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Aufstand in Bewegung

Das Theater Kiel zeigt eine Neuinszenierung von Robert Habecks und Andrea Paluchs Theaterstück „Neunzehnachtzehn“

Von Esther Geißlinger

Es ist kalt im ehemaligen Marinegefängnis, in den Zellen zeigen Bilder und Installationen Eindrücke aus der Zeit des Ersten Weltkriegs: patriotische Slogans, die Härte der Kriegsjahre. Und die ZuschauerInnen sind mitten drin, stehen neben den kaiserlichen Offizieren oder mischen sich unter die Arbeiter und Matrosen, die jeweils einen eigenen Flur im alten Gefängnis bespielen – die Offiziere oben und die Matrosen ganz unten. Macht und Ohnmacht werden fühlbar bei der Inszenierung „Neunzehnachtzehn“ des Kieler Theaters.

Vor zehn Jahren erlebte das Stück des Autorenpaars Robert Habeck und Andrea Paluch seine Premiere. Zum 100. Jahrestag des Ma­trosenaufstands hat sich das Theater Kiel an eine Neuinszenierung gemacht. Sie findet nicht auf einer Bühne, sondern an den historischen Orten des Aufstands statt. Aufstand bedeutet Bewegung – „darum setzen wir die Zuschauer in Bewegung“, sagt Regisseur Michael Uhl.

Über ein Jahr hat das Theater die aufwendige Inszenierung geplant, eine auch logistisch gewaltige Aufgabe, die Dramaturg Jens Paulsen zu lösen hatte: Für jeden Spielort gab es andere Ansprechpartner, der Transport der Zuschauer musste geregelt werden. Ungewöhnlich, aber nicht einmalig: „Das Theater in die Stadt bringen“ sei ein Markenzeichen des Kieler Hauses geworden, so Uhl, der bereits vor zehn Jahren Regie bei dem Stück führte. Dennoch sei es weit mehr als eine Wiederauflage. Und auch jeder Theaterabend werde einmalig: „Schließlich ist der wichtigste Mitspieler jedes Mal ein anderer“, sagt Uhl. „Das ist nämlich das Publikum.“

Theater als interaktives Erlebnis für Zuschauer, die als Offiziere oder Matrosen zur Partei gemacht werden – ist das noch Schau- oder schon Rollenspiel? Geht es um einen Effekt, eine zeitgeistige Idee? Uhl widerspricht: „Mit Zeitgeist hat das nichts zu tun. Die Ortswechsel passen zum Stück.“ Der „moderne Touch“ käme nicht durch die Inszenierung, sondern sei durch die Sprache des Stücks bereits vorgegeben. Schließlich konnte Mitautor Habeck eigene Erfahrungen auf der politischen Bühne einfließen lassen.

Richtig mitspielen müssen die ZuschauerInnen übrigens nicht, nur mitgehen und sich von der Stimmung tragen lassen. Was nicht selbst erlebt wird, sehen die Gruppen durch Video-Einspielungen: „Die haben wir so in die Handlung eingefügt, das sie nicht als Fremdkörper wirken, sondern wie Brandbeschleuniger die Lage verschärfen“, sagt Uhl. Etwa wenn die Streikversammlung im Gewerkschaftshaus vom Beschluss der Offiziere erfährt, Meuterei mit dem Tod zu bestrafen. Die ersten Aufführungen sind bereits fast ausverkauft, ab Januar gibt es noch Karten. Feste Schuhe und warme Kleidung ist Pflicht – es ist kalt in Kiel.

Sa, 1. 12., 19 Uhr, Treffpunkt: Kiel, Haupttor der alten Maschinenhalle in der ehemaligen Marinetechnikschule, Arkonastraße 1; weitere Termine: 18. und 19. 12.

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