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Auf die Welt zugegangen

Der diesjährige Mara-Cassens-Preis für den besten Debütroman geht an die Hamburgerin Anja Kampmann. Die hatte sich bislang vor allem als Lyrikerin einen Namen gemacht

Von Frank Keil

„Wieso eigentlich nicht?“, antwortet Anja Kampmann mit einer Gegenfrage. Denn das wurde und wird sie immer wieder gefragt, seit vor gut einem Jahr ihr Debütroman „Wie hoch die Wasser steigen“ erschienen ist und sogleich von der Kritik einhellig gelobt wurde: Wie sie darauf gekommen sei, ihre Geschichte im Milieu der Offshore-Förderung von Öl anzusiedeln?

Denn ihr Held Waclaw, den seine Kollegen Wenzel nennen, arbeitet weit draußen vor der nordafrikanischen Küste auf einer Ölbohrplattform. Arbeitet seit sechs Jahren eng mit seinem Kumpel Mátáys zusammen. Sie ziehen von Plattform zu Plattform, sobald die erkundeten Ölvorkommen gefördert sind – bis während eines Sturms Mátáys verschwindet. Vielleicht ist er gestürzt, vielleicht hat ihn eine Welle mitgerissen; niemand hat etwas mitbekommen, lange wird nicht nach ihm gesucht, man würde ihn wohl auch nicht finden, da draußen in der tobenden See.

„Ich habe die Figur des Waclaw damals aus einer anderen Geschichte heraus entwickelt“, sagt Kampmann. „Es war eine Figur, die wie bei einem Kammerspiel sich bei Geschwistern auf einem Hof versucht einzunisten – da aber keinen richtigen Rückhalt, keine eigene Geschichte mehr hat.“ Sie habe damals die Idee gehabt, dass es ein Ölbohrarbeiter sein könne, habe sich aber „noch nicht richtig an das Thema getraut“.

Doch dann hat sie Glück, erhält ein Stipendium in den USA, wo sie auf Leute trifft, die genau das getan haben: offshore arbeiten. Und die kann sie alles fragen, was sie fragen will und erfährt dabei, dass diese Arbeitswelt gar nicht so fremdartig sei, wie wir immer dächten und dass sich das Leben dort wunderbar erzählen lässt: „Es hat sehr rigide Abläufe, es ist ein sehr durchstrukturiertes Leben“, sagt Kampmann. „Und mich hat interessiert, was das mit den Leuten macht, wenn die da rausgehen; was sind das für Versprechen, denen sie hinterherjagen, und was sagt das auch über unsere Gesellschaft aus.“

Wobei sie anfangs durchaus ihre Mühe gehabt habe, einen literarischen Zugang zu ihrem Thema zu erlangen: „Ich hatte eine Weile damit zu tun, dass es ein sehr aufgeladener Stoff ist“, sagt Kampmann. „Es gibt da keinen Zentimeter, der nicht von irgendwelchen Interessen und politischen Hürden begleitet wird. Damit habe ich mich sehr intensiv auseinandergesetzt.“

Und so halten wir endlich mal ein Romandebüt in den Händen, dass nicht wie so oft im mittelständischen Akademiemilieu angesiedelt ist; dass sich also auch nicht mit Identitätsfragen plagt. Anja Kampmann sagt: „Es ist völlig legitim, über sein eigenes Leben zu schreiben, aber ich finde auch: Man kann auf die Welt zugehen.“

Waclaw jedenfalls wird der Verlust seines engen Freundes aus der Bahn werfen. Er kehrt zurück auf das nordafrikanische Festland, wird nach Ungarn, nach Budapest reisen, dort Mátáys Familie den Seesack mit dessen Habseligkeiten überreichen. Eine Reise quer durch Europa: Von Italien aus geht es über die Alpen, im Gepäck auch eine Brieftaube, die ihren Weg zurückfinden muss. Auch Kampmann ist für ihr Buch viel gereist. „Weil Orte, auch wenn sie nur drei, vier Sätze abbekommen, eingefangen sein wollen“, sagt sie.

Besonders wichtig wurde eine Reise nach Tanger, wo ihr Held zunächst strandet. Damals, als sie an dem Text schrieb, war die heutige Flüchtlingsbewegung Richtung Europa schon im Gange und so erfüllte ihre Reise dorthin einen doppelten Zweck: „Ich konnte diesen Ort nicht beschreiben, wenn ich ihn nicht gesehen hatte, und weil ich nicht wusste: Laufen die Flüchtlinge da herum, also sieht man sie oder ist die marokkanische Polizei so aufgestellt, dass man es in den großen Städten nicht sehen kann – was der Fall war.“

Enden wird Waclaws Reise schließlich im vergleichsweise heimischen Ruhrgebiet – und hier schließt sich dann auf ganz einleuchtende Weise der Kreis von der virilen Welt der Ölförderung zur sterbenden Welt der Kohleförderung, auch weil wir dessen Ende längst akzeptiert haben.

Getragen wird der Roman von einer hoch dosierten Sprache; kein Wort zu viel, kein Wort zu wenig

Kampmann selbst ist in Hamburg geboren, in Lüneburg groß geworden. Ihre Eltern aber sind im Ruhrgebiet aufgewachsen, als Kind sei sie öfter bei Familienfeiern gewesen, sagt sie. „Aber immer nur zu Gast.“ Also reist sie auch ins Ruhrgebiet, schaut und hört sich um: „Ich habe mir sehr viele Geschichten angehört, besonders von meiner Großmutter, die da 40 Jahre gelebt hat – und die mit einem fremden Blick da reingekommen ist, damals nach dem Krieg.“

Getragen wird Kampmanns Debütroman von einer hoch dosierten Sprache; kein Wort zu viel, kein Wort zu wenig. Und sie bejaht, dass dies an ihrer Herkunft und an ihrer Verortung als Lyrikerin liegen dürfte. Und dann lacht sie kurz am Telefon und sagt: „Es ist so viel Stoff in diesem Büchlein, dass ich alle Hände voll zu tun hatte, alles zusammenzubringen.“ Und sie setzt hinzu: „Ich lese selbst nicht gerne Geschichten, die so verlabert sind oder die auseinanderfallen.“

Und das ging auch der Jury des Mara-Cassens-Preises so, die im Gegensatz zu anderen Literatur-Jurys nicht aus professionellen Literaturkritikern und Verlagsleuten besteht, sondern aus Leserinnen und Lesern, Ehrenamtlichen also. Und die sich seit Jahren durch die Fülle an Romandebüts eines Jahres liest – und eben bei Anja Kampmann das Beste entdeckte.

„Mir wurde von vielen Lesern gesagt, dass sie das Buch wirklich geliebt haben, dass sie es eben nur sehr langsam durchgegangen sind und sich wahnsinnig Zeit dafür genommen haben. Oder dass sie es schnell, aber mit einer gewissen Ausschließlichkeit gelesen haben“, sagt Anja Kampmann noch. Und dass es auch ein kleiner Luxus sei, wenn man das machen könne.

Anja Kampmann: „Wie hoch die Wasser steigen“, Hanser 2018, 352 S., 23 Euro

Verleihung des Mara-Cassens-Preises: Di, 15. 1., 19.30 Uhr, Literaturhaus Hamburg (ausverkauft)

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