seien die Erwachsenen.

So wird ein Mokassin daraus: Angebliche Kinderbedürfnisse vereinnahmend, verteidigen da Eltern und Großeltern ihre eigene Kindheit, mitsamt all des einst Liebgewonnenen; darüber neu nachzudenken, das können doch nur diese vermaledeiten politisch korrekten Tugendterrorist*innen verlangen – „Absurd!“, schreit der Kommentarspaltenmob hinterm Schreibtisch hervor, gerade so, als sollten unsere Kinderbücher modernisiert werden!

Holte die Mopo mehrfach die Betroffenenperspektive ein, ging’s zwischendurch nicht ohne Irrlichtern: Da erklärte eine Autorin mal eben die Gedankenfreiheit für gefährdet. Oder man fragte allen Ernstes einen Winnetou-Mimen nach seiner Sicht der Dinge bzw. behauptete das, um dann nur die Segeberger Cowboy-und-Indianer-Spiele zu Wort kommen zu lassen – mit wunderschönem Unfug übers angeblich lehrreich Brückenschlagende von roter Schminke und Federschmuck.

Wer daran wirklich interessiert ist, der soll Frau Kwasny und ihren Verein einladen: Da sprächen dann echte Menschen über echte kulturelle Unterschiede. Die May’schen Behauptungen dagegen: weg damit – in Ottensen und Segeberg.

Alexander Diehl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen