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Enthusiasmus und Bratkartoffeln

Vor 100 Jahren wurde die Novembergruppe gegründet, Sammelbecken der Avantgarde. Die Ausstellung„Freiheit. Die Kunst der Novembergruppe 1918–1935“ in der Berlinischen Galerie zeigt viele unbekannte Details

Von Brigitte Werneburg

Hundert Jahre Novemberrevolution: Da liegt es für den Kunstbetrieb nahe, zum Jubiläum jene „Vereinigung der radikalen bildenden Künstler“ zu würdigen, die sich tatsächlich schon während der Revolutionstage im November 1918 zusammengefunden hatte. Schlicht Novembergruppe benannt, war sie − wie es sich im Verlauf der Geschichte herausstellte − ein regelrechter Promitreff der Avantgarde. Mit bekannten Namen wie Hannah Höch, Otto Dix, Walter Gropius, Piet Mondrian, El Lissitzky, Ludwig Mies van der Rohe, George Antheil oder Paul Klee, um nur einige zu nennen, sollte man einer bekannten Geschichte und ikonischen Kunstwerken begegnen.

Doch diese Annahme trügt – was die Ausstellung in der Berlinischen Galerie dann erst richtig spannend macht. Die Kurator*innen Janina Nentwig und Ralf Burmeister sprechen von der Novembergruppe als der „bekanntesten unbekannten Kreativgemeinschaft“. Erstmals wurde ihre Geschichte 1969 in einer Publikation der Kunsthistorikerin Helga Kliemann aufgearbeitet. Deren Wunsch, ihre Arbeit möge weitere Forschungen anstoßen, fand wenig Widerhall. Und so stellt „Freiheit. Die Kunst der Novembergruppe 1918–1935“ auch deren erste monografische Würdigung auf musealer Ebene dar. Man verstand sich weniger als kompakte Formation eines Kollektivs denn als Signal für eine fundamentale gesellschaftliche Erneuerung mit künstlerischen Mitteln. Entsprechend herrschte ein deutlicher Stilpluralismus von Expressionismus, Kubismus, Futurismus bis Neue Sachlichkeit in dem multidisziplinär ausgerichteten Kreis. Auch Architekten, Filmemacher, Schriftsteller und Komponisten wurden als Mitglieder begrüßt, sofern sie „auf dem Boden radikaler Kunstanschauung stehen“, wie es im Beschluss von 1922 hieß.

Durch die chronologisch geordneten Ausstellungsräume lässt sich der Werdegang des Zusammenschlusses dann doch unkompliziert nachvollziehen. Die Protagonisten der neuen Medien Film und Rundfunk treten etwa erst um 1925 in Erscheinung. Ein eigens gebauter kleiner Ausstellungsraum, der an den „Konstruktion und Sachlichkeit“ betitelten Überblick von 1922 und 1928 anschließt, rekonstruiert die Matinee „Der absolute Film“ im UFA-Filmtheater am Kurfürstendamm im Mai 1925. Bei den Bewegtbild-Experimenten, den die Novembergruppe mit der Kulturabteilung der UFA ausrichtete, kamen Arbeiten ihrer Mitglieder Hans Richter, Viking Eggeling, Walter Ruttmann, Fernand Léger, Dudley Murphy sowie Francis Picabia und René Clair zur Aufführung.

Auch auf den Radioabend am 11. Mai 1925 wird verwiesen, den der zeitweilige Vorstand der Gruppe, Hans Siebert von Heister, organisiert hatte, mit lyrischen Beiträgen der Gäste Bertolt Brecht und Carl Zuckmayer. Ganz offenkundig war es ein zentrales Anliegen der Vereinigung, ihren fortschrittlichen künstlerischen Positionen größtmögliche Bekanntheit und Verbreitung zu verschaffen.

Hatte man in den revolutionären Novembertagen noch ein Mitspracherecht bei öffentlichen Bauaufgaben gefordert – genauso wie bei der Reform der Kunsthochschulen, der Neuorganisation der Museen und der Kunstgesetzgebung –, gab man diese kulturpolitischen Ambitionen in der Folge rasch auf. Die ebenfalls von Anfang an proklamierte „engste Vermischung von Volk und Kunst“ nahm man dagegen sehr ernst und engagierte sich stark in der Vermittlung von Kunst. Auf das Unverständnis des Publikums – vor allem hinsichtlich Dada – bei der staatlich organisierten, jährlichen Großen Berliner Kunstausstellung, zu der die Gruppe seit 1919 zugelassen war, reagierte man beispielsweise mit eigenen, speziell für das Laienpublikum entwickelten Ausstellungsführern.

Auf größere Begeisterung bei Publikum wie Kritik stießen dort freilich die Architekten der Novembergruppe. Noch hatte die Utopie Konjunktur, wie etwa die Zeichnungen der Gebrüder Hans und Wassily Luckhardt oder Hans Poelzig belegen: Einreichungen zu dem von der Turmhaus AG ausgelobten, legendären „Ideenwettbewerb für ein Hochhaus am Bahnhof Friedrichstraße“, die sie 1922 auf der Großen Berliner Kunstausstellung zeigten. Ludwig Mies van der Rohes Idee eines transparenten Hochhauses ist in der Berlinischen Galerie nun als Nachbau seines Plexiglasmodells zwischen das Modell der Sternkirche von Otto Bartning und dem Modell einer Tankstelle gesetzt, die der Bildhauer Rudolf Belling mit Alfred Gellhorn und Martin Knauthe entworfen hatte.

