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Rezept gegen Raserei

Der FC Bayern überzeugt beim FC Liverpool mit Underdog-Fußball. Nach dem torlosen Remis ist die Frage, ob das Team im Rückspiel auch aktiv werden kann

Aus Liverpool Thomas Becker

Die Bosse kamen mal wieder mit diesem schweren, staatstragenden Schritt: keinesfalls hektisch oder gar nervös, aber doch entschlossen – so zog die komplette Führungsetage des FC Bayern nach diesem wilden 0:0 in dem diesmal gar nicht mal so wilden Stadion an der Anfield Road Richtung Spielerkabine, vorbei an den ebenfalls komplett angetretenen Führungsjournalisten. „’N Abend“, grüßte der vorderste Oberste, und auch auf dem Rückweg hatte Uli Hoeneß sichtlich Freude daran, den Reportertross lediglich mit einem ausnehmend freundlichen „Einen schönen Abend!“ zu bescheiden, begleitet von diesem Hoeneß-Grinsen, das bei ihm nach solchen Spielen eine gewisse Genugtuung spiegelt. Der Subtext geht in etwa so: Von wegen die schießen uns hier ab! Wir sind schließlich der FC Bayern, und der lässt sich nicht einfach so abschießen, auch wenn er daheim gerade mal nur Tabellenzweiter ist.

0:0 an der Anfield Road, im neunten Auswärtsspiel seit dem 0:3 gegen Paris nicht mehr verloren, gerackert wie die Löwen, sich eine gute Ausgangsposition für das Rückspiel erarbeitet, wie es immer so unschön heißt. „Die Tür ist offen“, formulierte der andere Boss Karl-Heinz Rummenigge gewohnt bildhaft, „alles ist okay, wunderbar. Man darf Bayern nicht unterschätzen. Wir waren nicht so schlecht unterwegs in den letzten Wochen.“ Alles wieder gut also? Nun ja.

So entschlossen, clever und fokussiert wie gegen die Liverpooler Turbo-Presser hat man die Bayern lange nicht mehr erlebt. Von Minute eins an war jeder on fire, wie Jürgen Klopp wohl sagen würde – eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber wenn man wie der Rekordmeister gar nicht mehr weiß, wann man zuletzt nicht Meister geworden ist, dann erklärt das womöglich schon den ein oder anderen Hänger in der Liga. In seiner wie immer elaborierten Spielanalyse stellte der an diesem Abend mit glänzendem Stellungsspiel überzeugende Mats Hummels fest, dass man Liverpool nicht so große Räume gelassen habe wie in den letzten Spielen – ist ja auch Champions League, dazu noch gegen den Vorjahresfinalisten und Sieger der Herzen. Im Rückspiel müssen allerdings die Bayern das Spiel machen, das wird knifflig.

Der Statistik zufolge hat Bayern beste Chancen aufs Viertelfinale: Liverpool hat in dieser Champions-League-Saison alle drei Auswärtsspiele verloren, Bayern ist seit sieben Jahren nicht ausgeschieden, wenn sie im Hinspiel nicht verloren haben. Aber das sind Zahlen. Schon beim Personal verschlechtern sich die Aussichten: Der Unbedingt-Woller Joshua Kimmich ist nach der dritten Gelben Karte gesperrt, Ersatzmann Rafinha gegen den superschnellen Mane womöglich im Hintertreffen. Bei Liverpool kommt dagegen der 84-Millionen-Euro-Verteidiger Virgil van Dijk für den Wackelkandidaten Joel Matip zurück, was es für Robert Lewandowski nicht einfacher macht.

So entschlossen, clever und fokussiert wie gegen Liverpool hat man den FC Bayern lange nicht mehr erlebt

Entscheidend dürfte aber die Spielanlage sein. In Anfield gab Bayern den Underdog: Ball halten, Tempo rausnehmen und wenn möglich schnell in die Spitze spielen. Niko Kovac gab unumwunden zu, woher die Anleihen für seine Liverpool-Strategie stammten: „Manchester City hat einen ähnlichen Spielstil wie wir. Da schaut man sich es an, wie hat es Pep mit Man City gemacht. Ich glaube schon, dass wir es ähnlich gemacht haben und gut gemacht haben. Wir haben nichts zugelassen, und der Erfolg gibt der Mannschaft recht“, so der Kroate.

Gut für ihn in dieser Crunch Time, dass das Team ihm folgt, seinen Matchplan tatsächlich umsetzt, bis hin zu der verdammt guten Idee, mit der gedimmten Spielweise auch den Faktor Publikum aus dem Spiel zu nehmen. „Das kann ja echt der Wahnsinn werden hier“, weiß Hummels aus eigener Erfahrung mit dem BVB. Wenn der berüchtigte Anfield-Roar erst mal durch das enge Stadion tobt, beginnt auf dem Feld fast folgerichtig die Heavy-Metal-Raserei – bis zum Torerfolg. Kurz vor der Halbzeit war es fast so weit, und womöglich war es Zufall, dass der Stadion-DJ in der Pause erst mal die Bee Gees auflegte: „Staying alive“.

Die Bayern sind also noch am Leben – müssen allerdings mindestens einen Treffer erzielen zum Weiterkommen. Dazu wird man wohl offensiver als in Liverpool agieren müssen – was die Konterfreunde Salah, Firmino und Mane schon jetzt freut. Nach der Partie spielte der Stadion-DJ in der Beatles-Stadt dann noch „Hey Jude“, und da heißt es ja so schön: „… then you can start to make it better“.

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