Das ganz normale Morden
Am Dienstag wird in Stuttgart das „Hotel Silber“ eröffnet. Die einstige Gestapozentrale ist nun umgestaltet zum Haus der Geschichte und wird Gedenkort für die Verbrechen in der Zeit der NS-Diktatur
Von Benno Stieber
Stuttgarts neuer Geschichtsort liegt der Stadt quer. Zwischen Buchkaufhaus und luxuriösen Möbelboutiquen, nicht weit vom Charlottenplatz, direkt im Herzen der Innenstadt. In den blinden Fenstern stehen mit großen Lettern Schlagworte wie „Widerstand“ und „Würde“. Ein wohltuender Fremdkörper, gerade jetzt im beginnenden Weihnachtstrubel. Selbst Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) freut sich bei der Pressekonferenz über diesen befremdenden Ort mitten im Einkaufsrummel. Das „Hotel Silber“ sei ein „zentraler Ort, von dem aus Naziterror ausgeübt wurde“.
Da könne jetzt keiner mehr behaupten, dass es Nationalsozialisten nur im fernen Berlin gegeben habe. Jetzt gibt es ihn also wirklich, Stuttgarts ersten Ort des Gedenkens an die Zeit des Nazi-Regimes. Nach viel Druck von Bürgern und einer langen, teils aufreibenden Diskussion über das Wie und Wo. Damals, 2009, noch unter Kuhns Vorgänger Wolfgang Schuster, hätte die Stadt das Grundstück lieber einem schwäbischen Kleiderhaus für einen weiteren Konsumtempel überlassen.
Ein Guckfenster in die Arrestzellen könnte man in das Kaufhaus vielleicht integrieren, lautete damals ein Kompromissvorschlag. So hätte man zwischen zwei Anproben einen Blick in jene Zelle werfen können, in der etwa die Jüdin Else Josenhans von einem Gestapo-Mann noch in den letzten Kriegstagen gehängt wurde.
Harald Stingele Vorsitzender der „Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber“, schüttelt es heute noch, wenn er an die „Gedenkstätte für Gucci und Prada“, wie er sie nennt, denkt. Jahrelang hat Stingele mit einem Verbund aus Initiativen und Bürgern für einen echten Geschichtsort gestritten, bis 2011 feststand, dass das Gebäude vor dem Abriss bewahrt wird. Was in diesem Fall vor allem der Landes-SPD zu verdanken ist, die den Gedenkort Hotel Silber in die Koalitionsvereinbarungen mit den Grünen hineinschreiben ließ. 2016 stand dann die Finanzierung für einen Gedenkort mit eigener Ausstellung.
Kontinuitäten untersuchen
Die Ausstellung zeigt Lebensläufe und Dokumente von Todesurteilen, die an Schreibtischen gefällt wurden
Am Dienstag nun eröffnet das Hotel Silber als Lern- und Geschichtsort auch für die Öffentlichkeit. Es ist ein ungewöhnlicher und mutiger, vielleicht einzigartiger Ansatz, den die Kuratoren hier verfolgen. Die Ausstellung widmet sich den Tätern in der Polizei, von denen fast alle schon in der Weimarer Republik Dienst getan hatten und von denen einige wenige auch nach 1945 im Polizeidienst bleiben konnten. Der Ort will also Kontinuitäten im Polizeiapparat unter wechselnden Systemen untersuchen. Das hat für nicht wenige Konflikte bei der Konzeption gesorgt. Unstrittig ist: Das Hotel Silber ist dafür so geeignet wie kaum ein anderer Ort. Von 1928 bis 1984 wurde das ehemalige Luxushotel im Gründerzeitstil durchgehend als Polizeistation genutzt. In der Weimarer Zeit zog die politische Polizei in der Dorotheenstraße 10 ein, 1933 übernahm es die Gestapo.
