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„Nachhaltigkeit ist kein fixer Maßstab“

Die nachhaltige Entwicklung sei das Hauptziel unserer Generation – oder sollte es zumindest sein. Auch Hamburg muss handeln, sagt der dortige Zukunftsrat. Eine Nachhaltigkeitsstrategie nennt Sprecher Hans-Joachim Menzel lange überfällig

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Interview David Günther

taz: Herr Menzel, was macht der Zukunftsrat Hamburg?

Hans-Joachim Menzel: Der Zukunftsrat versucht, die Vision der nachhaltigen Entwicklung in Hamburg bekannt zu machen und die Politik in diese Richtung zu drängen, indem wir öffentliche Veranstaltungen organisieren, Pressemitteilungen veröffentlichen und Lobbyarbeit betreiben.

Was bedeutet nachhaltige Entwicklung?

Nachhaltige Entwicklung ist für uns, den nachfolgenden Generationen eine Lebensgrundlage auf unseren Planeten zu ermöglichen. Es geht um unseren heutigen Lebensstil und was für die zukünftigen Generationen übrig bleibt. Nachhaltigkeit besteht aus einer Balance zwischen Ökologie, Wirtschaft und Sozialem. Aktuell beschäftigen wir uns mit der Abfallwirtschaft, nachhaltigem Tourismus und bezahlbarem Wohnraum. Es gibt aber viele andere Probleme, die der Zukunftsrat je nach Kompetenz der Mitglieder und Anlass behandelt.

Wer ist im Zukunftsrat dabei?

Unsere Mitglieder sind aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Zum Beispiel haben wir Verbände wie den BUND und den Nabu, die sich für die Umwelt einsetzen. Von der Wirtschaft sind Unternehmen wie Budnikowsky, der Drogeriekette, dabei. Aus der Wissenschaft zählen wir die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) und Teile der Technischen Universität zu unseren Mitgliedern und auch Teile der Evangelischen Kirche. Auch Werbeagenturen, die sich mit der Verbreitung der Nachhaltigkeit beschäftigen, sind bei uns vertreten.

Gibt es zwischen diesen Akteuren nicht Interessenkonflikte?

Deswegen halten wir es nicht allgemein, sondern schauen uns konkrete Themen an. Nehmen wir die Kreislaufwirtschaft. Die Abfallwirtschaft muss natürlich wettbewerbsfähig bleiben. Auf der anderen Seite haben wir die gesellschaftliche Aufgabe, Ressourcen zu sparen. Wichtig ist es, die Zielkonflikte zu benennen und anhand der unterschiedlichen Interessen langfristige nachhaltige Strategien zu gestalten. Nachhaltigkeit ist kein fixer Maßstab, sondern es ist eine politische Aufgabe, die nachhaltigen Aspekte in den politischen Entscheidungen zu berücksichtigen.

Welche Interesse bekommt mehr Zugeständnisse?

Besonders hier in Hamburg haben wir eine sehr starke Wirtschaftsorientierung. Schauen sie sich die Handelskammer an, welche Macht sie hatte und vielleicht auch noch hat. Vielfach ist es so, dass die Wirtschaft dominiert und die beiden anderen Dimensionen leicht zu kurz kommen. Konkretes Beispiel ist der Wohnungsbau, wo Politik auf Investoren angewiesen ist, auch um für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Wenn man sich die Bevölkerung ansieht, reichen 30 Prozent sozialer Wohnungsbau an den Neubauten nicht aus.

Wieso dominiert die Wirtschaft?

Viele Verbände haben nicht die finanzielle Ausstattung wie Organisationen aus der Wirtschaft. Auch die politische Wahrnehmung spielt eine Rolle. Solange man das Bruttoinlandsprodukt als obersten Maßstab einer politischen Entwicklung sieht, dominiert der ökonomische Weg.

Sind wachsende Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung überhaupt miteinander vereinbar?

Das ist sehr schwer. Wir beschäftigen uns damit, wie unsere gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Struktur aufgebaut ist und warum sie uns vielfach zu Wachstum zwingt.