1924 wurde Mies van der Rohe denn auch zum Vorsitzenden der Novembergruppe gewählt, die so gut wie alle Protagonisten des Neuen Bauens vereinte. Zu dieser Zeit kam die Bauwirtschaft wieder in Schwung und die Generation moderner Architekten zum Zuge. Sie machten die Novembergruppe mehr und mehr zu ihrem Zweckverband, bis sie sich 1927, nach Gründung einer eigenen Vereinigung mit dem Namen Der Ring, ganz verabschiedeten. Da war der Begriff des November als Synonym für die Strategien einer grundstürzenden gesellschaftlichen Veränderung schon historisch. Auch bei den bildenden Künstlern, den Literaten und Musikern.

Ein Rezensent konstatierte schon 1925, das Publikum sei auf ihre Seite übergelaufen. „Teils aus Ueberzeugung und Ueberdruß am Ueberkommenen oder modischen Zickzack. Teils aus Sympathie, die der Mensch so leicht aus Mitgefühl oder Eitelkeit etwas ‚Gewagtem‘ entgegenbringt“, wobei er kritisch anmerkt: „Nun – von ‚Gewagtem‘ ist eigentlich nicht mehr viel zu reden. Wo man den Wolf vermutete – wer betrat nicht die Ausstellungen nach dem Kriege mit leichtem Herzklopfen? – steht ein Lamm.“

Es war radikale Erneuerung mit künstlerischen Mitteln

Adolf Hitler, der 1928 die Große Berliner Kunstausstellung besuchte, sah freilich nur schwarze Schafe, die auszusperren und zu vernichten er sich da wohl schon vornahm. Er war nicht der Erste und Einzige, der sich an der Kunst der Novembergruppe stieß. Anders als Otto Dix’ und Rudolf Schlichters Prostituiertendarstellungen, die auf Druck der Leitung zurückgezogen werden mussten, blieben die „Industriebauern“ von KPD-Mitglied Georg Scholz auf der Großen Berliner Kunstausstellung 1921 trotz heftiger Proteste unbehelligt hängen.

Die Leihgabe des Von der Heydt-Museums in Wuppertal zählt zu den kanonischen Werken der Weimarer Moderne, die im Kontext der Novembergruppe Öffentlichkeit erlangten. Auch Piet Mondrians „Tableau I.“ (1921), das vom Museum Ludwig in Köln kommt, gehört dazu oder George Grosz’ Sittenbild der Reaktion, „Stützen der Gesellschaft“ (1926), das die Nationalgalerie ausgeliehen hat. Daneben trifft man aber auch auf ein ebenso fantastisches wie stark unterschätztes und daher wenig publiziertes Bild wie Karl Völkers „Beton“ (um 1924). Der Künstler aus Halle hält auf der Leinwand in kühner Perspektivkonstruktion – und deutlich vom Gegenstand fasziniert – eine menschenleere Industrieanlage fest.

Obwohl sozialkritische Werke einen gewichtigen Anteil unter den Exponaten ausmachen, war Helga Kliemann im aktivistischen Klima von 1969 enttäuscht darüber, dass die Novembergruppe offenbar vom politischen Engagement Abstand genommen hatte. Diese Abwendung von politischen Zielen interpretierte die US-amerikanische Kunsthistorikerin Elizabeth Prelinger 1977 in ihrer Dissertation über die Novembergruppe dann positiv. Vor dem Hintergrund der letzten großen Aufrüstungsdebatte im Kalten Krieg sah sie darin einen Sieg der künstlerischen Freiheit über die Indienstnahme der Kunst für politische Zwecke, namentlich für kommunistische Ideen, und sprach von einer Demokratisierung der Künste. In Zeiten des Neoliberalismus betrachtete schließlich Eberhard Roters in seinem 1995 veröffentlichten Essay die Ausrichtung der Novembergruppe, die „Enthusiasmus und Bratkartoffeln“ auf einen Nenner brachte, wie er sagte, als pragmatisch und ökonomisch sinnvoll.

Jetzt, im Jahr 2018, sehen Janina Nentwig und Ralf Bur­meister keinen derartigen Rückzug aus dem gesellschaftspolitischen Engagement, sondern meinen, eine wirkliche integrierende Kraft der liberalen Vereinigung zu erkennen. Sie habe Volk und Kunst wenn auch nicht in „engste Vermischung“, so doch in ein aufklärerisch-dialogisches Verhältnis gebracht und dabei herrschende Codes unterlaufen und alternative Sichtweisen auf die Welt bekannt gemacht. Dazu trugen neben den Ausstellungen, Konzerten und Lesungen auch die jährlich zwei großen öffentlichen Kostümbälle bei, die die Aktivitäten der Novembergruppe finanzierten. Sie waren unter anderem auch die Plattform des Jazz in Berlin. Man musste sich dort sehen lassen, erinnerte sich Oskar Maria Graf, und Joachim Ringelnatz empfahl: „In trüber Zeit ist es das Beste / Man geht zu einem Maskenfeste / Genießt statt grauer Plempersuppe / Das Allerei ‚Novembergruppe‘/ Und fischt aus strempelndem Gebein / Und lautem Drall ein Glücklichsein.“ Letzteres macht jetzt ein Besuch der Berlinischen Galerie möglich.

Bis 11. März 2019, Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124–128, Mi.–Mo. 10–18 Uhr, 24. 12. und 31. 12. geschlossen. Katalog (Prestel Verlag) 34,80 bzw. 48 Euro

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