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In die Welt gewürgt

Zum 60. Geburtstag von Werner Schwab kommen die „Fäkaliendramen“ des Österreichers in Hannover und Hamburg wieder auf die Bühne. Die funktionieren auch heute noch gut

Von Jens Fischer

Alle Witze sind immer eine Schweinerei, wenn sie den Ernst des Lebens einwickeln.“ Hat Werner Schwab notiert und so seinen Spaßhass bühnenwirksam gemacht, bevor er sich in der Silvesternacht 1993 zu Tode trank. In den letzten vier Lebensjahren schrieb er 16 Theaterstücke voll unflätiger Sottisen, obszöner Sujets und urböser Handlungsträger. Und Weltekel!

Für Schwab ist der Mensch Dreck, die Quelle des Lebens ein übel vermodertes Gemisch aus Glaube, Liebe, Hoffnung – und die Welt eine Kloake der Todsünden. So rechnete er auch mit seiner kleinbürgerlichen Herkunft ab und bastelte die Lieblingsaufreger der Österreicher in seine Texte ein: Schwab spottete über die katholische Kirche, erzählte von Kindesmissbrauch und der Gegenwart der nationalsozialistischen Vergangenheit.

Wenn der Grazer Autor die Sprache auf seine Figuren loslässt, reißt sie all deren innerlichen Abfall mit hinein in den Formulierungszauber eines eigenwilligen Prolldialekts. Auf dass auch die Niedertracht eine fassungslose Zuhörfreude gebiert. Extra ein neues Genre musste dafür begründet werden: „Fäkaliendramen“ nannte der Schreibwüterich die besten seiner Werke.

Nach dem schnellen Bürgerschreckruhm verschwanden sie allerdings ebenso schnell wieder von den Spielplänen. Da Schwab in diesem Jahr 60 geworden wäre, sind die beiden Stücke mit den höchsten Aufführungszahlen nun aber wieder auf norddeutschen Bühnen zu erleben: „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“ in Hannover, und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg: „Die Präsidentinnen“.

Die Ausscheidungen der Letzteren finden Platz in der kleinsten Hütte, ganz unten im Malersaal. Die drei Egozentrikerinnen Erna, Grete und Mariedl leben in einem Souterrain-Loch – als Naturalismus-Hölle hat Regisseur Viktor Bodo es herrichten lassen: Bade-, Schlaf-, Wohnzimmer und eine völlig versiffte Küche sind auf wenigen Quadratmetern vereint. Wäsche hängt zum Trocknen, Putz und Farbe blättern, als Staubmonster erweist sich der Sessel. Trödel, Haushaltstüdel, Marienkitsch und Eingemachtes sind in Regale gezwängt. Vor milchigen Fenstern stehen Mülltonnen. Verkommene Welt, über der glucksende Abflussrohe die Exkremente der Gesellschaft abtransportieren. Ganz dicht sind sie nicht und urinieren auch mal in die Absteige des White-Trash-Trios.

In der Naturalismus-Hölle

Das guckt schlummernd, genervt und abwesend die TV-Übertragung einer Messe des Papstes. Behaupten doch zwei der Möchtegern-Präsidentinnen, ganz innig an Jesus und das ganze metaphysische Drumherum zu glauben, während die Dritte im Bunde eher die Liebe zu richtigen Kerlen anbetet. Mit kunstvoll derber Gossen-Poesie geben sie, allen Verdruckstheiten zum Trotz, schließlich den Blick frei auf ihre „Innensau“, wie es bei Schwab heißt.

Für diese boshafte Sicht auf die Dinge sind mit Lina Beckmann, Ute Hannig und Bettina Stucky drei der edelsten Schauspielkünstlerinnen des Hauses typgerecht besetzt worden. Für alle ist selbstverständlich, mehr als Theaterwitzmaterial kreieren zu wollen. Sie balancieren gekonnt an der Bruchlinie, wo satirische Überzeichnung den Figuren noch Würde belässt. Pralles, aber aufgeklärtes Volkstheater.

