piwik no script img

„Dirigieren? Ein wunderbarer Sport“

Irmin Schmidt, heute 81 Jahre alt, hat mit der Band Can Rockgeschichte geschrieben. Nun kommt er zu einem Can-Tribute-Abend in die Volksbühne – das Filmorchester Babelsberg und Peaches sind auch dabei

Yes, they Can: Jaki Liebezeit, Holger Czukay, Irmin Schmidt, Peter Gilmour (v. l.) im August 1976 Foto: Photo­shot/ picture alliance

Interview Andreas Hartmann

taz: Herr Schmidt, Sie sind weltberühmt geworden als Keyboarder der Band Can, der immens einflussreichen deutschen Rockgruppe. In der Volksbühne wird man Sie nun in einer anderen Rolle erleben können, als Komponist von Orchesterwerken und als Dirigent – Ihre Profession vor Ihrer Zeit bei Can. Zieht es Sie zurück zu Ihren Wurzeln?

Irmin Schmidt: Ach, diese Art von klassischer Musik habe ich eigentlich immer gemacht. Vor, während und nach Can. Während meiner Zeit bei Can habe ich beispielsweise nebenher immer wieder die Bochumer Symphoniker zu Neuer Musik, John Cage oder sonst was dirigiert. Eigentlich war dieser Bezug zur klassischen Musik immer da bei mir. Dass es in der Musik von Can einen gewissen orchestralen Anteil gibt, wie ich meine, das ist zum großen Teil auch meine Handschrift.

Sie haben inzwischen sogar eine Oper geschrieben und Musik für ein Ballett. In der Volksbühne werden Sie nun im Rahmen eines sogenannten Can Project das Babelsberger Filmorchester dirigieren, das Werke von Ihnen aufführen wird. Was genau ist da zu erwarten?

Ich führe zwei Sachen auf. Einmal Filmmusiken von mir, die von dem Kölner Komponisten Gregor Schwellenbach orchestriert wurden. Das ist ein Projekt, das in diesem Jahr entwickelt wurde. Dann wird es den Can-Dialog geben. Das ist ein viersätziges Werk für großes Orchester. Das hat insofern etwas mit Can zu tun, dass manchmal Zitate oder auch nur rhythmische Assoziationen an Stücke von Can darin vorkommen. Das heißt, die Verweise auf Can tauchen auf und verschwinden wieder. Das Ganze ist kein Werk, in dem bloß Songs der Band neu interpretiert werden, sondern ein ganz selbstständiges Stück für das Orchester. Das hatte seine Uraufführung vor einem Jahr in London. Dort durfte ich das London Symphony Orchestra leiten, eines der berühmtesten Orchester der Welt, das für England ungefähr die gleiche Bedeutung hat wie die Berliner Philharmoniker für Deutschland.

Befriedigt Sie das in irgendeiner Weise, dass Sie nach Ihren Rockjahren nochmals zeigen können, was Sie so als klassischer Komponist und Dirigent draufhaben?

Was heißt befriedigen – ich mache das einfach, weil es mir großen Spaß macht.

Rock und Klassik gelten im Allgemeinen immer noch als zwei verschiedene Paar Schuhe. Für Sie ganz offensichtlich nicht.

Mein ganzes Leben lang war ich bei allem, was ich künstlerisch gemacht habe, eigentlich immer auch ein klassischer Musiker und Komponist. Egal, ob ich nun in einer Rockband gespielt, Filmmusik oder für Orchester geschrieben habe. Ich sehe mich in einer europäischen Kompositionstradition. Und in dieser Tradition stehend, bediene ich mich für meine Musik unterschiedlicher musikalischer Mittel. Die klassische Komponente, das Traditionelle, das 18. und 19. Jahrhundert, ist auch in der Musik von Can angelegt gewesen. Rock und Klassik, nein, für mich ist das kein Widerspruch.

Aber die Arbeitsweisen sind schon unterschiedlich, oder? Die Musik von Can entstand spontan, im Moment, während des Miteinander-Jammens. In der klassischen Musik wird nach Noten gespielt.

