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Feuerpunkte im Schwarzen

Neben Godards „Le livre d'image“ lassen sich in der Reihe „Neues französisches Kino“ im Kino Arsenal weitere Dokumentarfilm-Entdeckungen machen

Von Ekkehard Knörer

Manon Ott ist Dokumentarfilmerin mit einem Abschluss in Soziologie. Das muss noch nichts heißen, aber sie hat tatsächlich ein Auge für großartige Bilder und ein Ohr für das, was die Menschen in Les Mureaux zu sagen haben. Und nicht nur das, was sie zu sagen haben. Eine tanzt beim Kochen, das dauert dann schon mal zwei Stunden. Einer rappt sehr gut, das wäre ein möglicher Weg hinaus aus der tristen Existenz, zu der, wer hier lebt und arbeitet, verdammt scheint. Les Mureaux: eine Banlieue, vierzig Kilometer westlich von Paris, Sozialwohnungsbauten, seit 1952 hier hochgezogen für die Arbeiter aus Afrika, dem Maghreb wie der Subsahara, die die Renault-Fabriken im benachbarten Flins-sur-Seine in großer Zahl brauchten.

Die Fabriken gibt es noch immer. Bekannt für einen großen Streik im Jahr 1968, früh im Film zeigt Ott Bilder von damals. Die Gegenwart sieht anders aus. Die Leute stehen noch immer am Fließband, eine Gruppe junger Leute berichtet davon. Ein anderer arbeitet im Paketlieferdienst, das ist besser. Andererseits ist er, wie er sagt, noch machtloser, einfach ersetzbar, Streik ist kaum möglich, anders als in der Fabrik. Eine Frau sagt: Wir wollen nicht das Leben unserer Eltern. Die jungen Männer sagen: Wir auch nicht, aber wir haben keine Alternativen, und nun leben wir es doch.

Ihre Gesprächspartner*innen sind alle People of Color. Einer, Momo, macht ein Feuer und erzählt, wie er im Knast Marx zu lesen begann. Einer flöge gerne davon. Einer sagt: Wir bleiben hier, denn hier haben wir das erste Mal geliebt. Sie alle sprechen für sich, selten adressieren sie es an die Kamera, die Menschen dahinter oder Ott und ihren Koregisseur Gregory Cohen – und die kommentieren nicht, was man hört, was man sieht. Jedenfalls nicht direkt. Otts Film ist schwarz-weiß. Asche und Glut, einmal sieht man majestätische Lava, helle Feuerpunkte im Schwarzen.

Nicht die einzige Abweichung aus dem Dokumentarischen, die sich die Regisseurin erlaubt. An anderen Stellen geht sie auf Distanz. Eine Kamerafahrt begleitet einmal drei junge Männer beim Gang durch eine Brache, dazu auf der Tonspur spröde Free-Jazz-Musik. Der Film ist eine tolle Entdeckung, die man bei der Französischen Filmwoche machen kann.

Jean-Luc Godard muss man nicht mehr entdecken. Aber vielleicht wieder entdecken. Abseits großer Öffentlichkeiten macht er seit Jahren nur noch sein ganz eigenes Ding. Das jüngste Werk, „Le livre d’image“ (also: Das Bilderbuch), ist eine Ton-Bild-Text-Musik-Flüster-Montage, die im wesentlichen aus gefundenen Bildern und Tönen besteht. Unterteilt in Kapitel, „Remake“ heißt das erste, der Geist der Gesetze ein anderes, „La region centrale“ ein drittes, aber es bleiben die Zusammenhänge, in die Bilder und Töne gerückt werden, sehr assoziativ. In einem der Kapitel geht es um Züge, von der Ankunft des Kinos mit den Lumières in La Ciotat bis zu den Zügen, die Juden nach Auschwitz verbrachten. Zwischen den Zügen eine Fülle anderer Bezüge, die aber mehr aus Unterbrechungen als Kontinuitäten besteht.

Man überlässt sich dem oder nicht. Kenner*innen des Kosmos Godards sind im Vorteil, aber verloren fühlen müssen sich auch die Außenstehenden nicht. Man begebe sich nur hinein ins lebende Gewebe, das Godard aus Filmausschnitten, Gemälden, Schwarzbild und Text montiert, mal scharf, mal verschwommen, mal schwarz-weiß, mal mit überdrehtem Farbregler bunt. Die versammelten Pathosformeln der Künste packen jede*n, der oder die Augen hat und Ohren zu hören und zu sehen. Es ist, so intellektuell die Versatzstücke sind, gar nicht primär der Alles-versteh-Sinn, den Godards Bilderbuch anspricht, es braucht nur eine Offenheit dafür, sich bewegen zu lassen. Und man muss das Tempo mitgehen wollen, mit dem Godard anreißt und abreißt, aufbricht und abbricht, auf Flügeln des Gesangs hinauf, dann kalte Dusche ins Schwarzbild hinab.

„Le livre d’image“ steckt voller Anspielungen auch auf Godards eigenes Werk, die Ähnlichkeiten zu seiner Found-Footage-Filmgeschichtsanalyse „Histoire(s) du cinéma“ etwa sind unübersehbar. In erster Linie scheint es aber doch eine Antwort auf „Film Socialisme“ von 2010. Das war sein großer Abgesang auf Hellas, Abendland und Europa, dem mit dem neuen Film nun eine Umwendung folgt: eine Abwendung vom Okzident, eine Zuwendung hin auf den arabischen Raum.

Auf Ausschnitte aus ägyptischen Filmen, Szenen von Stränden im Osten, die Nacherzählung eines Romans des ägyptisch-französischen Autors Albert Cossery vom Scheich Ben Kaden im Königreich Dofa läuft Godards Bilderbuch hinaus. Was am Ende bleibt, nach dem Abspann, ist Godards Stimme im Kanon mit sich selbst. Heiser, brüchig durchweg, hustend zuletzt: „Le livre d’image“ ist auch ein dem Verstummen abgerungener Film.

„Neues französisches Kino – Dokumentarfilme“ vom 1. – 5. 12. im Kino Arsenal. Jean-Luc Godard: „Le livre d’image“, 29. 12., 20 Uhr & Manon Ott: „Ash and Ember“, u. a. 1. 12., 20 Uhr, www.arsenal-berlin.de

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