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Der Charme des Unscheinbaren

Christian Hornung ist auf dem besten Weg, Hamburgs Filmchronist zu werden. Nach seinem St.-Pauli-Eckkneipen-Film „Manche hatten Krokodile“ hat er mit „Das schräge Herz“ den Stadtteil Altona-Nord porträtiert

Von Wilfried Hippen

Es ist nicht schwer, über St. Pauli einen Film zu machen, aber Altona-Nord ist ein ganz anderes Kaliber. Christian Hornung hat sehenswerte Filmporträts von beiden Hamburger Stadtteilen gedreht. Für „Manche hatten Krokodile“ ist er in die Eckkneipen von St. Pauli gegangen, hat die Stammgäste und die Bedienung dort erzählen lassen und das Ergebnis war einer der schönsten Hamburger Heimatfilme der letzten Jahre (Kritik in taz vom 6. 4. 2016). Nicht umsonst gibt es über 20 Filme, die mit dem Mythos St. Pauli in ihren Titeln locken. Der Erste war der Stummfilm „Das Geheimnis von St. Pauli“ aus dem Jahr 1926. In Altona-Nord dürfte dagegen noch kein einziger Film gedreht worden sein.

Und auch Christian Hornung spürte nicht unbedingt einen künstlerischen Drang, der ihn dazu bewog, diesen Stadtteil mit der Kamera zu erkunden. Stattdessen bekam er schlicht einen Auftrag dazu. Gerade weil Altona-Nord ein Viertel ohne Identität ist, wollte der Verein Bürgertreff Altona-Nord, dass ein Film gemacht wird, durch den die Bewohner von Altona-Nord einen Eindruck davon bekommen, wo sie da eigentlich wohnen. Ein netter kleiner Imagefilm wurde bestellt, 30 Minuten lang sollte er sein und entsprechend klein war dann auch das Budget.

Schließlich wurden aus den geplanten 10 Drehtagen 25, statt ein paar Monaten arbeitete Hornung über ein Jahr an dem Film und dieser wurde 70 Minuten lang. Irgendwann während der Dreharbeiten packte Hornung der künstlerische Ehrgeiz und das Ergebnis ist dann doch eher ein Autorenfilm als eine Auftragsarbeit. Denn Hornung hat bei „Das schräge Herz“ alles selber gemacht: Regie, Kamera, Ton und Schnitt. Es gibt dann auch ein paar Schnitzer: Einige Bilder sind nicht ganz scharf und einmal sieht man am rechten Bildrand Teile der Kameraausrüstung, aber perfekt soll und kann dieser Film ja auch gar nicht sein.

Stattdessen gelingt es Hornung, so etwas wie den Charme des Unscheinbaren einzufangen. Am Anfang des Films zeigt er etwa seinen Protagonisten den vergrößerten Teil eines Stadtplans von Altona-Nord, denn viele wissen gar nicht, dass ihre Wohnungen zu diesem Stadtteil gehören. Und dann fragt er sie, woran sie der Umriss des Viertels erinnert. Und sie antworten: an einen Schmetterling, einen Hundekopf oder ein Herz, aber ein schräges. Als „kleine Nischen, zwischen großen Straßen eingequetscht“ definiert einer der Protagonisten den Stadtteil und der Stadtteilpolizist, der in Altona-Nord aufgewachsen ist, erzählt, dass es ihn als Kind immer „Richtung Eimsbüttel gezogen hat“, weil da mehr los war.

Eine Kneipe, die einen Besuch mit der Kamera gelohnt hätte, hat Hornung nicht gefunden. Aber dafür klagt ihm der Besitzer des Ladens für „English Books & British Foods“ sein Leid: Es gibt kaum Laufkundschaft, es ist sehr laut vom Verkehr – nur die Miete sei günstig. Der Gemüsehändler Ali denkt da schon weiter: Er merkt, dass immer mehr Besserverdienende in den Stadtteil ziehen und er sei einer der Gewinner, denn diese Kundschaft kauft lieber in seiner Bioecke als im Supermarkt. Aber wenn seine Wohnung gekündigt würde, müsse er wohl mindestens 50 Kilometer wegziehen, um noch die Miete bezahlen zu können.

In Altona-Nord findet Hornung keine Originale, die ihm Seemannsgarn erzählen. Aber auch der britische und der iranische Ladenbesitzer sind gute Protagonisten, die erzählen können und in den kleinen Charakterstudien (Hornung war mit der Kamera jeweils einen Tag lang in ihren Läden zu Gast) erstaunlich lebendig werden.

An dem Musical-Theater Neue Flora fährt Hornung nur ein paar Mal mit der Kamera in der Hand vorbei. Stattdessen stellt er alternative und nicht-kommerzielle Initiativen und Vereine vor. So etwa die Nachbarn, die an einem „Platz ohne Namen“ wohnen, und dort gemeinsam Feste, Flohmärkte und Open-Air-Kino-Vorführungen organisieren. Im Zentrum für Frauen „Flaks“ gibt es Hilfsangebote für geflüchtete Frauen, eine Grundschule führt in einem Projekt eine Woche lang junge Schüler und Demenzkranke zusammen.

Eine Kneipe, die einen Besuch mit der Kamera gelohnt hätte, hat Hornung nicht gefunden

Die Genossenschaft Fux hat die ehemalige Viktoriakaserne gekauft und baut sie in ein Künstlerhaus um, in dem übrigens auch Christian Hornung seine Arbeitsräume hat. Es gibt ein inklusives Theater, eine Lebensmittelausgabe für Bedürftige und ein Stift, in dem Frauen im Alter zwischen 60 und 95 Jahren wohnen können. Hornung zeigt, wie sich hier Bürger meist ehrenamtlich engagieren und wie sie dadurch jeweils in kleinem Rahmen ihren Stadtteil kulturell und gesellschaftspolitisch bereichern.

Hornung hat auch ein Biotop mitten im Gewerbegebiet von Altona-Nord entdeckt. Direkt neben der Holsten-Brauerei hat eine Hausgemeinschaft einen wilden Garten mit Efeu, das sich an den hohen Mauern ausgebreitet hat, und darin nisten viele verschiedene Vogelarten – darunter angeblich auch der seltene Hopfenvogel, doch dies ist wohl einer der wenigen Mythen des Stadtteils. Aber das Idyll ist bedroht, denn im nächsten Jahr zieht die Brauerei um und das Betriebsgelände wird dann zu einer riesigen Baustelle, auf der ein neues Wohnquartier gebaut werden soll.

Christian Hornung ist auf dem besten Wege, der Filmchronist von Hamburg zu werden. In Freiburg aufgewachsen ging er für den Zivildienst nach Hamburg und blieb dort hängen. Er studierte Visuelle Kommunikation an der Hochschule für bildende Künste und sein Abschlussfilm „Glebs Films“, der 2010 auf der Berlinale gezeigt wurde, ist ein Kurz-Dokumentarfilm über einen Friseur in Hamburg-Altona, der davon träumt einen Film zu machen.

„Das Schräge Herz“ wird vom Verein Bürgertreff Altona-Nord vor allem für die Arbeit im Stadtteil eingesetzt. So gab es etwa schon eine Open-Air-Vorführung auf dem „Platz ohne Namen“. Am 16. Januar wird der Film im Lichtmess Kino gezeigt und später im Jahr soll er dann online gestellt werden.

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