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Rote Karte für die Braunen

Einige engagieren sich nur, weil sie müssen. Es gibt aber auch Berliner Sportvereine, die sich ohne viel Aufheben für mehr Toleranz und gegen Rechts stark machen. Eine Bestandsaufnahme

Fordert mehr Positionierung im Sport: Manager der BR-Volleys Kaweh Niroomand Foto: Sebastian Wells

von Alina Schwermer

Die Versuchung ist groß, die Geschichte der Eisbären als eine Saulus-zum-Paulus-Geschichte zu erzählen. Vom Ostklub mit einem Nazi-Problem in den Neunziger Jahren – Gesänge gegen Schwarze oder Rufe wie „Wir sind die Fans aus der Reichshauptstadt“ soll es gegeben haben, außerdem auch in jüngerer Zeit, etwa 2011, rassistische Beleidigungen im Block – zum Akteur gegen Rassismus. Aber wahrscheinlich hätte es die eine Tendenz ohne die andere so nicht gegeben, und natürlich ist die alte Klientel auch nicht plötzlich weg.

Insgesamt sieben Berliner Profivereine und Verbände haben wir zu ihrem Engagement gegen Rechtsextremismus und für Toleranz befragt. Zu Projekten, Engagement aus der Fanszene, Teilnahme an Demos, Projekten mit Geflüchteten. Von allen Befragten haben die Eisbären am breitesten mit Ja geantwortet. Engagement sei bei ihnen möglicherweise sogar leichter, meinen sie.

„Wie viele Sportclubs im ­Osten hatten wir in den Neunziger Jahren damit zu kämpfen, dass viele Jugendliche orientierungslos durch die Welt gelaufen sind und bescheuerte Gedanken hatten“, erzählt Pressesprecher Daniel Goldstein. „Auch wenn es keine organisierte rechte Szene gab, war es dennoch notwendig, das eine oder andere abseits der Eisfläche zu thematisieren. Für uns ist Engagement für Toleranz dadurch notwendiger und ein Stück weit selbstverständlicher.“

Die Eisbären sind Pate mehrerer Schulen im Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, sie beteiligten sich an einem Spieltag für Seawatch und an der SOS Mediterranee-Aktion #spendemenschlichkeit. Sie veranstalten seit mehreren Jahren Schlittschuhlaufen für Geflüchtete und haben ein Kartenkontingent für Geflüchtete in der Arena. Auf der #Unteilbar-Demo war der Klub vertreten, Pressesprecher Daniel Goldstein hielt eine Rede. Und es gibt mehrere engagierte Fangruppen gegen Rassismus, etwa die „Black Corner“ und die „Eishockeyfans für Toleranz“, die ehrenamtlich Projekte des Klubs mit auf den Weg bringen.

Mit ihrer zunehmend organisierten Fanszene sind die Eisbären am ehesten den Weg der Fußballvereine gegangen, wo Fangruppen heute sehr selbstverständlich mit Geflüchteten kicken, Choreographien gegen Rassismus machen oder zum eigenen Verein in der NS-Zeit recherchieren. Die Eisbären engagieren sich als sozialer Akteur auf vielen Gebieten. Und sind damit unter den Befragten durchaus eine Ausnahme.

Es gibt nicht viele Berliner Profiklubs, die sich so stark engagieren wie die Eisbären

Es gibt nicht viele Berliner Profiklubs, die ein vergleichbar großes Engagement vorweisen können. Und beim Thema Rechtsextremismus und Toleranz sind die Unterschiede besonders groß. Von zwei Befragten kamen keine Antworten: Der Berliner Leichtathletik-Verband hat keine Angaben geschickt. Und die Füchse wollten sich nach längerem Hin und Her nicht an der Umfrage beteiligen. Auf ihrer Website lässt sich unter dem Button „Soziales Engagement“ nichts gegen Rechtsextremismus oder für Toleranz finden. Der weiße Handball bleibt weiß.

