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Spielerisch frei Schnauze

Positive Stimmung gegen den Trend: Während andere Popkulturmagazine wie „Spex“ aufgeben, geht es bei „Das Wetter“ in Wedding aufwärts. Ein Besuch zum Fünfjährigen

Von Andreas Hartmann

Ein unabhängiges Printmagazin, bei dem es läuft: Das muss man sich einmal genauer ansehen. Die Kulturzeitschrift oder das Musik- und Literaturmagazin – so genau ist das nicht definiert – Das Wetter feiert sein fünfjähriges Bestehen. Also ab nach Wedding, in dessen Zentrale, die freilich nichts anderes ist als die Wohnung des Zeitschriftengründers Sascha Ehlert. Warum auch groß Redaktionsräume anmieten, wenn man über so eine geräumige Altbauwohnung verfügt wie Ehlert.

Zum Treffen erscheint die gesamte Berliner Redaktion. Herausgeber und Chefredakteur Ehlert natürlich und seine beiden Kolleginnen Caroline Elsen und Katharina Holzmann. Nur Jan Wehn von der Außenstelle in Köln fehlt, der bei Redaktionssitzungen immer per Skype dazugeschaltet wird.

Dafür ist Ehlerts Mutter Heike da. Sie trägt einen kanariengelben Das-Wetter-Hoodie. Merchandise gehe wirklich gut, sagt sie, ein paar Klamotten mit dem Das-Wetter-Logo seien bereits ausverkauft. Für den positiven Kontostand der Zeitschrift sei das kein unwesentlicher Faktor, erklärt Sascha Ehlert. Seine Mutter kümmert sich um Anzeigen, Abrechnungen, Verschickungen. Ihr Arbeitsvolumen: steigend. Schließlich werden inzwischen auch Honorare an Fotografen, Autoren und Illustratoren überwiesen, was in den ersten Jahren des Magazins noch nicht möglich war.

Auf 16 Ausgaben bislang hat es Das Wetter gebracht, das am Kiosk 8,50 Euro kostet. Die Auflage liegt bei 3.000 Stück – für ein Nischenprodukt, was Das Wetter trotz steigender Popularität zweifelsohne immer noch ist, gar nicht mal so wenig. Die ersten vier Jahre seien hart gewesen, sagt Ehlert. Selbstausbeutung war angesagt. Aber inzwischen könne er von seinem Magazin einigermaßen leben. Und die Redakteursgehälter seien zuletzt gestiegen. „Ich bin immer noch erstaunt, wie gut das alles inzwischen läuft“, sagt Caroline Elsen dazu. Groove, Intro und aktuell jetzt auch Spex – etablierte Musik- und Popkulturmagazine mussten in diesem Jahr aufgeben. Zu wenige Leser und sinkendes Anzeigenvolumen, lautet die Diagnose für das Zeitschriftensterben. Die positive Stimmung bei Das Wetter ist eindeutig gegen diesen Trend.

Als er begonnen hat mit Das Wetter, war er noch Chefredakteur bei dem HipHop-Magazin Juice, erzählt Ehlert. Klassischer Musikjournalismus. Porträts schreiben, Plattenrezensionen. Das Schlimmste seien die sogenannten „Phoner“ gewesen, erinnert er sich. Telefonieren mit jemandem in L. A. oder London, um ihm irgendetwas aus der Nase zu ziehen. Weil die Anzeigenabteilung Druck macht. Lebendiger Journalismus kann so gar nicht entstehen.

Mit Das Wetter wollte er dann von Anfang an ein Magazin herausbringen, das all das, was bei klassischen Musik- und Kulturzeitschriften gang und gäbe ist, einfach nicht macht. So gibt es hier beispielsweise überhaupt keine Rezensionen. Katharina Holzmann dazu: „Rezensionen fand ich schon immer langweilig. Bewertungen mit Sternchen – da höre ich mir die Platte doch lieber gleich auf YouTube an.“ Sich mit jemandem im Café zu verabreden und dann ein paar Fragen abhaken, das gibt es möglichst auch nicht. „Ich würde sagen, wir gehen an unsere Geschichten eher literarisch als journalistisch heran“, so Ehlert. Nähe wird gesucht und die Porträtierten werden möglichst in ihrer eigenen Wohnung getroffen. Oder man verabredet sich, um gemeinsam um die Häuser zu ziehen, und hofft, dass dabei etwas Spannendes passiert. Vielleicht nimmt der Porträtierte dabei ja Drogen. Oder man selbst. Was auch nicht schlecht wäre, denn der Autor wird in den meisten Das-Wetter-Geschichten massiv selbst Teil der Story. Der Begriff „Gonzo-Journalismus“ fällt in Sascha Ehlerts Wohnung.

Inhaltlich ist bei Das Wetter so ziemlich alles möglich. „Für Rap-Fans schreiben wir genauso wie für Theatergänger“, sagt Katharina Holzmann. Es geht um Musik und um Literatur, das vor allem. Aber auch um Film und eben Theater. Musikalischer Schwerpunkt ist eindeutig HipHop. Es werden aber auch einfach Kurzgeschichten abgedruckt, und wenn man ein ewig langes Interview mit Maxim ­Biller geführt hat, kommt das auch in einer ewig langen Form ins Blatt, so wie in der vorletzten Ausgabe geschehen. Das Gespräch, in dem Biller schier endlose Antworten geben darf, ist dennoch oder vielleicht gerade deswegen ein echter Knaller.

„Ich würde sagen, wir gehen an unsere Geschichten eher literarisch als journalistisch heran“

Sascha Ehlert, Chefredakteur

Keine bestimmte Formel bedienen, überraschend bleiben, darum geht es hier. „Von Anfang an sollte das Magazin eine Art Spielplatz sein“, sagt Katharina Holzmann. Wichtig ist auch, was Das Wetter alles nicht sein soll. Nicht zu nerdig, sagt sie, nicht zu intellektuell, ergänzt Sascha Ehlert.

„Wir schreiben über das, was uns gerade durch den Kopf schwirrt“, schreibt der im Editorial einer älteren Ausgabe seines Magazins. „Wir machen alles frei Schnauze“, bestätigt er noch einmal.

So also macht man eine Musik- und Kulturzeitschrift, wenn man mit ihr Erfolg haben möchte.

wetter-magazin.com

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