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Frühling in Algerien

Millionenfach strömen die Menschen in Algerien zu den Protesten gegen eine fünfte Amtszeit des schwerkranken Präsidenten Bouteflika. Demonstranten und Polizei bleiben friedlich – ein bemerkenswertes Signal, das der jungen Generation Hoffnung auf einen Wandel macht

„Non au cinquième mandat“: Die Algerier wollen ein Ende des Bouteflika-Regimes. Hier überwältigen Demonstranten in Algier die Polizei auf dem Weg zum Präsidentenpalast. Früher endete so etwas regelmäßig in einem Blutbad – diesmal nicht Foto: Zohra Bensemra/reuters

Aus Algier Philip Sofian Naceur

Es gibt kein Zurück mehr. Die Tage von Algeriens 82-jährigen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika an der Spitze des Landes sind gezählt. Spätestens seit Freitag ist klar, dass sich die überwiegend jugendliche algerische Bevölkerung nicht mehr länger an der Nase herumführen lässt. Denn die seit zehn Tagen andauernden Demonstrationen gegen Bouteflikas Regime haben am Wochenende weiter massiven Zulauf erhalten und sich zu einer beeindruckend friedlichen Massenbewegung gemausert.

Allein in der Hauptstadt Algier zogen am Freitag mehrere Hunderttausend Menschen durch die Straßen und forderten lauthals den bedingungslosen Rückzug Bouteflikas von seiner umstrittenen Kandidatur für ein fünftes Mandat bei den für 18. April geplanten Präsidentschaftswahlen, aber auch einen grundsätzlichen Systemwechsel. Landesweit protestierten nach vorsichtigen Schätzungen bis zu 3 Millionen Menschen gegen den seit 1999 amtierenden gesundheitlich angeschlagenen Staatschef, der sich seit Tagen in einem Genfer Krankenhaus behandeln lässt.

„Wir wollen eine zweite Republik“, so der pensionierte Banker Karim während der Proteste vor der Grande Poste im Herzen Algiers gegenüber der taz. „Bouteflika und sein Mafiaclan rauben das Land seit 60 Jahren aus, das ist doch nicht normal.“ Der Mitfünfziger redet immer weiter, aber verstehen kann man ihn nicht mehr, zu laut sind die eindringlichen Sprechchöre der Menschenmasse.

Bis zum späten Abend wurde am Freitag weiter munter protestiert. Und zwar betont friedlich. Die Polizei hielt sich mit Repressalien auffällig zurück, feuerte aber kurz nach Beginn der Protestmärsche in der Rue Didouche Mourad in der Innenstadt mehrfach Tränengas in die Menge. Die Reaktion der Demonstranten? Umkehren und die Route ändern.

Konfrontationen wurden von beiden Seiten weitgehend vermieden. Am Abend kam es lediglich nahe des von der Armee bewachten Präsidentenpalastes zu kurzzeitigen Ausschreitungen, bei denen mehrere Dutzend Menschen verletzt wurden. Ein älterer Mann verstarb im Gedränge.

Am Wochenende gingen die Proteste weiter. Während am Samstag nur in der Berberprovinz Kabylei östlich von Algier mobilisiert wurde, versammelten sich am Sonntag erneut Zehntausende Menschen an den Universitäten in Constantine, Sétif, Annaba, Blida, Algier und anderen Städten des Landes und setzten das Regime damit weiter unter Druck.

Dieses hatte am Samstag mit einem halbherzigen Manöver auf die Proteste reagiert und den Leiter von Bouteflikas Wahlkampagne, Abdelmalek Sellal, ausgetauscht. Mehrere führende Funktionäre des regimetreuen Unternehmerverbandes nahmen ebenfalls ihre Hüte. Gerüchte über eine Entlassung des während der Demonstrationen massiv angefeindeten Premierministers Ahmed Ouyahia halten sich beharrlich.

„Bouteflika und sein Mafiaclan rauben das Land seit 60 Jahren aus, das ist doch nicht normal“

Wie es weitergeht, bleibt unklar. Am späten Sonntagabend sollte die Frist für das Einreichen der für eine Kandidatur bei der Wahl notwendigen Dokumente beim Verfassungsrat ablaufen. Bis Redaktionsschluss stand noch nicht fest, ob Bouteflika seine Papiere tatsächlich eingereicht hat. Die ersten Studenten marschierten bereits am Nachmittag in Richtung Hauptsitz des Verfassungsrates in Algier, während unabhängige Gewerkschaften für den Fall einer Kandidatur Bouteflikas mit einem fünftägigen Generalstreik drohten. Angesichts der anhaltenden Mobilisierung wird ein Verschieben des Urnengangs immer wahrscheinlicher, denn inzwischen fordern immer mehr Oppositionsparteien sowie Mitglieder des zivilgesellschaftlichen Jugendverbandes RAJ eine politische Übergangsphase.

Für Meriem Saïdani, führendes Mitglied der Oppositionspartei Jil Jadid (Neue Generation), steht fest: „Es darf kein fünftes Mandat geben.“ Die Opposition müsse ihre Zusammenarbeit verstärken, um eine noch größere Mobilisierung der Gesellschaft zu erreichen, erklärt sie. „Seit am 22. Februar im Herzen Algiers ein Porträt Bouteflikas von Algeriern von einem Gebäude gerissen wurde, ist das Regime symbolisch am Ende“, so der Parteichef von Jil Jadid, Soufiane Djilali, gegenüber der taz.

Und manche stellen sich schon ganz andere Fragen. Anzeichen, dass staatliche Sicherheitsbehörden im Hintergrund auf einen Sturz Bouteflikas hinarbeiten, mehren sich.

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