: Aufbruch in den Nebel
Das interdisziplinäre Projekt „Planet Kigali“ möchte aus der Poetik des ruandischen Latore-Tanzes Möglichkeiten eines anderen Miteinanders erproben. Das gelingt nur skizzenhaft
Von Robert Matthies
Eine*r nach der anderen landen sie auf „Planet Kigali“. Mit individuell geschmückten Motorradhelmen auf dem Kopf staken sie minutenlang zur hypnotischen Klangcollage des Hamburger Musikers Andi Otto durch den Bühnennebel wie Astronauten beim Schattenboxen. Drei Männer und drei Frauen: die ruandischen Performer*innen Wesley Ruzibiza, Eliane Umuhire, der 55-jährige Intore-Tänzer Evariste Karinganire, die Berliner Tänzerin Laura Böttinger und die Hamburger Tänzer*innen Frank Koenen und Sarah Laski.
Dann setzen sie die Helme ab und beginnen zu erzählen – mal mit Worten, mal im Tanz, mal in kurzen Filmsequenzen – wie man sich ein zukünftiges Leben auf diesem idealen Planeten vorstellen könnte – inspiriert vom ruandischen Intore-Tanz. In fünf „Tableaux“ wollen sie erproben, wie sich aus der Poetik des zu oft nur als „traditionell“ missverstandenen ruandischen Tanzes ein neues Miteinander erfinden lässt, das Differenzen bestehen lässt und Einzigartigkeit fördert.
Denn im klassischen Kriegertanz Intore werde man von klein auf im „Kwivuga“, im „Sprechen über sich selbst“, geschult, erfährt man im umfangreichen Begleitheft zum Projekt vom ruandischen Tänzer, Autor und Regisseur Dorcy Rugamba: eine Form der Selbstliebe, Selbsterfindung und -behauptung, in der die Einzigartigkeit des Künstlers auch beim gemeinsamen Tanzen bejaht wird. Und die es aus ihrer postkolonialen Zuordnung zum kulturellen Erbe zu befreien und für die Zukunft nutzbar zu machen gelte.
Anderthalb Jahre lang hat Rugamba das Projekt gemeinsam mit der Hamburger Choreografin und Videokünstlerin Yolanda Gutiérrez und dem Hamburger Theaterwissenschaftler und Dramaturgen Jens Dietrich entwickelt; in der titelgebenden ruandischen Hauptstadt Kigali, in Brüssel und Hamburg.
„Planet Kigali“ schließt an die Arbeit Dietrichs und Rugambas für Milo Raus „Hate Radio“ an. Der Schweizer Regisseur stellte in dem Stück 2012 eindrucksvoll einen Tag in der Redaktion des ruandischen Radiosenders RTLM nach, welcher den Genozid von 1994 mit einer brutalen Hetzkampagne vorbereitete und begleitete.
Um Hass und Traumata soll es diesmal aber ausdrücklich nicht gehen, sondern um den nächsten Schritt, um eine Befreiung aus vermeintlich festgeschriebener Historie: „Die Zukunft sollte nicht als fortgeschriebene Gegenwart gedacht werden, in der sich die Dinge weiter angleichen, sondern als Raum, in dem das Unbekannte, das Fremde, das Ungreifbare Teil von uns selbst wird“, schreibt Dietrich im Begleitheft.
So weit, so ambitioniert (und natürlich grundsympathisch). Nur: Auf der Bühne bleibt all das bis zum Ende dann doch zu wenig greifbar, wollen sich die fünf Tableaux und all die interdisziplinären Versatzstücke, aus denen der Abend gebastelt ist, nicht wirklich zu einem mitreißenden Ganzen fügen.
Dabei gibt es durchaus eindrucksvolle Momente. Wenn der Tänzer Evariste Karinganire, der tanzt, seit er fünf Jahre alt ist, mit Gras-Perücke aufführt, wie jener alte Tänzer Sebugegera damals tanzte, als er den sechsjährigen Rugamba bei einer Probe des Balletts „Amasimbi N‘Amakombe“ im Jahr 1976 so beeindruckte, dass ihn der ruandische Tanz bis heute nicht loslässt: Das ist auch an diesem Abend faszinierend.
Oder ein anderer Selbstbehauptungsmoment: Wie die Hamburger Tänzerin Sarah Laski, die jahrelang mit dem Rhythmusspektakel „Stomp“ um die Welt tourte, ihre eigene, eben lautstark stampfende Selbstfeier inszeniert, das ist schon beeindruckend kraft- und hoffnungsvoll.
Alles in allem aber fehlt es gerade den gemeinsamen Choreographien noch zu oft an Prägnanz, bleiben die Konturen des Lebens auf „Planet Kigali“ zu unscharf: Ein Aufbruch in eine Zukunft, die auch am Ende noch zu nebulös bleibt.
„Planet Kigali“: Sa / So, 15. / 16. 12., 20 Uhr, Kampnagel; „Rwandan Arts Club: Anyone can be a Fashion Designer“: Sa, 15. 12., 18.30 Uhr, Kampnagel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen