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dvdeskWas Menschen verbindet

Wald. Glitzerndes Spinnennetz im wild wachsenden Grün. Von oben der Blick. Dann kommen, fast als wären sie Tiere, Will (Ben Foster) und seine 13-jährige Tochter Tom (Thomasin McKenzie) ins Bild. Sie leben wie Pfadfinder in einem Nationalpark nahe Portland, haben sich einen Unterschlupf gebaut, abseits der Zivilisation. Als Vater-Tochter-Dyade, die sich selbst Gesellschaft genug ist. Gelegentlich machen sie Ausflüge in die Stadt, erledigen Besorgungen, Propangas haben sie auch, wenngleich wenig.

Dann wird Tom von Waldarbeitern entdeckt, bald darauf werden die beiden von Polizeihunden gestellt, und biopolitisch kartiert: Obdachlosigkeit ist nicht gesetzlich verboten, der dauerhafte Aufenthalt im Nationalpark allerdings schon. Darum ist der Zugriff des Staates gedeckt, Vater und Tochter werden getrennt. Will wird auf psychische Störungen untersucht, weil einer, der sich der Kontrolle des Staates auf solche Weise entzieht, einen Grund haben dürfte, der nur verdächtig sein kann.

Von der Vorgeschichte erzählt Debra Granik – nach dem Roman „My Abandonment“ von Peter Rock, der eine wahre Begebenheit verarbeitet hat – wenig. Andeutung einer Traumatisierung im Krieg, was aus der Mutter wurde, wie die beiden in den Naturpark gerieten, bleibt im Dunkeln. Hell ausgeleuchtet dagegen wird ihr fürsorgliches Miteinander. Dinge, die der Vater der Tochter beigebracht hat, die eher fürs Überleben in der Wildnis gedacht sind, als die Eingliederung in die Gemeinschaft zu befördern. Beobachtet wird das mit Ruhe, aus einer gewissen Distanz, nicht ohne Sympathie.

Die staatlichen Instanzen freilich erweisen sich als zivilisiert. Sie zeigen Verständnis und vermitteln die beiden an einen Mann, der mit den beiden sympathisiert. Dass er eine Baumschule betreibt, in der allzu krumme Bäume begradigt werden, um als Weihnachtsbäume zu taugen, ist durchaus symbolisch zu nehmen. Allzu aufdringlich ist die Symbolik allerdings nicht. Oder anders: Granik spielt in ihrem Film mögliche Verhältnisse von Natur und Kultur, Wildnis und Zivilisation konsequent durch. Dass Will auf das Leben im Haus, dass er auf diese Art Job keine Lust hat, nimmt nicht Wunder.

So hauen die beiden wieder ab, zurück in den Wald. Es ist winterlich kalt. Der Tod greift nach Will und Tom mit eisiger Hand. Wie schnell es gefährlich wird in der Wildnis, verschweigt „Leave No Trace“ nicht. Mit Glück gelangen die beiden dann in eine hinterwäldlerische Gemeinschaft, die sich als Gegenbild zu der vom Staat vergessenen, brutal verhärteten, von Drogen zerstörten Ozark-Gemeinschaft begreifen lässt, von der Debra Granik in ihrem letzten Film „Winter’s Bone“ erzählte.

Man kann die beiden Filme als Diptychon begreifen. Ihren Interessen und Themen bleibt die Regisseurin treu: Sie will zeigen, wie Gemeinschaften zusammenhalten, wie sie zerfallen, was Menschen verbindet und wie Bindung auf Dauer gestellt werden kann. Sie untersucht das nahe am Individuum, auf die Darsteller*innen konzentriert. Dass sie grundsätzliche Fragen dahinter mit einem geradezu soziologischen Interesse betrachtet, macht die Filme freilich nur reicher. Ekkehard Knörer

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