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Der Spaß an der Desillusionierung

In der Ausstellung „Saul Leiter. David Lynch. Helmut Newton. Nudes“ sind vor allem die subtilen, gleichwohl lebendigen Aktaufnahmen Saul Leiters eine Entdeckung – David Lynch dagegen sieht die nackte Frau als Fossil

Von Brigitte Werneburg

Zurzeit bestimmt nicht die hipste Idee: eine Ausstellung mit Aktfotografie. Und wenn es dann noch die Helmut Newton Stiftung ist, die sich dem Thema widmet, erscheint die Angelegenheit noch viel weniger hip. Denn kennt man die Newton’schen Akte nicht schon zur Genüge? Allerdings, in der Woche nach Silvester haben sich jeden Tag über tausend Besucher die Ausstellung „Saul Leiter. David Lynch. Helmut Newton. Nudes“ angeschaut, wie Matthias Harder, der Kurator der Schau, weiß.

Vermutlich kommen sie alle wegen David Lynch. Dabei – die absolut sterbenslangweiligen Aufnahmen in der Schau, die zeitlich die aktuellsten sind, stammen ausgerechnet von ihm. In riesigen schwarzweißen und farbigen Formaten abstrahiert er den Frauenkörper zu schwer dechiffrierbaren Felsformation. Das wirkt einerseits prüde, andererseits fürchterlich angestrengt. Unbedingter Kunstwille, der im Kunstgewerbe endet. Keine besondere Frau ist zu sehen, sondern eben ein Genre, der Akt, das Weibliche; enorme, riesige Brüste, die – in Untersicht fotografiert – wie Raketen in den Himmel schießen. Und selbst wenn ein Modell erkennbar ist mit rot geschminktem Mund, dem Zigarettenrauch entströmt, wirkt die Aufnahme versteinert, erinnert die Situation an Mount Rushmore. Lynch sieht die nackte Frau als Fossil.

Oft gesehen, und doch überraschend

Dagegen brummen die Aufnahmen von Helmut Newton und noch mehr die von Saul Leiter vor Leben. Ja, man hat die Big Nudes und anderen Akte wirklich oft gesehen, aber dann überrascht doch wieder die Detailbesessenheit, mit der Newton die Szenen stellt, eine Detailbesessenheit, über die er sich im nächsten Moment schon wieder mokiert. Sehr schön ist das bei der Serie „Human and Dummy“ für die französische Vogue Mitte der 1976 zu sehen, wo er die Models mit identisch aussehenden Schaufensterpuppen konfrontiert. Weil die Situation so ­stimmig arrangiert ist, käme man auf den ersten Blick nie darauf, den Zwilling nicht als lebendig wahrzunehmen. Doch dann setzt Newton das Licht so, dass die Nut, wo der Plastikarm an die Plastikschulter ansetzt, einen so deutlichen Schlagschatten wirft, dass alle Illusion über den Haufen geworfen ist.

Auch Newton, das besagt schon der Titel „Big Nudes“, monumentalisiert. Aber bei ihm wachsen bei „L’Allemande I“ (1994) und „L’Allemande II“ (1994) die Models in der Untersicht zu lustigen Riesinnen heran. Wunderbar ironisch ist auch die Szene „After Velasquez“ (1981). Denn der Spiegel, den der Putto (der bei Newton selbstverständlich ebenfalls ein nacktes Model ist) der Venus – auf Mies van der Rohes Day Bed – entgegenhält, ist im Foto ein Fernseher der Marke Nordmende, für den das Bild als Anzeigenmotiv wirbt.

Es entstehen Bilder voller Sympathie, Fantasie und Übermut

Simpler Spaß und Freude am Spiel mit der Desillusionierung – das ist in der Ausstellung einmal mehr zu entdecken – halten Newtons Aktfotografie frisch und lebendig. So zeigt er etwa in „Domestic Nude I, In my kitchen, Chateau Marmont, Hollywood, Los Angeles 1992“ ganz deutlich die Narben der operierten Brüste des Models. Wenn dann der Blick nach unten wandert, zu den immer hochhackigen Fetisch-Schuhen, sieht man die Zeitungen von gestern im Mülleimer stecken, eine ziert ein Bild von Newton. Der Spaß scheint aus dem Zusammenleben mit June herzurühren, das deuten die Bilder in June’s Room an, wo man die beiden in ihrem Haus in Ramatuelle in Südfrankreich sieht, wie sie sich gegenseitig fotografieren, während sie halbnackt und nackt ihren Alltagsgeschäften nachgehen.

Alltäglich ist auch der Kontext von Saul Leiters Aktfotografien. In Deutschland bislang kaum ausgestellt, ist er der große Unbekannte der Schau. Und ihre große Entdeckung. Denn die Helmut Newton Stiftung kann erstmals über 200 Vintage- und Late Prints seiner seit den 1950er Jahren entstandenen Akte ausstellen. Erst nach seinem Tod 2013 war ein geringer Teil davon überhaupt veröffentlicht worden. Zur Hälfte gerahmt an der Wand und zur Hälfte als von Leiter selbst ausgerissene Bildschnipsel in der Vitrine gezeigt, verdeutlicht die Präsentation sehr schön die fast absichtslose Annäherung Leiters an den nackten Körper seiner Freundinnen oder Liebhaberinnen, die er in seiner New Yorker Wohnung aufnahm.

Im Gegensatz zu Newton und Lynch, die mit professionellen Models arbeiten, handelt es sich bei Leiter um intime, persönlich motivierte Aufnahmen, die parallel zur Modefotografie für Harper’s Bazaar und den seit den 1940er Jahren in den Straßen von New York eingefangenen Farbabstraktionen entstanden. Deshalb sind die jungen Frauen nicht immer „nackt“, sondern haben sich auch mal einfach nur ausgezogen. Angeblich die große Todsünde der Aktfotografie, weil damit die Kunst futsch sein soll. Aber gut, so eine Idee kann nur dummen Kerlen einfallen, die Bücher darüber schreiben, wie man Akte fotografiert. Bei Saul Leiter ist zu sehen, welche überraschenden, faszinierenden Bilder so entstehen, Szenen voller Sympathie, Fantasie und Übermut.

Bis 19. Mai, Helmut Newton Stiftung, Jebenstraße 2, Di.–So. 11–19 Uhr, Do. 11–20 Uhr

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