: Zwischen Siegesserie und Schmach
In der Premier League übernimmt der FC Liverpool mit einer Rekordbilanz die Tabellenführung, in der Champions League indes droht dem Team von Jürgen Klopp gegen Neapel das vorzeitige Ausscheiden
Von Hendrik Buchheister
Jürgen Klopp hat den Blick nach oben gerichtet. Die rechte Hand hat er auf seinem Herzen platziert. So ist der deutsche Trainer neuerdings als Graffiti-Malerei an einer Hauswand im Baltic Triangle zu sehen, dem Liverpooler Künstler- und Kulturdistrikt nur wenige Minuten vom Ufer des River Mersey entfernt. Es handelt sich bei dem Werk eher um eine Auftragsarbeit als um den Ausdruck rebellischer Straßenkunst, was daran zu erkennen ist, dass das Bild auch mit dem Werbespruch des örtlichen Fußball-Vereins („We are Liverpool – This means more“) und dem Logo des Ausrüsters geschmückt ist. Trotzdem transportiert es natürlich eine Botschaft. Die Botschaft lautet: Klopp gehört zum Stadtbild in Liverpool, wie ein Mitglied der Beatles. Er ist eine Ikone, eine Art Schutzpatron.
Der Zeitpunkt für die Anbringung des Gemäldes ist passend gewählt. Klopp erlebt gerade wegweisende Tage beim FC Liverpool. Am Wochenende hat der Traditionsklub in der Premier League die Tabellenführung übernommen durch den 4:0-Sieg beim AFC Bournemouth und die 0:2-Niederlage des bis dahin ungeschlagenen Spitzenreiters Manchester City beim FC Chelsea. An diesem Dienstag geht es für Klopps Mannschaft um das Überleben in der Champions League. An der Anfield Road braucht das Team im abschließenden Vorrundenspiel gegen den SSC Neapel auf jeden Fall einen Sieg, um im Fernduell mit Thomas Tuchels Paris-Saint Germain das Achtelfinale zu erreichen.
Dazu müsste gegen Neapel ein 1:0 oder ein Erfolg mit zwei Toren Unterschied her. Nur wenn Paris in Belgrad verlieren sollte, würde Liverpool jeder Sieg reichen. So oder so gilt: Bei einem Unentschieden oder einer Niederlage wäre Klopps Klub raus. Es wäre eine Schmach für den Finalisten der Vorsaison.
Der FC Liverpool befindet sich in einer zwiespältigen Situation. Während im Europapokal ein unerwartet frühes Alles-oder-nichts-Spiel ansteht, hat die Mannschaft mit dem Sprung an die Tabellenspitze der Premier League gezeigt, dass der erste Gewinn der Meisterschaft seit 1990 tatsächlich ein realistisches Unterfangen sein könnte. Durch die Niederlage von Manchester City bei Chelsea ist Liverpool nach 16 Spieltagen die einzige noch ungeschlagene Mannschaft in Englands Eliteklasse. 13 Siege und drei Unentschieden bedeuten den besten Saisonstart überhaupt in der Geschichte des Klubs. Dass Liverpool trotz dieser Bilanz erst am Wochenende die Tabellenführung übernahm, zeigt, wie außergewöhnlich eng die Lage an der Spitze ist. „Die Liga ist so schwer zu spielen“, sagt Klopp.
Die Eroberung von Platz eins durch den Sieg in Bournemouth war die ideale Vorbereitung auf das Spiel gegen Neapel. Liverpool bot den bislang komplettesten Auftritt der Saison. Auch Einzelleistungen machten Mut, vor allem ist hier Angreifer Mohamed Salah zu nennen. Er tat sich bislang schwer damit, den hohen Maßstäben gerecht zu werden, die er selbst gesetzt hat mit 44 Treffern in allen Wettbewerben in der Vorsaison. Gegen Bournemouth lief er zu großer Form auf und traf dreimal. „Ich war nicht eine Sekunde lang besorgt um ihn“, sagt Klopp über seinen besten Schützen.
Das Spiel gegen Neapel geht der Trainer in dem festen Glauben an Gerechtigkeit an. „Jeder bekommt, was er verdient. Wenn wir gut genug sind, bekommen wir das Ergebnis, das wir brauchen. Wenn nicht, müssen wir Paris und Neapel gratulieren“, sagt er. Dass seine Mannschaft um den Verbleib in der Champions League bangen muss, liegt vor allem an der miserablen Auswärtsbilanz. Für die entscheidende Partie beschwört Klopp den Mythos des eigenen Stadions: „Wir brauchen wieder einmal Anfield und unsere Fans.“
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