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heute in hamburg„Im Osten war die Musik sehr subtil“

Foto: Ulrich Schaarschmidt

Dr. Constantin Gröhn, 42, Pastor in der St. Johannis-Harvestehude und Hobby-DJ.

Interview David Günther

taz: Herr Gröhn, was macht Musik zu zeitgeschichtlicher Musik?

Constantin Gröhn: Musik ist durch die Rezeption schon ein zeitgeschichtliches Dokument. 1989 gibt es viele Stücke, die eine Bedeutungen für die Menschen aus der DDR hatten.

Haben Sie ein Beispiel?

Das Album „Haus der Lügen“ von der Band „Einstürzende Neubauten“ war prägend für viele. Es ist zwar nicht auf die DDR hin konzipiert, jedoch hat es für die Gesellschaft den damaligen Staatsapparat symbolisiert.

Gab es Unterschiede zwischen Ost und West?

Im Westen war das Metal-Genre populär. Die Texte waren drastisch und apokalyptisch angesichts eines drohenden Atomkrieges. Im Osten war die Musik subtiler. Die Künstler achteten darauf, was sie sagen können, ohne zensiert zu werden.

Wie hat sich nach dem Mauerfall die Musik geändert?

Am Anfang der 90er gab es einen positiven Mainstream. Die Welt hat sich geändert und die Menschen hofften auf Frieden und Freiheit. Die Loveparade wurde 1989 das erste Mal veranstaltet und generell gab es optimistische Visionen.

Elektria-Hörlounge „1989“, Vortrag über die Musik nach dem Mauerfall: 20 Uhr, St. Johannis-Harvestehude, Heimhuderstraße 92, Eintritt frei

Haben sich die beiden Musikkulturen nach dem Mauerfall verbunden?

Nein, ich persönlich muss sagen, dass ich wenig Interesse an der Musik aus dem Osten hatte. Aber auch die Gesellschaft im Westen war eher der Meinung, dass sie denen aus dem Osten was zeigen können. Nicht umgekehrt. Der Osten hat sich eher untergeordnet. Dabei gab es eine blühende Punkszene. Pastor Ulfert Sterz, mit dem ich die Veranstaltung mache, erklärt sie damit, dass die sehr beschränkten Probe-, Produktions- und Auftrittsmöglichkeiten und das spontane, technisch unperfekte Musizieren dem DIY-Gedanken des Punk entsprachen.

Wie gesellschaftskritisch ist Musik heutzutage?

Das hängt vom Künstler ab, was er mit den Songs ausdrücken will. Musik hat nach wie vor gesellschaftskritische Komponenten und kann immer ein Sinnbild für einen politischen Aufbruch sein. Im arabischen Frühling 2010 begannen Menschen mit der Musik von Emel Mathloudi oder Ramy Essam, endlich ihre Träume von Freiheit zu leben. Auch in unserer Gesellschaft gibt es Bands, die die Gegenwart verändern wollen. Das Hip-Hop-Kollektiv KIZ beispielsweise.

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