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Herr Le, Frau Thuy und ihr Laden

Es rumort in Prenzlauer Berg. Der kleine Supermarkt Lekr im Bötzowkiez steht mit dem Rücken zur Wand, weil er am Sonntag nicht mehr öffnen darf. Die einen geben den Nachbarn die Schuld, die anderen der AfD. Doch eigentlich liegt es an den Berliner Ladenöffnungszeiten

Von Susanne Messmer

Sieben Grad und kalter Niesel. In der Hufelandstraße in Prenzlauer Berg fahren gerade erst viele der zahlreich vorhandenen Cafés langsam ihre Rollos hoch. Nur Van Dan Le räumt bereits zackig einen Lieferwagen voller Getränkekisten aus. „Lekr – Der Kaufmann nebenan“ steht über seinem kleinen Supermarkt im Bötzowkiez – „Lekr“ ist ein Wortspiel aus Herrn Les Namen und dem eines deutschen Freundes, der beim Einrichten des kleinen Supermarkts half.

Herr Le trägt schwarze Ohrenschützer, er reibt sich die Hände. „Ich bin sehr glücklich über die Solidarität meiner Kunden“, sagt er. Vor zwei Wochen erst ist eine Unterschriftenaktion im Bötzowviertel zu Ende gegangen. 2.875 Menschen haben sich dagegen ausgesprochen, dass sein Laden nach dem Willen des Ordnungsamts Pankow zukünftig am Sonntag geschlossen bleiben soll.

Seit 19 Jahren führen Van Dan Le und seine Frau Thi Song Thuy ihr 180 Quadratmeter großes Geschäft – und da der Sonntag der umsatzstärkste Tag des familiengeführten Betriebes war und die Mieten im Kiez nicht gerade moderat sind, besteht durchaus die Gefahr der Schließung. Auch läuft gegen Herrn Le nun ein Ermittlungsverfahren.

Im Lekr sind die Gänge so eng, dass selbst die besorgtesten Mütter ihre Kinderwagen vorm Laden parken. Bio-Espresso und Schmelzkäse, Holzleim und Blumenerde, Hundeknochen und die neueste Ausgabe der Zeitschrift Yacht: Der Lekr ist dafür berühmt, dass es hier nichts gibt, was Herr Le nicht bis zum nächsten Tag besorgen könnte. Hier gehen die letzten Alten einkaufen, die noch im Kiez wohnen – und berufstätige Eltern, die keine Zeit haben für ausschweifende Wochenendeinkäufe. „Ich weiß gar nicht, was ich ohne Herrn Le machen sollte“, lächelt eine Dame in den Siebzigern mit akkurater Dauerwelle. „Hier würde echt was fehlen“, meint ein Mann in den Vierzigern mit dicker Hornbrille.

Viel ist in den letzten Wochen über den Ärger um den Lekr geschrieben worden, manchmal schwang in den Texten Häme mit. Tatsächlich parken in dieser Ecke von Prenzlauer Berg fast nur noch ausgesprochen hochglänzende Autos und am Wochenende stolpert man an jeder Ecke über Prominenz wie Michi Beck, Jan Delay und Sarah Kuttner. Warum soll sich eine vietnamesische Familie rund um die Uhr für die Luxusbedürfnisse solcher Leute schinden?, so der Unterton in den Berichten.

Auf und zu

Offen bleiben Nach dem Berliner Ladenöffnungsgesetz darf es im Jahr nur acht verkaufsoffene Sonn- oder Feiertage geben. Erst kürzlich hat die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales die verkaufsoffenen Sonntage für das erste Halbjahr 2019 in Berlin bestimmt: am 27. Januar zur Grünen Woche, am 17. Februar zur Berlinale und am 10. März zur Internationalen Tourismus-Börse.

Geschlossen bleiben Für die rund 2.000 Spätis in dieser Stadt gilt laut Berliner Ladenöffnungsgesetz, dass sie sonntags von 13 bis 20 Uhr öffnen dürfen, wenn sie ausschließlich Touristenbedarf (Stadtpläne, Zigaretten, Andenken) sowie „Lebens- und Genussmittel zum sofortigen Verzehr“ anbieten. Läden wie der Lekr, die alle möglichen Lebensmittel und sonstige Waren anbieten, müssen sonn- und feiertags geschlossen bleiben. Die meisten Spätis öffnen trotzdem und riskieren damit deftige Bußgelder. (sm)

„Ich bin in Südvietnam als Sohn eines Obstbauern groß geworden, dann habe ich ein Stipendium bekommen und konnte in der DDR Kybernetik studieren“, berichtet schulterzuckend Van Dan Le. Wie viele Menschen aus Vietnam, die als Vertragsarbeiter oder Studierende in die DDR gekommen sind, haben Van Dan Le und Thi Song Thuy nach der Wende kämpfen müssen, um bleiben zu können. Dann kamen vier Kinder. Sie sind im Lekr groß geworden, haben viel mitgeholfen. „Arbeit ist mein Leben“, sagt Van Dan Le.

„Warum es ausgerechnet die familiengeführten Betriebe im Kiez so schwerhaben sollen, das sehe ich nicht ein“, sagt auch Stefan Gehrke in seinem Kommunikationsbüro, schräg gegenüber vom Lekr. Er hat die Unterschriftenaktion für den Lekr organisiert. Er weiß, dass er mit seiner Petition außer medialer Aufmerksamkeit nicht viel wird erreichen können. Denn eigentlich muss das Gesetz über die Ladenöffnungszeiten gelockert werden. „Solange niemand dieses Gesetz in die Hand nimmt, wird das Ordnungsamt immer wieder einschreiten“, so Gehrke, wenn es eine Beschwerde gibt.

So wie im Fall vom Lekr.

Schade, dass das Ordnungsamt auch der Presse aus Gründen des Datenschutzes nicht offenlegen darf, wer sich wohl im Bötzowkiez vom Supermarkt belästigt gefühlt haben mag.

Der Sonntagist der umsatz- stärkste Tagim Supermarkt

Der Lekr ist nur ein betroffener Laden in Prenzlauer Berg, in den letzten Jahren wurden viele ähnliche Fälle in Neukölln bekannt. Immer wieder mussten Spätis Ordnungsstrafen zahlen, weil sie sonntags aufhatten. Ein einziger Polizist erstattete immer wieder Anzeige, wenn die Spätis mehr als Touristenbedarf und Getränke verkauften, zum Beispiel Butter oder Tiefkühlpizza. Ein echtes Problem für die Läden. Diese Berliner Mischung aus Eckkneipe und Kieztreffpunkt, Ersatzsupermarkt und Rumpelkammer, die inzwischen ein stärkeres Symbol für Berlin sind als der Fernsehturm und die Weltzeituhr.

Erst im Juni haben die Berliner Grünen wieder beschlossen, sich für eine Lockerung des Berliner Ladenöffnungsgesetzes einzusetzen. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) sagt beispielsweise, die Spätis gehörten zur Kiezkultur. Andere klagen, das Gesetz sei ohnehin viel zu kompliziert. Nur Berlins Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linke) bleibt stur und sagt, eine Änderung des Gesetzes sei nicht vorgesehen. Kirche und Gewerkschaften wird das gefallen.

Wer dieser Tage durch das Bötzowviertel schlendert, der hört viel Unmut über den Fall Lekr, aber auch von viel anderen Sorgen. Die Vorgaben des Ordnungsamts seien generell härter geworden, heißt es immer wieder, besonders seit den zwei Jahren, in denen Daniel Krüger von der AfD Bezirksstadtrat in Pankow für öffentliche Ordnung und Umwelt ist. Unabhängig voneinander berichten mehrere Gastronomen, die nicht beim Namen genannt werden wollen, um den Ärger nicht zu vertiefen: Die Auflagen der Lebensmittelhygiene von superteuren Spülmaschinen bis hin zu totaler Staubfreiheit seien hier im Kiez überhaupt nicht mehr zu erfüllen. „Es passt schon ganz gut, dass sich Krüger mit dem Satz zitieren lässt, ihm sei die Stadt viel zu dreckig“, berichtet einer.

„In meinem Amt sind zwei völlig voneinander unabhängige Abteilungen für die Ladenöffnungszeiten und die Lebensmittelhygiene zuständig, das kann überhaupt nichts miteinander zu tun haben“, weist Daniel Krüger gegenüber der taz diese Vorwürfe zurück. Eigentlich lässt er eher durchblicken, dass er den kleinen Supermarkt Lekr lieber in Ruhe gelassen hätte. „Man müsste vielmehr den Einzelhandel stärken, damit er gegen den Online-Handel ankommt.“

Ähnlich sieht das seine Kollegin Rona Tietje (SPD), Bezirksstadträtin für Jugend, Wirtschaft und Soziales in Pankow. Man habe das Problem erkannt, sei auch im Gespräch mit den erwähnten Gastronomen im Bötzowkiez, sagt sie. „Supermärkte wie der Lekr machen Berlin besonders.“ Wenn es für sie zunehmend schwerer werde, dann könnte selbst der Prenzlauer Berg eines Tages ähnlich veröden wie viele Innenstädte in kleinen und mittelgroßen Städten in dieser Republik.

Abhilfe schaffen kann man am Bezirk aber nicht. Das könnte nur das Land Berlin. Mit einem neuen Ladenschlussgesetz.

In der Zwischenzeit plant Gehrke eine Soli-Veranstaltung für Van Dan Le, falls dieser zu einer Ordnungsstrafe verknackt werden sollte. Nebenan, berichtet Gehrke, leben auch Filmemacher Andreas Scheffer und Schriftstellerin Karin Kalisa. Der eine hat sich für seinen Film „Longs Laden“ vom Supermarkt Lekr inspirieren lassen, die andere für ihren Roman „Sungs Laden“. Beide hätten Lust auf eine Veranstaltung für Herrn Le.

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