Ebenso wenig tätig ist Turbine Potsdam. Der Verein argumentierte wie fast alle nicht aktiven Vereine: Es gebe keinen Anlass. „Weder wir noch andere Frauenfußballvereine haben große Engagements auf diesem Gebiet, da das Thema den Frauenfußball glücklicherweise nicht wirklich berührt“, schreibt Pressesprecherin Friederike Mehring.

Das politische Selbstverständnis großer Sportvereine hat sich offensichtlich in vielen Sportarten nicht verändert. Aktivismus? Bitte nur mit Anlass. Oft betonen Klubs außerdem, man wolle sich für Menschen engagieren, nicht politisch. Eine scheinbare Entpolitisierung, die den eigenen Klub bei Kritik durch Rechte auf der sicheren Seite hält. Denn vor allem für die gehört Politik nicht zum Sport. Bei Aktionen gegen Nazis oder auch gegen Homophobie kommt vereinsintern aus Fangruppen oft das Argument, man müsse Politik aus dem Stadion raus halten, gerne von rechter Seite. Dass dieselben Fans den Verein oft selbst für Agitation nutzen, übergehen sie dabei.

Mehr Positionierung des Sports forderte bei unserer Umfrage kaum jemand; einer der wenigen war Volleys-Boss Kaweh Niroomand (Interview siehe unten). Auf die Frage, wann Vereine aktiv werden, schreibt Friederike Mehring von Turbine Potsdam: „Wenn die eigenen Mitglieder, Fans, Spieler oder das unmittelbare Umfeld des Vereins betroffen sind.“

Vor Beginn der Recherche lag die Vermutung nahe, dass Vereine sich eher positionieren als Projekte anzuschieben. Ein Hashtag oder ein Demo-Aufruf kostet nicht viel und ist schnelle PR, ein Projekt erfordert mehr Aufwand. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn sie sich engagierten, dann machten die Klubs eher Projekte, vor allem für Geflüchtete. Drei von sieben Befragten (Eisbären, Alba und Mitglieder des Turnerbunds) waren aktiv auf diesem Gebiet. Offensichtlich fällt es ihnen leichter, eine Aktion für Menschen zu rechtfertigen, als sich konfliktstark gegen Nazis zu positionieren. Sportvereine verstehen sich in der Regel einschließend, nicht ausschließend.

Das kann auch Sinn machen: Es soll ja darum gehen, Leute mitzunehmen und keine Blasen zu schaffen. Natürlich ist Engagement aber auch eine Frage von Kapazitäten, vor allem in kleineren Profiklubs. Doch auch ohne viel Geld lässt sich etwas erreichen, wie das Beispiel von Andreas Brüning zeigt.

Bei Alba geht es eher um einen integrativen Ansatz: lieber Projekte als Positionierung

Bis zu 50 geflüchtete und nicht geflüchtete Kinder und Jugendliche kommen seit Dezember 2015 jeden Sonntag in einer Sporthalle im Bötzowkiez zusammen, um im Rahmen des Projekts „Spiel.Sport.Integration“ Sport zu treiben. „Ich habe gemerkt, wie die Flüchtlingsthematik meinen Alltag erreicht hat“, erzählt Initiator Andreas Brüning. „Also bin ich selbst in die Notunterkunft gegangen und habe die Not gesehen, und wie dort Kulturen aufeinander prallten.“ Zusammen mit der SG Rotation Prenzlauer Berg entwickelte er das Projekt. Das sei nicht nur auf Zustimmung gestoßen: Am Anfang habe jemand die Flyer abgerissen, wohl wegen der arabischen Schrift. „Unser Projekt ist für manche ein Ansporn, zu kommen, und für andere ein Grund, warum sie genau dorthin nicht kommen“, sagt Brüning.

