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„Ulululu“ und Umm Kulthum

Soli-Event und Drag-Kultur: Die „Queens Against Borders“-Party mit Performer*innen und Publikum aus Nahost wirkt, als finde ein Eurovisionswettbewerb in Damaskus statt

Von Moshe Kuttner

Dragqueens der Welt, vereinigt euch! Ihr habt nichts zu verlieren außer all eurem Zeugs, weil ihr betrunken seid!“, verkündet Olympia Bukakis von der Bühne des SO36. Kurz darauf ruft sie zur Abschaffung des globalen Kapitalismus auf, während sie in Laufstegmanier über die Bühne schreitet und flirtet. Im Publikum sieht man viele Aufkleber und Anstecker, auf denen Slogans gegen Rassismus und Homophobie zu lesen sind. Willkommen zu einer „Queens Against Borders“-Party.

Die Gruppe Queens Against Borders wurde 2015 von der australischen Drag-Performerin und Eventorganisatorin Olympia Bukakis ins Leben gerufen. Der Name der Gruppe, offensichtlich inspiriert von Ärzte ohne Grenzen, verweist auf Widerstand gegen jede Form von Grenzen – gegen Nationalgrenzen genauso wie gegen solche, die zwischen männlich und weiblich gezogen werden. Die Bewegung begann in der kleinen Neuköllner Queerbar The Club, die mittlerweile geschlossen ist. Bukakis, damals selbst Neuankömmling in Berlin, erzählt von der Gründung des Projektes: „Es war 2015 in der sogenannten Flüchtlingskrise. Die spezifische Rolle, die Drag-Performance in der queeren Community hat, hat mich immer interessiert. Genauso wie die Frage, wie man diese Rolle politisch und sozial nutzen kann.“

Post-Drag und Politik

Dass die Queens nun im SO36 zu Gast sind, sagt auch etwas über den Wandel des Ortes, der dieses Jahr sein 40-jähriges Jubiläum feiert. Denn eine Menge ist passiert, seit Punklegenden wie die Dead Kennedys hier in den frühen achtziger Jahren spielten. Mittlerweile ist die Location eine Art Schmelztiegel für zeitgenössisches subkulturelles Schaffen verschiedenster Art.

Bei der achten Auflage der Reihe, inzwischen auch schon einige Wochen her, sind die Shows divers, die wenigsten ähneln dem klassischen Drag. Ein Mix aus experimentellem Tanz, Drag und Popgesang trotzt hier binären Geschlechtergrenzen; Traditionen des Nahen Ostens – und auch die Grenzen zwischen Post-Drag und Politik – verschwimmen. Auf der Bühne fliegt Sexspielzeug umher, zudem sind Bilder von bombardierten syrischen Dörfern zu sehen. Glitter flattert, Haare wehen wild, mit Regenbogenfarben gesprenkelte Flügel schwingen durch die Luft.

„Queens Against Borders“ begann als Soli-Event für queere Geflüchtete, das Geld wurde der Schwulenberatung gespendet. Nach und nach wurde daraus mehr als „nur“ eine Veranstaltungsreihe. Es entstand eine Plattform für transsexuelle und queere Geflüchtete – Freiraum für eigenen Ausdruck. Die libanesische Performancekünstlerin Diva Maguy war bis vor Kurzem die Co-Organisatorin, derzeit ist es der syrische Performer Darwish.

Darwish bringt einen wirbelnden, ekstatischen Tanz im Sufi-Stil auf die Bühne

Die Abende beginnen dabei mit einer politischen Diskussion, beispielsweise über das Narrativ von Geflüchteten in den Medien oder das Erstarken der Rechten. Die Diskussionen werden möglichst wenig einschüchternd gestaltet und sind auch für Menschen gedacht, die normalerweise nicht politisch engagiert sind. Zu der Verbindung zwischen Drag und Soli-Politik sagt Bukakis: „Ich denke, die Verbindung bin ich. Ich mache Drag, und ich war für eine Weile in sozialistischen Organisationen involviert. Meine Politik ist sozialistisch, meine Kunst ist Drag, also sind die Events wie eine Verbindung zwischen diesen beiden Dingen.“

Der zeitgenössische Drag hat seinen Popularitätsschub der amerikanischen Fernsehshow „RuPaul’s Drag Race“ zu verdanken, einem Drag-Wettbewerb, bei dem verschiedene Dragqueens um den Titel des nächsten Superstars wetteifern.

