talk of the town: Ein Land unter Schock
Der liberale Danziger Bürgermeister wird niedergestochen und stirbt. Der Täter sprichtvon Rache. Die Tat erschüttert ein Polen, das ohnehin mit gewaltvoller Stimmung kämpft
Von Gabriele Lesser
Danzigs Stadtpräsident Pawel Adamowicz ist tot, Opfer einer Messerattacke. Am Sonntagabend hatte ein gerade aus der Haft entlassener Bankräuber den liberalkonservativen Politiker mit einem 15 Zentimeter langen Militärmesser niedergestochen. Am Montag verstarb er im Krankenhaus. Adamowicz war ein Befürworter einer toleranten und offenen Gesellschaft. Er hatte sich nach einem Angriff auf ein jüdisches Gotteshaus im September noch solidarisch mit der jüdischen Gemeinde erklärt. Auch wenn der Täter erklärt, aus persönlicher Rache gehandelt zu haben: Das Attentat geschieht im Kontext einer längst aufgeheizten, gewaltvollen Stimmung in Polen.
Als Adamowicz am Sonntag vor den Augen Hunderter Besucher eines Benefizkonzerts zu Boden sackte und sein Herzschlag aussetzte, riss der 27-jährige Täter das Mikrofon an sich: „Ich heiße Stefan W. Ich habe unschuldig im Gefängnis gesessen – in der Regierungszeit der Bürgerplattform. Deshalb musste Adamowicz sterben!“ Adamowicz gehörte bis 2015 der Bürgerplattform an.
Noch dauern die Untersuchungen an, wie es dem Täter gelingen konnte, auf die Bühne zu kommen, und wieso er nach der Tat fast eine Minute lang wie im Triumph mit seinem Messer dort tanzen konnte, bevor es einem technischen Mitarbeiter gelang, ihn zu überwältigen. Warum stürzten die Männer des privaten Sicherheitsdienstes und die Rettungsleute erst danach auf die Bühne? Zeugen berichteten, dass das Benefizkonzert offenbar nicht von der Polizei gesichert worden war. Diese erschien erst mit einigem Zeitverzug am Tatort.
Politiker aller Parteien verurteilten die Tat, auch Polens Präsident Andrzej Duda und Premier Mateusz Morawiecki, die normalerweise kein gutes Haar an dem liberalkonservativen Stadtpräsidenten Danzigs gelassen hätten. Allerdings wirft Polens Vize-Innenminister Pawel Szefernaker von der nationalpopulistischen Recht und Gerechtigkeit (PiS) dem Organisator des Danziger Benefizkonzerts vor, das Finale nicht genügend gesichert zu haben. Die polnische Polizei, so Szefernaker, sichere solche Veranstaltungen nicht, sondern schreite nur ein, wenn sie vom Organisator aufgefordert werde. Dies steht allerdings im Widerspruch zu den massiv von der Polizei geschützten Parteiveranstaltungen der PiS.
Dass Danzigs Oberbürgermeister nun Opfer eines politischen Anschlags wurde – als Vertreter einer Partei, die bis 2015 die Regierung stellte –, hat auch mit der zunehmenden Pogromstimmung in Polen zu tun. Noch vor dem landesweit mit Benefizkonzerten gefeierten Finale der Spendenaktion des „Großen Orchesters der Weihnachtshilfe“ hatte der Regierungssender TVP ein antisemitisches Hetzvideo gegen Organisator Jurek Owsiak ausgestrahlt. In diesem Film mit Plasteline-Figuren zieht Warschaus ehemalige Stadtpräsidentin Hanna Gronkiewicz-Waltz die Puppe Jurek Owsiak mit einem Schlüssel auf und setzt sie auf einen Spielzeugzug. Kurz darauf kommt die Owsiak-Puppe mit Waggons voller Geldscheinen zurück, darunter auch ein 200-Złoty-Schein mit einem Davidstern in der Ecke. Damit sollte suggeriert werden, dass es wieder einmal die „reichen Juden“ oder „ewigen Feinde der katholischen Polen“ seien, die den gutgläubigen und unbedarften Polen das Geld aus der Tasche ziehen – und dass dieses Geld dann keineswegs einem guten Zweck zukommt, sondern in den Taschen „der geldgierigen Verräter des polnischen Volkes“ lande.
Die Verunglimpfung namhafter Oppositionspolitiker, regierungskritischer Journalisten und Aktivisten wie Jurek Owsiak „Volksverräter“ ist seit der Regierungsübernahme durch die PiS Ende 2015 an der Tagesordnung. Todesdrohungen sind keine Seltenheit, werden von der Staatsanwaltschaft unter PiS-Justizminister Zbigniew Ziobro aber nur selten verfolgt.
Auch Adamowicz ist bereits für „politisch tot“ erklärt worden. Sein Vergehen: Ausländerfreundlichkeit und Multikulti-Offenheit. Die Staatsanwaltschaft ließ auch dieses Verfahren fallen. Nun versuchen PiS-Politiker wie PiS-nahe Journalisten dem lange angefeindeten Jurek Owsiak die Schuld an dem Mord in die Schuhe zu schieben. Die Absicht ist ziemlich durchsichtig: Die seit 27 Jahren laufende Spendenaktion des linksliberalen Aktivisten soll verboten werden. Es ist nicht auszuschließen, dass die PiS den Mord an Adamowicz ausnutzt, um Jurek Owsiak vor Gericht und möglicherweise sogar hinter Gitter zu bringen.
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