­Es ist eines der zahllosen Beispiele für das ehrenamtliche Engagement des Amateursports, und es zeigt, wie die Förderung durch Verbände konkret helfen kann. Der Landessportbund (LSB) unterstützt das Projekt „Spiel.Sport.Integration“ finanziell. Der Berliner Turn- und Freizeitsportbund (BTFB), der den Kontakt zum Projekt vermittelt hat, gibt bei der Umfrage an, keine eigenen Projekte gegen Rechtsextremismus und für Toleranz zu machen. Dabei ist man in Wirklichkeit sehr aktiv: Seit 1986 hat der eigene Dachverband DTB die Geschichte des Turnens zur NS-Zeit und die Verfolgung jüdischer Turnerinnen und Turner aufgearbeitet. Im September 2015 startete der BTFB nach eigenen Angaben ein Förderprogramm für Vereine, die sich für Geflüchtete engagieren. Der LSB zog nach. Von dieser Unterstützung profitiert bis heute etwa Andreas Brüning. Er ist langfristig aktiv geblieben, ohne großes Marketing. Brüning sagt: „Im Breitensport ist Engagement leichter als im Leistungssport.“

Das klingt im ersten Moment erstaunlich; schließlich haben Profivereine eigentlich viel bessere Voraussetzungen mit ihren eigenen PR-Abteilungen, professionellen Mitarbeiter­Innen, guter Infrastruktur. Und großer Reichweite. Aber sie haben eben auch mehr Leistungsdenken, mehr Druck von außen, mehr Profitstreben. Und sind in ihrer Außenwirkung viel stärker darauf bedacht, bloß keinen Fehler zu machen.

Zugleich zeigen etwa die Eisbären, was Großklubs mit Hingabe erreichen können. Und auch: Alba Berlin.

Peyton Siva und seine Tochter feiern mit den Fans von Alba Berlin bei einem Basketball Bundeliga Playoff Halbfinalspiel 2017 einen Sieg Foto: Sebastian Wells

Im Jahr 2006 hat der Basketball-Bundesligist nach eigenen Angaben beschlossen, sich stärker gesellschaftlich zu verankern. Mit völlig anderem Hintergrund als die Eishockeyleute: Die Klientel beim Basketball ist urban-tolerant; es war wohl eher eine Marketing-Entscheidung, aber eine, die nicht selbstverständlich ist. Heute hat Alba nach eigenen Angaben über 150 Schulkooperationen und dabei sein Engagement auch auf Geflüchtete ausgeweitet. Es gehe um einen breiten Ansatz.

„Als 2015 die große Flüchtlingswelle kam, gab es auch seitens des Sports Plakatkleberei“, sagt Manager Marco Baldi. „Einige haben nur ihren Namen gegeben oder etwas kurzfristig Plakatives getan.“ Man selbst mache nachhaltige, praktische Angebote. „Es wird oft gefragt: Was macht ihr gegen dies oder das? Aber wir sind ein Proficlub, der sich insgesamt als Sozialakteur begreift.“ Der Aufwand bei flächendeckenden Angeboten sei „natürlich gigantisch“.

Auch bei Alba, so lässt sich heraushören, geht es eher um einen integrativen Ansatz: Lieber Projekte als Positionierung. „Es muss nicht jeder Verein stereotyp sagen: Wir sind gegen Rechts. Man könnte zum Beispiel auch sagen: Wir sind gegen Linksextremismus“, so Baldi. „Bei Alba glauben wir aber daran, dass es mehr integrative Kraft entfaltet, wenn wir Menschen zusammen- und in den Dialog bringen, statt Menschen anderer Meinung auszugrenzen. Handlung kommt vor Lippenbekenntnis.“

Ohne allzu viel Aufhebens engagiert sich der Klub in den Kiezen, obwohl es kein rechtsextremer Anlass in der Fanszene von ihm verlangt.

Engagiert sich: Andreas Brüning, Initiator des Projekts „Spiel.Sport.Integration“ Foto: André Wunstorf

Auch Alba rief zu #Unteilbar auf. Ist der Sportverein politischer geworden?

Baldi glaubt: Nein. Eher begriffen sich Profivereine heute stärker als gesellschaftliche Akteure. „Unternehmen achten zunehmend auf Corporate Social Responsibility, das hat auch den Sport beeinflusst. Gleichzeitig hat das mediale Aufkommen zugenommen, und durch Social Media hat die Differenzierung abgenommen. Genau deshalb positionieren sich viele überhaupt nicht. Man kann viel falsch und es nicht allen Recht machen. Das scheint viele zurück zu halten.“

Und manche eben auch nicht.

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