Eine beispielhafte Figur für diese Kontinuität ist Rudolf Klaiber. Polizeipräsident in der Weimarer Zeit, dem schon damals von Sozialdemokraten eine große Nähe zu den Nazis vorgeworfen wurde und der die politische Polizei in Stuttgart nach der Machtübernahme der Nazis 1933 geräuschlos in die Gestapo überführte. Klaiber blieb bis zu seiner Pensionierung 1938 Polizeipräsident.
In den historischen Räumen, die mit ihrer neuen, sehr sauberen architektonischen Gestaltung gar nicht erst versuchen, die Atmosphäre von Amtsstuben vor fast hundert Jahren nachzuempfinden, wird nur gelegentlich der Blick auf ein echtes Stück Geschichte freigegeben, etwa eine historische Arrestzellentür. Das ermöglicht die Konzentration auf Dokumente, Behördenstrukturen, Lebensläufe und immer wieder die konkreten Auswirkungen von Entscheidungen, die hier an Schreibtischen getroffen wurden. Ein Film aus der Zeit zeigt eine Judendeportationen im schwäbischen Dorf Laupheim. Auf dem Tisch davor liegt die Ausführungsbestimmung der Gestapo dazu, die hier unterschrieben wurde. „Wir zeigen hier NS-Alltag“, sagt der Leiter des Hauses der Geschichte, Thomas Schnabel, „das ganz normale Morden“.
Sichtbar werden so die langen Linien von Kriminalisierung und Verfolgung bestimmter Volksgruppen, die, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, in allen drei Staatsapparaten überdauern. Die Beamten im Hotel Silber verfolgen Homosexuelle in allen drei Regimen. Auch Sinti und Roma werden unabhängig von Demokratie oder Diktatur oft pauschal als „kriminelle Elemente“ verfolgt. Die Presse berichtet noch in 1950er Jahren von Misshandlungen im Hotel Silber. Die Opfer sind Frauen, die unter Abtreibungsverdacht stehen. Es ist von Gestapo-Methoden bei der Sittenpolizei die Rede. Auch Antisemitismus hat in den Behördenstuben das Kriegsende überdauert.
In der Ausstellung ist der Fall von Samuel Danziger dokumentiert. Danziger hatte Auschwitz und den Todesmarsch zum österreichischen KZ Mauthausen überlebt. Nach seiner Befreiung kam er nach Stuttgart, wo er seine Frau und seine Kinder wiedertraf. Bei einer Razzia, die die Stuttgarter Polizei im März 1946 im Quartier für „Displaced Persons“ durchführte, wurde Danziger von der Polizei erschossen. Beobachter der „United Nations Relief and Rehabilitation Administration“ geben zu Protokoll, die Polizei habe ohne Gegenwehr das Feuer eröffnet. Die US-amerikanische Militärpolizei verbot den deutschen Beamten nach dem Vorfall den Zugang zu den Flüchtlingslagern.
Wurzeln des Totalitarismus
Wo lagen die Wurzeln des Totalitarismus? Wann hätte man einschreiten müssen? Haben Beamte und Behörden in Weimar versagt? Solche Fragen sind in den letzten Jahren wieder aktuell geworden. Da sind die Morde des NSU, die kein Ermittler ernsthaft für rechtsradikalen Terror gehalten hat, bei denen die Rolle von V-Leuten bis heute nicht geklärt ist, da sind mutmaßliche Netzwerke von Rechten bei den Spezialeinheiten der Bundeswehr und Beamte, die in Baden-Württemberg gern Mitglied des Ku-Klux-Klan geworden wären, und da ist ein Verfassungsschutzchef, der Politik macht. Als Staatsbürger sei er nicht froh darüber, dass die Fragen, die der Geschichtsort Hotel Silber aufwirft, so große Aktualität erhalten haben, sagt Thomas Schnabel, der den Gedenkort künftig als Außenstelle seines Museums führen wird. Es könnte auch zum Ort der kritischen Selbstbefragung der Polizeibehörden in der Demokratie werden. Das Hotel Silber hat bereits eine enge Kooperation mit der Polizeihochschule Baden-Württembergs beschlossen. Ein Besuch der Dauerausstellung soll zur Pflichtveranstaltung für die Polizeirekruten des Bundeslandes werden.