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Mach lauter, das muss fett sein

Ist halt eher eine Denki-Denki-Crowd: Jochen Distelmeyer zu Gast bei Thomas Meinecke im HAU

Von Jan Jekal

Jochen Distelmeyers Habitus ist der eines ungeduldig dozierenden Juniorprofessors. Er beendet seine Sätze mit Frageanhängseln, die auf keine wirkliche Frage verweisen, mit „Ne?“ oder „Ja?“ oder mit „Verstehst du, was ich meine?“. Er will sichergehen, dass man ihm beim Abwandern seiner Gedankengänge noch folgt. Die entgegengesetzte Bewegung, also seine Reaktion auf etwas vom Gegenüber Gesagtes, ist in der Regel ein abgeklärtes „Ja, klar“.

Zumindest geht das an diesem Montagabend so, da ist der frühere Blumfeld-Sänger zu Gast in der vom Schriftsteller Thomas Meinecke konzipierten und moderierten Veranstaltungsreihe „Plattenspieler“ im Hebbel am Ufer. Distelmeyer findet aus der Haltung des energischen Erklärers einfach nicht heraus, selbst wenn er seine Exkurse manchmal leise selbstironisch ankündigt: „Das ist jetzt wieder so denki-denki-mäßig, aber …“

Das Konzept der Veranstaltung ist schnell erklärt: Auf der Bühne sind zwei Plattenspieler aufgebaut, zwei Mikrofone, zwei Weingläser, ein Projektor. Meinecke und sein Gast spielen sich (und dem Publikum) abwechselnd Songs vor und unterhalten sich über sie; die jeweiligen Albumcover werden auf die Leinwand hinter ihnen projiziert. Distelmeyer spielt an diesem Abend zum Beispiel Stücke von der Hannoveraner Punkband Hans-A-Plast und vom brasilianischen Bossa-Nova-Pionier Antônio Carlos Jobim und der Newcomerin Billie Eilish. Meinecke hat unter anderem Stücke von der britischen R’n’B-Avantgardistin FKA twigs, von Frank Sinatra und von den Achtziger-Synthpoppern The Associates ausgesucht.

Distelmeyer sinniert

Meinecke spielt auch „A House Is Not a Home“ von Burt Bacharach, der Text verleitet Distelmeyer zum Sinnieren. „Ein Stuhl ist auch ein Stuhl, wenn man drauf sitzt“, sagt er, den Songtext nicht ganz richtig rezitierend. „Wenn man nicht drauf sitzt“, korrigiert ihn Meinecke. „Ja, klar“, sagt Distelmeyer.

Das Format ist eine Gelegenheit, den exzellenten eigenen Geschmack zu demonstrieren – für das Publikum gilt das übrigens gleichermaßen: Bei der Ankündigung eines jeden Stücks gibt es mindestens eine Person im Zuschauerraum, die durch kurzes Aufjubeln der Allgemeinheit signalisiert, das jeweilige Stück zu kennen – und sich mit, wie es sich für Popkultur-Nerds gehört, konträren Meinungen zu profilieren. Distelmeyer hält die Kanonisierung Frank Sinatras zum Beispiel für ein „historisches Missverständnis“. Meinecke, Sinatra-Fan, protestiert. Distelmeyer: „Ich glaube dem nicht. Ich glaube nicht, dass er weiß, wovon er singt. Ich glaube ihm das nur bei ‚My Way‘ und bei ‚New York, New York‘.“

Bei dem von Meinecke ausgesuchten Sinatra-Stück handelt es sich um einen Bossa Nova, den Sinatra gemeinsam mit Antônio Carlos Jobim aufgenommen hat; von Meinecke als Antwort auf das soeben von Distelmeyer gespielte Jobim-Stück gedacht. „Der Schmerz ist noch spürbar, aber die Leichtigkeit in der Musik, die kündigt schon von der Überwindung“, sagt Distelmeyer über den Reiz des Bossa Nova. Diese pointierte Zusammenfassung schüttelt er aus dem Ärmel, mit der gleichen Selbstsicherheit und Selbstverständlichkeit, mit der er den Abend über auch alles andere, und eben auch weitaus weniger Treffsicheres, aus dem Ärmel schüttelt.

Meinecke überlässt Distelmeyer den letzten Song des Abends und der wählt, weil er „das noch die ganze Nacht weitermachen könnte“, Lionel Richies „All Night Long“, in der Maxi-Version, „ist ein bisschen länger, aber das Ende ist geil. Mach lauter, das muss fett sein!“ Ein paar Mutige tanzen in den Stuhlreihen, aber die meisten bleiben sitzen und wackeln im Takt, ist halt eher eine Denki-Denki-Crowd. Distelmeyer steht auf und bewegt sich etwas.

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