Absolut. Die Arbeit an klassischer Musik ist eine andere Sache, als in einer Rockband zu spielen. Ich habe alleine drei Jahre lang an der Partitur für meine Oper geschrieben. Aber man kann auch im Bereich der klassischen Musik mit Spontaneität wie wir damals bei Can arbeiten. Ich habe beispielsweise erst vor Kurzem eine neue Platte mit Klaviermusik veröffentlicht. Das war eine ganz spontane Sache. Dazu hatte ich mir nichts aufgeschrieben, sondern während des Spielens das erfunden, was auf der Platte zu hören ist. Danach wurde nichts geschnitten oder editiert, was wiederum bei der Entstehung von Can-Songs ganz anders war.

Sie sind extra vier Tage vor Ihrem Konzert nach Berlin angereist, um zu proben. Müssen Sie dabei auch erst noch mit dem Dirigieren wieder warm werden? Schließlich machen Sie das ja nicht regelmäßig.

Die drei gemeinsamen Proben wurden einfach deswegen anberaumt, weil sie nötig sind. Weil die Stücke vor allem rhythmisch teilweise nicht ganz einfach sind. Das muss geprobt werden. Und zum Dirigieren sei gesagt: Wenn man das ständig macht, gibt es natürlich eine Routine und Souveränität, die man, wenn man dazu nur seltener kommt, nicht in dem Maße hat, das ist völlig klar. Man verlernt das nicht, so wie man das Fahrradfahren nicht verlernt. Aber wenn man ein paar Jahre lang kein Fahrrad mehr gefahren ist, dann schaukelt man erst einmal doch ein wenig unsicher durch die Stadt.

Anstrengend ist Dirigieren auch. Sie sind immerhin 81 Jahre alt!

Na ja, andere laufen durch den Wald, ich dirigiere. Dirigieren ist durchaus anstrengend, aber wahrscheinlich gerade deswegen werden auch viele Dirigenten so alt. Man trainiert den Kopf, weil man etwas auswendig lernen und sich konzentrieren muss. Und man bewegt sich auch noch dabei. Ein wunderbarer Sport.

Nach der Aufführung Ihrer Kompositionen wird in der Volksbühne noch eine Can-Tribute-Band auftreten. Das Projekt Automat des Gitarristen der Einstürzenden Neubauten, Jochen Arbeit, spielt gemeinsam mit zahlreichen Gästen Stücke von Can. Sind Ihnen all die Musiker, die hier beteiligt sind, ein Begriff?

Das Can Project

Die Kölner Band Can war ein früher Vertreter des sogenannten Krautrock, mit ihren Alben wie „Tago Mago“ (1971) und „Ege Bamyasi“ (1972) wurden sie weltweit geschätzt. Mit Schlagzeuger Jaki Liebezeit und Bassist Holger Czukay verstarben 2017 zwei Gründungsmitglieder der Band, Gitarrist Michael Karoli starb bereits 2001. Irmin Schmidt ist der letzte noch lebende Musiker aus der Can-Urformation.

Im Rahmen des Can Project wird Irmin Schmidt am Sonntag, 16. Dezember, in der Volksbühne das Filmorchester Babelsberg dirigieren, das Filmmusiken von ihm spielt sowie eine neue Kom­position, den „Can Dialog“. Konzertbeginn ist um 20 Uhr.

Eine Can Tribute Band huldigt im Anschluss Schmidts ehemaliger Band – sie besteht aus Musikgrößen wie Automat mit Jochen Arbeit, Peaches, Gemma Ray, Tikiman, Bettina Köster, Max Loderbauer und Andrew Zammit. (aha)

Natürlich. Ich kenne den Jochen (Arbeit) ganz gut. Und natürlich kennt man auch dessen Band, die Einstürzenden Neubauten.

Die schillerndste Gastmusikerin ist sicher Peaches. Wie finden Sie es, dass die dabei ist?

