Kolumne Pressschlag: Potas, Pusher und Plaketten

Die Reform des deutschen Spitzensports ist spalterisch. Sie sorgt für ein Sport-Prekariat. Die Frage drängt sich auf: Wieviel sind sportliche Erfolge wert?

Eisschnellläuferin in der Kurve

Zuviel Pech gehabt: Anna Seidel wird die Förderung gestrichen Foto: imago/Camera 4

Im Leistungssport geht es nur um Medaillen und Titel. Und diesen Ansprüchen wurden deutsche Athlet*innen zuletzt nicht mehr gerecht. Um Deutschland als Sportnation erfolgreich zu halten, wurde 2016 vom Bundesinnenministerium und dem Deutschem Olympischen Sportbund eine Leistungssportreform beschlossen. Das als Potenzialanalysesystem, kurz Potas, sperrig benannte Werkzeug sollte an den Stellschrauben des deutschen Sports drehen.

16 Hauptattribute und 53 Unterattribute wurden vergeben, 151 Fragen müssen von den einzelnen Verbänden beantwortet werden. Mit den gewonnenen Zahlen und der Evaluation der letzten Olympischen Spiele wurden Computer gefüttert, die dann auf wissenschaftlicher Basis die künftige Förderungswürdigkeit einzelner Disziplinen berechnen.

Über die tatsächlich fließenden Summen entscheidet dann eine Kommission von Ver­treter*innen aus Sport und Forschung. Für die sieben Wintersportverbände des DOSB erfolgte die Einteilung bereits im Herbst, acht Teildisziplinen, darunter die Shorttrack-Teams, rutschten in die schlechteste Förderstufe, in der die finanzielle Prekarisierung wartet.

Hier zeigt sich das große Problem der Reform: Shorttrack-Youngster Anna Seidel, die 2015 noch minderjährig erste Medaillen bei Weltcups holte und im Folgejahr Dritte bei den Olympischen Ju­gendspielen wurde, war bei den Spielen in Pyeong­chang vom Pech verfolgt. Nun wird ihr die Förderung gestrichen.

Potas nimmt keine Rücksicht auf unglückliche Einzelschicksale, die aber gerade in Einzelsportarten immer auch dazugehören. Zudem erhöht sich der Druck auf Leis­tungs­träger*innen. Wenn sie nicht liefern, schadet das dem ganzen Verband. Das erzeugt psychischen Druck. Seit vier Jahren krampft die Reform, die noch vom damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière auf den Weg gebracht wurde. Auf der Vollversammlung des DOSB Anfang Dezember lobte sein Amtsnachfolger Horst Seehofer dennoch die Fortschritte.

Skandalöse Vertragsgestaltung

Es bleibt chaotisch, der bürokratische Aufwand ist groß und an die Athlet*innen hat wieder niemand gedacht. Die tragen Unsicherheiten über die Zukunft in ihrer Vorbereitung mit sich herum, während ihre Sportdirektor*innen Fragebögen ausfüllen müssen, statt sich auf wesentliche Aufgaben zu konzentrieren. Auch auf anderer Ebene, der der Trainer*innen, gibt es Probleme. Wie die taz aus dem Umfeld eines Wintersportverbandes erfuhr, werden deren Verträge nur befristet ausgestellt, mancher endet am 31. Dezember 2018. Und weil noch keine Fördergelder beschlossen, geschweige denn geflossen sind, muss mancher Trainer zwei Wochen vor Jahresende um seine Zukunft bangen. Das ist ein Skandal.

Solche Befristungen kennt man aus dem Fußball, dort ist es in den oberen Ligen dank der Millionengehälter aber kein Problem, mal zu pausieren und sich neu zu orientieren. Die Wintersportsaison läuft bis März, das heißt im schlimmsten Fall, dass Sportler*innen in der zweiten Saisonhälfte ohne Trainer*in da­stehen. Und die Grundsatzfrage wird über alledem vergessen: Wieso ist in einem Land wie Deutschland mit seinem Bevölkerungsreichtum und seinen hervorragenden klimatischen und geografischen Bedingungen für nahezu jede Sportart kein flächendeckender Erfolg möglich? Ganz einfach: Es fehlen gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung.

Von dem Geld, das man in der Bundesrepublik für einen Olympiasieg bekommt, kann man kaum ein Jahr leben. Ärgerlich, dass die Spiele nur alle vier Jahre stattfinden. Die Gesellschaft und die Politik müssen sich fragen, wie viel ihnen ein gutes Abschneiden wert ist. Dann kann man vielleicht auch über das Jugendalter hinaus Talente in den Sportarten halten und Erfolge feiern.

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