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Aufstand der Genossen

Platzen Hamburgs ehrgeizige Neubaupläne? Nach den Wohnungsunternehmen kündigen auch Baugenossenschaften einen Baustopp an. Der Grund: Das neue Erbbaurecht

Von Marco Carini

Die Botschaft ist dramatisch: „Unter den aktuellen Bedingungen“, so kündigt der Verein der Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften in einem offenen Brief an, würden die zwölf Mitgliedsunternehmen „ihre Aktivitäten im Neubau einstellen müssen“. Das hätte Folgen: 2018 begannen die zwölf Genossenschaften des Vereins mit dem Bau von 1.231 Wohnungen, für das laufende Jahr sind 1.321 Baustarts geplant. Mit dem angekündigten ersatzlosen Wegfall dieser Bauaktivitäten könnte der Hamburger Senat seine ehrgeizigen Neubauziele knicken, das „Bündnis für Wohnen“ zwischen Politik und Wohnungswirtschaft wäre geplatzt. Und mitten im Wahlkampf bräche SPD ihr Erfolgsthema Nummer eins weg.

Die „aktuellen Bedingungen“, die die Genossenschaften geißeln, sind das geltende Erbbaurecht. Vor drei Monaten kündigte der Senat an, städtische Grundstücke in der Zukunft nicht mehr an Bauunternehmen zu verkaufen, sondern nur noch auf 75 Jahre zu verpachten. So will die Stadt auch langfristig ihren Einfluss auf die bauliche Entwicklung Hamburgs sichern und den Ausverkauf städtischer Grundstücke sichern. Die Spekulation mit Grund und Boden soll so eingedämmt werden, Wohnraum bezahlbar bleiben.

Doch der Erbbauplan hat einen Pferdefuß. Die Pachtkonditionen sind für Bauherren unattraktiv. Sie müssen am Anfang der 75 Jahre den gesamten Pachtzins bezahlen. Und der liegt nur 25 Prozent unter dem aktuellen Grundstückswert. Da aber „die Kaufpreise für städtische Grundstücke in den vergangenen Jahren exorbitant gestiegen“ seien, explodiere auch der Pachtzins. „Unter solchen Bedingungen“, klagt der Verein, sei es seinen Mitgliedern „nicht möglich, neue Erbbauverträge“ abzuschließen.

Die Folge: Die Genossenschaften, die über etwa 20 Prozent des Hamburger Wohnungsbestandes verfügen, seien „de facto (…) von der Vergabe städtischer Grundstücke“ ausgeschlossen, und müssten ihre Neubauaktivitäten einstellen. Mit durchschnittlichen Netto-Kaltmieten von derzeit 6,77 Euro wirken die Genossenschaften preisdämpfend auf den Hamburger Wohnungsmarkt. Doch mit dem hohen Erbbauzins müssten „auch die Neubaumieten von Anfang an höher angesetzt“ werden, die Genossenschaften müssten nach eigener Einschätzung „ihre Mietenpolitik drastisch ändern“, auf „ein Niveau, das Wohnen unbezahlbar macht“.

Die Genossenschaften

Dem Arbeitskreis Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften e.V. gehören 30 Genossenschaften an, etwa die Schiffszimmerer-Genossenschaft und der Altonaer Bau- & Sparverein.

Über 200.000 Mitglieder verfügen diese Genossenschaften. Sie besitzen 130.000 Mietwohnungen, 20 Prozent der Wohnungen in der Stadt.

Die Genossenschaften sind nicht der erste Akteur der Wohnungswirtschaft, der mit dem Ausstieg aus dem Bündnis für Wohnen droht. Mitte Februar hatte schon der Verband der mittelständischen Immobilienwirtschaft BFW- Nord die aktuellen Erbpachtregeln kritisiert und davor gewarnt, sie würden den Wohnungsneubau abwürgen und die Mieten verteuern. Zudem würde die zeitliche Begrenzung der Erbpacht die Investoren davon abhalten, langfristig zu investieren.

Die Linke begrüßt zwar, dass städtische Grundstücke zukünftig nicht mehr verkauft, sondern per Erbbaurecht vergeben werden, bemängelt aber ebenfalls die Konditionen. Heike Sudmann, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linken, „teilt die Kritik der Genossenschaften“ und fordert den Senat auf, „das Erbbaurecht attraktiver zu gestalten“. Ihr CDU-Amtskollege Jörg Hamann kritisiert, dass allen Wohnungsunternehmen „nach Ablauf der Erbpacht de facto eine Enteignung droht“.

SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf ist über den offenen Brief der Genossenschaften „sehr irritiert“ und gießt Öl ins Feuer: „Wenn es der neue Stil ist, über offene Briefe zu kommunizieren, fällt das auf den Absender zurück“, so Kienscherf gegenüber der taz. Er selber sei „in engem Kontakt mit den Wohnbaugenossenschaften“, um alle auftauchenden Probleme zu lösen. Kienscherf: „Wir werden den Dialog fortsetzen.“

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