Bukakis kann diesem Wettbewerb allerdings nichts abgewinnen. „Ich denke, dass Drag-Wettbewerbe sich auf ein verkürztes, kapitalistischen Verständnis davon beziehen, wie Drag-Arbeit funktioniert. Sie gehen davon aus, dass individueller Erfolg das Produkt von individueller Anstrengung ist. Ich denke jedoch, dass jede Art von Produkt oder Performance oder Erfolg, die aus dem Drag kommt, das Ergebnis von Beziehungen ist; Beziehungen zwischen denen, die dazu beigetragen haben. Wir arbeiten alle zusammen, es kann die Beziehung zwischen dir und deiner Drag-Mutter sein oder zwischen dir und der Kostümdesignerin. Selbst wenn du vieles alleine machst, arbeitest du immer noch in der Gemeinschaft zusammen. Mein Wunsch ist es, an einem Ort zu sein, wo die Menschen sich gegenseitig unterstützen und wo sie nett zueinander sind. Denn die Welt da draußen kann ein unwirtlicher Ort sein, und wenn wir diese Räume schaffen, sollen sie produktive Räume sein oder Orte der Heilung. Also ist es wichtig, in dieses Vorhaben möglichst viel Energie zu stecken.“

Co-Organisator Darwish erklärt die Bedeutung, die die Veranstaltungen von Queens Against Borders für die lokale Community von geflüchteten Queers haben: „Die Events bedeuten viel, weil wir damit unsere Gemeinschaft unterstützen und ihr eine größere Beachtung in der Gesellschaft verschaffen, in der wir leben. Es reicht nicht, ‚refugees welcome‘ zu sagen und dann nichts für sie zu tun, vor allem wenn es um die LGBTQ-Community geht, denn wir leiden doppelt. Solche Veranstaltungen machen also einen Unterschied, wenn man sich die Zahl der Menschen ansieht, die gespendet und sie unterstützt haben.“

Niki, eine syrische Tänzerin, tanzt nun zu Abdel Halim ­Hafez’ Klassiker „Sawah“, Per­formancepartner Bambi Mercury legt arabischen Pop und House auf – dann auch die Musik von Dana International, einem israelischen Transgenderstar.

Später kommt die israelische Queen Judie La Devina auf die Bühne. Ihre Show beginnt sie mit einer Lippensynchronisation des Gedichts „Still I Rise“ von der afroamerikanischen Dichterin und Menschenrechtsaktivistin Maya Angelou: „Does my sexiness upset you? / Does it come as a surprise / That I dance like I’ve got diamonds / At the meeting of my thighs?“ Die ersten Töne des Klassikers „Enta Omri“ von der ägyptischen Legende Umm Kulthum erklingen. Voller Pathos tanzt Judie La Devina mit runden Schenkelbewegungen und Lockenmähne. Die Menge beginnt mitzusingen, man sieht leuchtende Augen in der Menge. Ein erstaunlicher Moment. Wo sonst kann man eine israelische Dragqueen sehen, die einen ägyptischen Klassiker in Drag performt, vor einem Publikum aus beseelten Libanes*innen, Syrer*innen und Iraker*innen? Nirgendwo im Nahen Osten, so viel ist sicher.

Die Sause wirkt, als verlege man eine Eurovisionsshow in den Nahen Osten, als würde sie in Bagdad oder Damaskus ausgetragen. Es gibt türkischen Tanz, libanesische Lieder und irakischen Bauchtanz. Die Reaktionen des Publikums, ein wichtiger Bestandteil von Drag, reichen von Gesten, die mit dem Fernsehhit „RuPaul’s Drag Race“ bekannt geworden sind, zu „Ulululu“-Rufen, die auf Feiern im Nahen Osten üblich sind.

Beide Organisator*innen tragen mit ihren eigenen Performances zu dem Abend bei. Olympia Bukakis präsentiert einen hypnotisch geisterhaften Tanz, während Darwish, von zwei Tänzer*innen begleitet, einen wirbelnden Tanz im Sufi-Stil performt, zwischen eks­ta­tisch und campy. „Ich bin ein Autodidakt im Tanz. Ich mische gerne Stile und verschiedene Kunstformen und Tanz. Dieses Mal hatte ich ein syrisches Stück dabei. Ich wollte die Kultur zeigen, der mit so viel Hass und – vonseiten der Medien – mit Ignoranz begegnet wird. In den Medien wird die Tragödie gezeigt, weil es sich besser verkauft, aber Syrien ist mehr als das. Es ist eine der ältesten Zivilisationen, in der eines der frühesten schriftlichen Alphabete in der Geschichte der Menschheit existierte. Das Land ist so reich an historischen Schätzen. Darum wollte ich diese Seite meines Heimatlandes zeigen.“

Der vielleicht berührendste Moment der Nacht ist als Dragqueen Aphrodite aus Griechenland die Bühne betritt mit einem Stück, das dem Queer­aktivisten und der ermordeten Dragqueen Zak/Zakie Oh ge­widmet ist. Das Stück ist Teil ­eines ­Aufrufs der griechischen Queercommunity, zum Tod von Zak/Zackie Oh zu ermitteln. Aphrodite zieht ihre Schuhe aus und beschreibt die Ermordung in den Straßen Athens sowie das Vertuschen durch die Medien und durch die Politiker*innen. Dann liest sie ein Gedicht im Gedenken an Zak und bringt das Publikum dazu, gemeinsam Madonnas „Like a Prayer“ zu singen. Es endet in einer ­Mischung aus ­chorischem Gesang und Tränen im Publikum. Denn auch dazu ist „Queens Against Borders“ da: sich gegenseitig zu stützen, sich beizustehen.

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