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Die Levitation des Pentagon

Die Ausstellung „Radikal Amerika“ im Studio im Hochhaus in Lichtenberg, zusammengestellt von Hans HS Winkler, beleuchtet in einer Lichtschleife linke Kunstpositionen aus den USA von 1914 bis 1990

Von Tom Mustroph

Es gab auch früher schon ein revolutionäres Amerika, eines, das sogar sozialistisch sein wollte. Daran erinnert die Ausstellung „Radikal Amerika“, die Hans HS Winkler im Studio im Hochhaus im Plattenbaugebiet von Berlin-Wartenberg ausrichtet. 34 Reproduktionen von Plakaten und Grafiken von radikalen Künstlern wie Land Art-Pionier Dennis Oppenheim und Performancekünstkerin Anna Halprin, aber auch von politischen Aktivisten aus dem Milieu von Black Panther und Weather Undergound, Diggers und Yippies sind in einer Art Filmband auf den Wänden der Galerie angebracht. Es sind Zeugnisse von Fantasie und Widerstand, die aus der Zeit des Ersten Weltkriegs bis in die neunziger Jahre reichen. Gezeigt wird auch der dokumentarische Film „The Weather Underground“, gedreht 2002 mit früheren Aktivisten dieser US-Stadtguerrilla, aber auch deren Gegenspielern beim FBI. Der selten gezeigte Film von Sam Green und Bill Siegel erhielt 2004 sogar eine Oscar-Nominierung.

Ein Finger für Wilson

Das Radikalen-Archiv ist allemal einen ausgedehnten Besuch wert

Den Auftakt der Bildschleife im Galerieraum hat Winkler dem aus Italien stammenden Bildhauer Beniamino Bufano vorbehalten. Bufano wurde 1915 mit dem Gewinn eines hochkarätigen Kunstwettbewerbs zum Thema „Der Immigrant in Amerika“ mit einer Statue mit dem Titel „Frieden“ bekannt. Konsequenterweise schickte Bufano 1917, anlässlich des Eintritts der USA in den Ersten Weltkrieg, Präsident Woodrow Wilson seinen abgetrennten rechten Zeigefinger – den Abzugsfinger im Feuerwaffen-geprägten Amerika. Bufano ist damit ein, wenn auch vergessener, Urahn der Friedensbewegung. Der Protest gegen die Kriege in Korea und Vietnam inspirierte andere Akteure. Wally Bill Hedrick etwa, der eine Dekade vor Andy Warhol und Jasper Johns schon Bierdosen und Haushaltsgeräte in Assemblagen integrierte und als G.I. im Koreakrieg diente, malte 1953 auf das Abbild einer US-Flagge das Wort „Peace“. Hedrick wurde später einer der Protagonisten der Beatnik-Bewegung. Hedrick entzog sich später dem Kunstmarkt und stellte nur selten aus. Winkler bezeichnet Entzug denn auch als eine Protestform gegen die Verwertungs- und Aneignungslogiken des Kunstmarkts.Die Generation nach Hedrick (geboren 1928) führte den Kampf gegen den Kapitalismus teilweise wesentlich martialischer. Der Grafiker Emory Douglas (geboren 1943) war als „Minister of Culture“ für die Werbung der Black Panther, einer zeitweilig auch bewaffneten Organisation gegen Rassendiskriminierung und für Bürgerrechte, zuständig. Die revolutionäre Klarheit seiner Bildsprache fand schnell Eingang in die Werbebranche.

Abbie Hoffman (Jahrgang 1936), Gründer der einflussreichen Youth International Party (Yippies), ließ 1967 einen Regen aus echten und falschen Dollarnoten auf die Händler am der Wallstreet niedergehen und organisierte wenig später einen Protestmarsch auf das Pentagon. Aufgehalten von einer Eliteeinheit von Fallschirmjägern rief er die Demonstranten zur Meditation auf, damit sich allein durch psychische Kräfte das Pentagongebäude in die Luft erhebe. In der Ausstellung ist Hoffman mit der Dokumentation der „Flag Show“, einer Protestaktion vieler Künstler mit der US-Fahne, vertreten. Während die Künstlerkollegen der Guerrilla Art Action Group US-Flaggen verbrannten, hüllte sich Hoffman in die Flagge ein und hielt einen Dildo in den Nationalfarben in der Hand.

Watschn für Mickey Mouse

In diese Ahnengalerie von Protest und Widerstand aufgenommen hat Winkler auch die Tänzerin und Choreografin Anna Halprin, den Performance- und Konzeptkünstler Chris Burden und die Umweltaktivistin und Performancekünstlerin Bonnie Sherk. Winkler selbst agierte oft in den USA. Als Mitglied der Künstlergruppe p.t.t.red tauchte er 1996 die New Yorker Freiheitsstatue in rotes Licht. 1991 ohrfeigte er in Disneyland Mickey Mouse; die Walt-Disney-Figur hatte an der Jubelparade für die heimkehrenden Soldaten aus dem Irakkrieg teilgenommen.

„Radikal Amerika“ weist auf ein Amerika jenseits von Trump, Wall Street und Silicon Valley hin, ein Amerika, das hierzulande auch fast vergessen scheint. Dass die Ausstellung über die Linken in der Neuen Welt ausgerechnet im Plattenbaugebiet des alten Sozialismus zu sehen ist, entbehrt nicht der Ironie. Fast schon tragisch ist, dass die einst im Vietnamkriegsprotest Marke DDR und Sowjetunion – viele russische Worte drangen aus den Balkonen – sozialisierten Bewohner und deren Nachkommen nicht den Weg in diesen im Erdgeschoss gelegenen Raum finden. Denn das Radikalen-Archiv ist einen ausgedehnten Besuch wert.

Studio im Hochhaus, Zingsterstr. 25, bis 15. Januar 2019

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