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Ein Buch ist längst nicht nur ein Buch

Das Bildungsbürgertum bringt seine Kinder nach wie vor zum Lesen. Um die anderen müssen sich Bibliotheken, Verlage und Schulen verstärkt bemühen – mit Interaktion, Mehrsprachigkeit und Musik, wie sich beim Bilderbuch-Sonntag in Hannover zeigte

Aller Anfang ist gemeinsam: Vater und Tochter auf der Oldenburger Kinderbuchmesse Kibum Foto: Ingo Wagner/dpa

Von Joachim Göres

„Kinder lesen immer weniger Bücher“ – in diese Klage mögen Barbara Thume und Gundula Krüger nicht einstimmen. Die beiden Geschäftsführerinnen der Kinder- und Jugendbuchhandlung Bücherwurm in Hannover bieten 3.000 Titel an und verzeichnen steigende Verkaufszahlen. „Eltern suchen die Beratung“, sagt Thume. Vor allem phantasievolle Geschichten mit Humor und ohne pädagogische Absicht sind gefragt. „Auch schöne Illustrationen sind wichtig.“

Sie hatte an ihrem Stand auf dem Bilderbuch-Sonntag am vergangenen Wochenende in Hannover alle Hände voll zu tun – rund 3.000 Kinder mit ihren Eltern stöberten in neuen Büchern, ließen sich Geschichten erzählen, schauten Illustratoren bei der Arbeit zu oder staunten beim Bilderbuchkino.

„E-Books oder Apps zu Kinderbüchern werden bei uns kaum gefragt“, sagt Thume. Ihre Kunden stammten meist aus der Bildungsbürgerschicht und hielten wenig von digitalen Angeboten für ihre kleinen Kinder. Anke Märk-Bürmann, für die vorschulische Leseförderung bei der Akademie für Leseförderung Niedersachsen zuständig, betont dagegen deren Nutzen. „Gerade Kinder ausländischer Eltern können davon profitieren, wenn ihnen über die App ein Text auf Deutsch vorgelesen wird“, sagt sie und fügt hinzu: „Vielfach haben Apps allerdings auch keinen Mehrwert. Technische Entwicklungen sollen kein Ersatz fürs Vorlesen sein.“ Unter www.alf-hannover.de empfiehlt die Akademie geeignete Materialien.

Sie bildet Fachkräfte von Schulen, Kindergärten und Bibliotheken sowie Ehrenamtliche zwischen Osnabrück und Braunschweig fort. „Derzeit sind verstärkt Kurse gefragt, wie man die Leseflüssigkeit verbessern kann“, sagt Märk-Bürmann und verweist auf Studien, nach denen 20 Prozent der Viertklässler nicht lesen können.

„Wir wollen künftig stärker nach außen gehen, um Kinder zu erreichen, die nicht zu uns kommen“, sagt Brigitte Dill, bei der Stadtbibliothek Hannover verantwortlich für die Kinder- und Schulbibliothek. Mit einem Lastenfahrrad werden demnächst Bücher in Flüchtlingsunterkünfte, Parks, Kitas und Schulen gebracht, um Kinder zum Lesen zu animieren. „Klassen kommen leider immer weniger zu uns. Es fehlt den Schulen die Zeit und das Personal dafür“, bedauert Dill und ergänzt: „Die Schere geht auseinander – einige Kinder lesen mehr, andere weniger als früher.“

„Die Schere geht auseinander – einige Kinder lesen mehr, andere weniger als früher“

Brigitte Dill, Stadtbibliothek Hannover

Insgesamt sei aber die Nachfrage groß: Die Hälfte aller Bibliotheksleser seien Kinder und Jugendliche, die die Räume immer häufiger als Treffpunkt nutzten. Spezielle Kurse wie „Bücherbabys“ seien stark gefragt – dort können ganz kleine Kinder und ein Elternteil mit einer Bibliothekarin Bilderbücher betrachten, singen, spielen und sich vorlesen lassen. Ebenso zweisprachige Veranstaltungen, auf denen ein Elternteil eine Geschichte in seiner Muttersprache und eine Bibliothekarin die deutsche Übersetzung vorlese. „Heute ist klar, dass die Beherrschung der Muttersprache wichtig ist. Es gibt bei uns viel mehr zweisprachige Bilderbücher als früher“, sagt Dill.

Dazu trägt auch der Talisa Kinderbuch-Verlag aus Langenhagen bei, der zweisprachige Kinderbücher in 18 Sprachen herausbringt, unter anderem auf Arabisch, Griechisch, Kurdisch, Paschtu, Persisch, Polnisch, Rumänisch, Türkisch – und Plattdeutsch. Inhaberin Aylin Keller suchte einst für ihre Kinder türkisch-deutsche Bildergeschichten. Weil sie kaum etwas fand, gründete sie den Talisa-Verlag, in dem sie Geschichten wie „Leyla und Linda feiern Ramadan“, „Otto, die kleine Spinne“ oder das von ihr selbst geschriebene „Pizza für Elfrida“ veröffentlicht.

Bettina Göschl aus Norden wendet sich mit musikalischen Mitmach-Lesungen an ganz kleine Kinder. In Hannover trug sie die Geschichte von „Ommo, der kleine Bär“ vor, spielte dazu Gitarre und animierte ihr Publikum zum Mitsingen und Sich-Bewegen. „Ich bekomme immer mehr Einladungen von Kitas und Schulen“, sagt Göschl. Ihre Erfahrung ist: „In Schulen konnte ich früher länger lesen, heute mache ich mehr Musik, damit die Kinder nicht abschalten.“

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