Was müsste man also tun, um die Konflikte zu vermeiden?

Allgemein könnten die Steuern eine Möglichkeit sein. Wenn CO2 etwas kostet oder das Kerosin für Flugzeuge besteuert werden würde, würden viele auf manchen Konsum verzichten.

Die CO2-Besteuerung ist gerade aktuell, schauen sie nach Frankreich. Dort haben sich die „Gelbwesten“ mobilisiert, nachdem die Ökosteuer für Benzin eingeführt werden sollte. Es entstand nahezu eine Revolution, die immer noch im Gange ist.

Bei allem ist es so, dass sich Wohlhabende immer mehr leisten können und mehr Ressourcen verbrauchen als Ärmere. Die Frage sollte sein, was für einen Lebensstil wir wollen. Im Bereich der öffentlichen Verkehrsmittel kann man auf jeden Fall etwas tun, indem man dort die Kosten senkt und sie durch Steuern finanziert. Der Flugbetrieb, bei dem es einen hohen CO2-Ausstoß gibt, könnte teurer werden.

Der soziale Aspekt schließt die Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern ein. Kleidung würde teurer werden, wenn die Beschäftigten besser bezahlt werden, zum Nachteil der Ärmeren in wohlhabenden Ländern.

Hans-Joachim Menzel, 69, ist promovierter Jurist, verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder. Von 1990 bis 1995 war er Bundesvorsitzender der Kinderrechtsorganisation Terre des hommes; zurzeit ist er Sprecher des Zukunftsrats Hamburg: www.zukunftsrat.de.

Bei vielen Kleidungsstücken handelt es sich um Billigware, die oft wieder weggeworfen wird. Es werden Ressourcen verschwendet. Der Verbraucher müsste auf weniger, aber bessere Qualität setzen. Aber auch die Unternehmen können ihren Beitrag leisten. Die Otto Group etwa ist im Denken der Nachhaltigkeit vielen Unternehmen weit voraus, indem sie auf ökologische Produktion setzt.

Was muss Hamburg machen, um sich nachhaltig zu entwickeln?

Der Senat muss sich mit einer richtigen Nachhaltigkeitsstrategie beschäftigen, die Zielkonflikte benennt und zu lösen versucht. Er muss etwa beim Klimaplan, der gerade in der Umweltbehörde neu gemacht wird, wirklich ambitioniert sein. Wie wollen wir das Klimaziel von 50 Prozent CO2-Reduktion bis 2030 schaffen, wenn wir in 26 Jahren nicht mal eine Reduktion von 19 Prozent erreicht haben. Wir müssen unseren ökologischen Fußabdruck reduzieren. Hamburg hat einen Lebensstil, der, wenn man ihn auf die Welt verallgemeinert, drei Erden erfordert.

Hätte der Zukunftsrat denn Vorschläge einer Nachhaltigkeitsstrategie, um genau das zu vermeiden?

Wir haben die Hamburger Entwicklungs-Indikatoren Zukunftsfähigkeit erarbeitet, kurz Heinz. Der beinhaltetet dreißig Indikatoren, indem alle Handlungsbereiche aufgeführt sind und wo wir Zielwerte benannt haben. Dort sind jährliche Statistiken eingespeist, wodurch grafisch angezeigt wird, wie sich Hamburg entwickelt und wo sich Hamburg hätte entwickeln müssen.

Wie entwickelt sich Hamburg laut dem Heinz?

Das ist sehr unterschiedlich. Im sozialen Bereich entwickeln wir uns sehr wenig, wenn es um Armutsbekämpfung und die Gleichstellung zwischen Mann und Frau geht. Gut entwickelt sich die Kinderbetreuung, die den Frauen die Möglichkeit gibt, zu arbeiten. Viel zu langsam entwickeln wir uns bei der Reduktion von CO2-Emissionen und bei den Abfällen. Tendenziell entwickelt sich einiges in die richtige Richtung, aber das ist alles sehr marginal und nicht auf nachhaltigem Niveau.