: Der Täter: Krank oder politisch?
Kurz nachdem der Täter am Sonntag vor acht Tagen den Danziger Bürgermeister PawełAdamowicz auf offener Bühne niedergestochen hatte, riss er das Mikrofon an sich. Er rühmte sich seiner Tat. Da der Täter dabei seinen vollen Namen nannte, wusste ganz Polen innerhalb kürzester Zeit, um wen es sich handelte: Stefan W.
Der war erst im Dezember aus der Haft entlassen worden. Als 22-Jähriger hatte er in Danzig vier bewaffnete Banküberfälle begangen. Dabei war zwar niemand verletzt worden, doch die kriminelle Energie des Täters bewog den Richter bei der Verhängung des Urteils, über das geforderte Strafmaß des Staatsanwalts hinauszugehen: W. erhielt eine mehr als fünfjährige Haftstrafe.
Nach den tödlichen Stichen auf Adamowicz tanzte Stefan W. mit dem blutigen Messer in der Hand über die Bühne und brüllte ins Mikrofon: „Die Bürgerplattform hat mich unschuldig ins Gefängnis geworfen und gefoltert. Deshalb musste Adamowicz sterben.“
Wenig später informierte die Justizminister Zbigniew Ziobro unterstellte Staatsanwaltschaft, dass der Täter womöglich nicht zurechnungsfähig sei. Angeblich wurde bei dem Mann rund ein Jahr vor seiner Haftentlassung eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert und medikamentös behandelt.
Rund eine Woche vor seiner Haftentlassung hatte seine Mutter die Polizei vor einer „großen Tat“ gewarnt, die ihr Sohn begehen wolle und die ihn auf einen Schlag berühmt machen würde. Die Polizei gab diese Information an das Gefängnis weiter, ohne auf die Mutter zu verweisen. Im Gefängnis habe man dann den jungen Mann befragt, was er denn mit der wiedergewonnenen Freiheit anfangen wolle. Stefan W. schien keine genauen Vorstellungen zu haben. Dass er mit keinem Wort erwähnte, eine Arbeit aufnehmen und eine Wohnung suchen zu wollen, schien niemanden zu verwundern.
Man schrieb daher an die Polizei, dass von Stefan W. keine Gefahr ausgehe und er nichts von einer „großen Tat“ berichtet habe. Die Polizei beließ es dabei und überwachte Stefan W. nach der Entlassung nicht.
Inzwischen häufen sich Hinweise darauf, dass es sich doch um ein politisches Attentat handeln könnte, das Stefan W. bis ins Detail – und möglicherweise auch mit Hilfe von außen – geplant haben könnte. Dennoch zweifeln viele Polen daran, ob der Staatsanwalt, dem die Ermittlungen übertragen wurden, die richtige Person für diesen Fall ist. Vor einigen Jahren hatte er dafür gesorgt, dass die Ermittlungen gegen einen notorisch antisemitisch hetzenden Ex-Priester aufgehoben wurden. Gabriele Lesser
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen