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Romantisches Relikt

Aquavit ist eine skandinavische Erfindung, dort aber heute fast unbezahlbar. Der vor allem mit Kümmel angereicherte Schnaps ist ein unverzichtbarer Begleiter speziell zu Grünkohl

Von Sven-Michael Veit

Kleine Geschenke erhalten bekanntlich die Freundschaft. Zum Beispiel eine Literflasche für Harald. Seit über drei Jahrzehnten bekommt er jeden März von uns eine große Flasche Linie, diesen sanften, goldenen norwegischen Aquavit. Ihm gehört das große, alte Haus am Ende des einsamen Tals irgendwo in Norwegen, in das wir mit 20 bis 30 Leuten einzufallen pflegen, um dort zwei Wochen auf Skiern durch die Berge zu streifen. Der gute Tropfen hält die Freundschaft jung und den Mietpreis niedrig: Zuletzt erhöht wurde er 2010.

Für die Literflasche zahlen wir in Hamburg etwa 25 Euro, im Duty-Free-Shop auf der Kiel-Oslo-Fähre kostet sie fast das Doppelte, in Norwegen selbst mindestens das Dreifache. Kein Wunder, dass Harald wie fast alle echten Nordmänner eine solche kleine Aufmerksamkeit zu schätzen weiß.

Aquavit, aqua vitae, Lebenswasser ist in der Tat eine skandinavische Erfindung, ein fast schon romantisches Relikt aus einer Zeit, als die Wikinger noch straflos Alkohol konsumieren durften. Lang ist’s her. In Rein­form, gebrannt aus Getreide oder Kartoffeln, hat er 96 Prozent Alk. Die genießbare Version muss mindestens 37,5 Prozent haben, meist aber wird gut aufgerundet bis auf 42 Prozent. Und Kümmel muss drin sein, der ist unverzichtbar. Sonstige Ingredienzen und die genaue Rezeptur sind seit alters her Familien- oder Firmengeheimnisse: Koriander, Fenchel, Zimt, Nelken oder auch Dill sind die gängigsten Zutaten.

Linie ist der Gaumenschmeichler unter diesen edlen Branntweinen. Um seiner Entstehung auf die Spur zu kommen, muss man erst mal die halbe Flasche austrinken, selbstverständlich eisgekühlt in einem eisgekühlten Glas. Dann nämlich kann man so langsam die Rückseite des Etikettes entziffern. Dort steht, garantiert, gestempelt und gesiegelt, auf welchem Schiff an welchen Daten dieser Trank in einem Eichenfass unter offenem Himmel zwei Mal den Äquator, die Linie eben, passiert hat – einmal südwärts, einmal auf dem Rückweg zum heimischen Fjord.

Denn, so will es die Legende, dieser samtige Geschmack ist entstanden, weil vor gut 200 Jahren norwegische Matrosen ein Branntweinfass von einer Weltumsegelung unangebrochen (!) zurückgebracht haben sollen und damit eben jenen unvergleichlichen Geschmack, für den seitdem die Tropensonne verantwortlich gemacht wird. Hübsche Geschichte, und mit jedem Gläschen wird sie glaubhafter.

Zu den besten Gebrannten aus deutschen Landen zählt Bommerlunder, der große Klare aus dem Norden. Das Rezept – kurz, hart, ehrlich – stammt aus dem Bommerlund Kro nahe Flensburg, wo heute ein Gedenkstein an das einstige Gasthaus erinnert. Deshalb sei es verziehen, dass der Bommi inzwischen vom Hause Berentzen im niedersächsischen Haselünne hergestellt wird. Und der ebenfalls farblos-durchsichtige Malteserkreuz, bis 2011 in Buxtehude gebrannt, seitdem in Norwegen, wurde 2003 auf der International Wine & Spirit Competition in London als bester „weißer Aquavit“ ausgezeichnet.

Ein ganz feines Stöffchen indes kommt aus Lütjenburg, der schleswig-holsteinischen Kleinstadt zwischen Kiel und Fehmarn, der Rocko Schamoni mit seiner Autobiographie „Dorfpunks“ ein Denkmal setzte. Seit 1824 kreiert dort die Kornbrennerei Detlef Heinrich Boll neben diversen Kornspezialitäten auch ihren sanftgelben Lütjenburger Aquavit. Erhältlich ist er in der urigen Probierstube am Markt 16, in einigen Läden der Region und im Internet unter www.dhboll.com.

Die Hochburg des skandinavischen Feuerwassers indes ist das norddänische Aalborg am Limfjord. Dort werden diverse flüssige Leckereien hergestellt, und auch wenn die schmackhafte Basisvariante Taffel heißt, ist sie keineswegs ein Tafelwasser. Am bekanntesten und zumindest subjektiv am besten ist natürlich der Jubiläums Aquavit, von Fans zärtlich Jubi genannt. Dieser edle Tropfen passt zu allen Speisen. Unverzichtbar ist er zu Grünkohl mit Kassler und Kohlwurst – vorweg als Aperitif, als Verdauungshelferlein zwischendurch und als Digestif zum Abschluss gleichermaßen.

Ein wenig irritierend ist die Edeka-Hausmarke Norgard. Mit verbundenen Augen ist er selbst für trinkfestes Fachpublikum von Jubi kaum zu unterscheiden, kostet aber nur ein Drittel: Billig muss nicht schlecht sein.

Ebenfalls aus Aalborg stammt der unvergleichliche Dild, den ein gerüttelt Maß an Dill würzig und angenehm mild im Abgang macht. Zu Fisch und sonstigen Meeresfrüchten wird er empfohlen – aber das muss beileibe kein Ausschlusskriterium sein für dieses sanfte und aromatische Juwel unter den Lebenswassern.

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