: Kinderpsychiatrie statt Kinderknast
Weil die geschlossene Station der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bremen zu klein ist, können Jugendliche nicht oder nicht angemessen behandelt werden. Das soll sich ändern
Von Eiken Bruhn
In Bremen soll die stationäre Kinder- und Jugendpsychiatrie ausgebaut werden. Die Nachfrage nach Behandlungsplätzen am städtischen Klinikum Ost übersteige derzeit „das aktuelle Angebot deutlich“, heißt es in einem Papier, das der rot-grüne Senat am Dienstag beschlossen hat und das sehr offen die bestehenden Defizite benennt.
Noch das geringste Problem scheint dabei der fehlende Zugang zu frischer Luft zu sein. Durch den Platzmangel komme es „im Einzelfall zu unvertretbaren Wartezeiten mit zugespitzten Fallverläufen, häufigen Einrichtungswechseln und nicht sinnvollen mehrfachen klinischen Wiederaufnahmebedarfen“, schreibt der Senat.
Im Klartext: Die psychisch kranken Jugendlichen werden in Heimen geparkt und fliegen dort aufgrund ihres Verhaltens immer wieder raus. Zwischendurch landen sie in der Klinik, bekommen dort aber offenbar nicht die Therapie, die sie langfristig stabilisieren kann.
Denn das Behandlungskonzept am Klinikum Ost ist nach Einschätzung des Senats überaltert: „Den gewachsenen und veränderten Anforderungen kann nicht mehr fachlich adäquat begegnet werden.“ Als Lösung sollen jetzt zwei psychiatrische Einheiten entstehen mit jeweils vier Plätzen.
Durch die Zweiteilung soll es in Zukunft möglich sein, auch die Kinder und Jugendlichen zu behandeln, die nicht andere, sondern sich selbst gefährden. So steht es in dem von der Klinik erarbeiteten Konzept, das der Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie gestern öffentlich vorstellte. Diese Selbstgefährder hätten in der Vergangenheit nicht oder „nur eingeschränkt behandelt werden“ können, sagen die Ärzte. Denn die Station sei bereits mit „schwer gewalttätigen“ Jugendlichen belegt gewesen.
Dabei handelt es sich zu einem großen Teil um unbegleitete minderjährige Ausländer – um die Personengruppe also, die der rot-grüne Senat noch vor zwei Jahren wegsperren wollte. Gemeinsam mit Hamburg wollte er in Bremen auf einem ehemaligen Gefängnis-Gelände eine „intensivpädagogische Einrichtung mit der Möglichkeit freiheitsentziehender Maßnahmen“ einrichten.
Das stand in einem „Maßnahmenplan zum künftigen Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Ausländerinnen und Ausländern mit delinquenter Verhaltensproblematik“ vom April 2016. Ein Jahr zuvor hatte der damalige Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) mitten im Wahlkampf ein solches Heim als alternativlos dargestellt.
Damals kamen in Bremen besonders viele junge Männer aus Nordafrika an. Rund 30 bis 50 von ihnen – die Angaben der Polizei schwankten – fielen durch eine Vielzahl von Straftaten auf. Einige von ihnen galten als extrem gewalttätig. Trotz warnender Stimmen von Fachleuten hielt Bremen an der geschlossenen Unterbringung mit 24 Plätzen als Lösung für dieses Problem fest.
Erst im März 2017 verabschiedete sich nach den Grünen auch die SPD endgültig von dem geschlossenen Heim – vor allem deshalb, weil die Jugendlichen aus Bremen verschwunden oder volljährig geworden waren oder weil sie im Gefängnis saßen. Außerdem hatte sich die öffentliche und zum Teil durch Medienberichte befeuerte Aufregung inzwischen gelegt.
Erst seit März 2017 spricht die rot-grüne Bremer Landesregierung auch davon, dass ein Teil der Jugendlichen nicht in eine „intensivpädagogische“ Einrichtung gehört, sondern in die Psychiatrie – weil ihr Verhalten Symptom einer psychischen Krankheit ist, ausgelöst durch traumatische Erlebnisse im Heimatland oder auf der Flucht.
In dem Maßnahmenplan von 2016 war davon nicht die Rede, obwohl bekannt war, dass viele der jungen Männer ehemalige Straßenkinder aus Nordafrika waren, die unter anderem in Kinderheimen Gewalt und Missbrauch erlitten hatten.
Aber auch wenn die Betroffenen jetzt als Kranke gelten, müssen sie damit rechnen, gegen ihren Willen eingesperrt und möglicherweise auch im Bett festgehalten zu werden. An vier Plätzen, so sieht es das neue Konzept vor, soll es möglich sein, Patient*innen zu fixieren.
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