Formstreng domestiziert Lucia Bihler in Hannover das Geschehen. Die Darsteller eignen sich die Figuren nicht an, sondern stellen sie als jämmerlich triebgesteuert aus. Kostümiert wie Artisten wackeln ihre Körper, als wären es Marionetten, Bewegungen sind ruckartig wie bei Robotern. Weil Schwab hinter die Türen der Wohlanständigkeit, also in die inzestuösen Abgründe der sozialen Ursuppe Familie schaut, funktioniert die Inszenierung genau so: blickt per Videokamera in die uneinsehbaren Wohnwagen des Zirkuspersonals – und überträgt das dortigen Treiben per Live-Stream für die Zuschauer.

Zur Distanzierung durch das Medium Film und das puppenhafte Agieren kommt noch das verfremdende Zuspielen von überlauten Hörspielgeräuschen. Unwillkürlich werden Schwabs Worte herausgewürgt oder in die Welt gekotzt – so kommt eher das Artifizielle als das Vitale der Sprache zur Geltung.

Das Volk muss weg

Die erste Szene gehört Mutter und Sohn Wurm. Er will Künstler werden, schlenkert aber gerade mit seinem Penis herum und fährt mit einem Krümelsauger zwischen Mamas Beine. Die fingert der Geschlechtlichkeit in seiner Hose entgegen. Und nebenan haust die zugewanderte, überangepasste Mittelschichtsfamilie Kovacic. Der „Möbelverdiener“-Vater fummelt an seinen Töchtern herum, setzt sie sich auch gern mal auf den entblößten Schoß, während die Mutter offensiv wegsieht. Die sexuellen und machtspielerischen Perversionen werden nicht wie in Hamburg in eine Lustigkeit hineingetrieben, sondern als Tatbestand vorgeführt.

Dann ist endgültig Schluss mit dem Filmabend und Zeit für surreales Theater. Auftritt der Oberschichtsfrau Grollfeuer – als große Show-Dame zelebriert sie auf einer Schaukel über der Manege mit Schwabs Furor den großen Vernichtungsmonolog. „Das Furchtbarste, was es wirklich geben kann, ist das Volk“, schimpft sie, „und jede Widerstandskraft ist ein fauliges Talent. Man strapaziert seine Leber um eine Erträglichkeit. Man trinkt sich hinein in ein Verständnis. Meine Leber war umsonst. Meine Leber ist sinnlos.“

Das Volk muss also weg, seine Gier, in die gesellschaftlichen Sphären der Grollfeuer vorzudringen, getötet werden. Daher mordet sie alle Anwesenden. Regietheater der schonungslosen Art. Statt komplizierter Analyse werden These und Tat des herrschenden Grauens dargeboten wie ein Getriebe. Zum Gruseln.

Während in Hamburg alles in einer Zickenkeilerei ausartet. Malerisch fließt Blut über die Stirn und Wangen röten sich mit Verbrennungen zweiten Grades. „Jetzt muss wieder eine Nächstenliebe aufgebaut werden“, heißt es. Alle drei Frauen versuchen, ihr Leben mal märchenhaft schön zurechtzufantasieren. Erna sehnt sich Fleischhauer Wottila herbei, der sie berühren, aus- und verführen soll. Und Grete fabuliert, wie der fesche Freddie in ihre Körperöffnungen hineinfingert.

Bis Mariedl die Lusträume ad absurdum führt und die Lebenslügen der beiden zerstört. Die Strafe folgt – mit traditionellem Metzgerhandwerk. Ein Grand-Guignol-Gag. Zudem lässt Bodo kleine Magnete wie von Zauberhand geführt auf Kacheln kreiseln, wenn von einem Sexobjekt die Rede geht. Hübsche Einfälle – als folgenlose Späße. Ansonsten wird virtuos vom Blatt gespielt.

So ist das Fäkaliendrama in Hamburg komischerweise purer Genuss – in Hannover gelingt die zeitlos erhellende Ausnüchterung. Beeindruckend in ihrer Konsequenz sind beide Inszenierungen. Sie zeigen, dass Schwabisch keine 1990er-Jahre-Mode war, sondern immer noch prima spielbar ist.

„Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“: So, 25. 11., 20 Uhr, Hannover, Cumberland. Weitere Termine: 7./25. 12.

„Die Präsidentinnen“: So, 9. 12., 16 und 19.30 Uhr, Hamburg, Schauspielhaus/Malersaal

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