Toll. Wunderbar, dass die mitmacht.

Musiker verschiedener Generationen aus ganz unterschiedlichen musikalischen Feldern werden Ihnen und Ihrer Band Tribut zollen. Sogar jemand wie der Reggae-Sänger Tikiman. Können Sie sich den enormen Einfluss von Can in alle Richtungen erklären?

Wenn man Musik macht, ist man immer Bestandteil einer bestimmten Tradition. Egal, in welcher Stilrichtung man sich bewegt: Man wird immer beeinflusst von seinen Vorgängern. In dem, was andere vor einem gemacht haben, findet man etwas, das einem geistesverwandt vorkommt. Die Musik von Can scheint da gut Anknüpfungspunkte zu liefern. Ich selbst wiederum wurde ja auch von anderen beeinflusst. Von Igor Strawinsky und Béla Bartók. Von Jimi Hendrix und John Coltrane. Das ist ganz normal. Wenn man Musik macht, die mehr als bloß eine kurzzeitige Modeerscheinung ist, dann ist sie Bestandteil einer bestimmten Musiktradition und beeinflusst eben andere, das ist einfach so.

Sie erklären das so nüchtern. Die nicht nachlassende Bedeutung von Can macht Sie aber schon auch ein wenig stolz, oder?

Natürlich finde ich es sehr schön, dass die Musik von Can nun schon seit 50 Jahren wirklich Bestandteil unserer europäischen Musiktradition ist. Wenn man wie ich aufwächst mit der klassischen Musik, mit Bach, Brahms und Webern, dann ist für einen ja das eigentliche Ziel, Bestandteil dieser Tradition zu werden. Zu dieser Tradition gehört auch Musik, die teilweise 500 Jahre alt. Das, was Can gemacht haben, ist immerhin auch schon bis zu 50 Jahre alt und hat immer noch Bestand. Das ist schon ein angenehmes Gefühl.

Bach, Brahms, Webern, Can – eine solche Reihung ergibt eine europäische Musiktradition, würden Sie sagen?

Einerseits. Aber im letzten Jahrhundert kamen natürlich noch neue Musiktraditionen dazu. Nämlich die aus den USA kommenden, Jazz und Rock, die wiederum eine afrikanische Kulturgeschichte hinter sich haben. All das zusammen gehört jetzt zu unserer Tradition, die sich deswegen auch enorm bereichert, vergrößert und verbreitert hat. Als Ökonom würde man sagen: globalisiert hat.

Was hören Sie denn selbst am liebsten für Musik?

Ich höre eigentlich gar nicht so viel Musik. Weil ich Musik nicht nebenbei hören kann. Musik zu hören ist richtig Arbeit für mich. Aber wenn, erkunde ich natürlich querbeet. Alte und neue Sachen. Dazu viel außereuropäische Musik, etwa aus Japan, für die ich eine ungeheure Faszination entwickelt habe.

Luci Lux

Irmin Schmidt

gründete 1968 die Band Can mit, arbeite zuvor als Dirigent und Komponist im Bereich der klassischen Musik. Er studierte u. a. bei Karlheinz Stockhausen.

Von Cans Gründungsmitgliedern sind Sie der letzte Überlebende. Gitarrist Michael Karoli ist schon länger tot, Holger Czukay und Jaki Liebezeit 2017 gestorben. Wie fühlt sich das an für Sie?

Mit Sicherheit stimmt einen das nicht fröhlich. Das ist schmerzlich. Viel mehr möchte ich dazu auch gar nicht sagen. Es schmerzt halt. Und zwar gewaltig.

Denken Sie nicht manchmal an die Rente, daran, auch mal aufzuhören mit der Musik?

Aufzuhören würde für mich bedeuten, dass das Leben aufhören würde. Und das plant man ja nicht. Das passiert einem leider ja irgendwann. Noch ist es dafür zu früh für mich.

Sie werden also bis zum Ende immer weitermachen?

Aber sicher doch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen