brief des tages
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Selbst die Urenkel werden noch instrumentalisiert

„Jüdischer Tod ist nicht deutsches Schicksal“, taz vom 10. 11. 18

Wie kann es sein, dass eine „alteingesessene Familie“, deren Stammbaum nachweislich bis ins 16. Jahrhundert in Hamburg zurückreicht, nicht mehr als deutsche Familie gesehen wird, sondern plötzlich der „mosaische Glauben“ zum alleinigen, die Identität bestimmenden Merkmal wird? Die Hintergründe für den jahrhundertealten, schwelenden Antisemitismus sind gut erforscht. Und dennoch: Die Frage, welcher Nationalität sie angehören, hätten meine Urgroßmütter und -väter sicher nicht mit „jüdisch“ beantwortet, sie hielten sich (mit recht) für „deutsch“. Dass nun auch mein Denken als ihre Urenkelin von diesem Antisemitismus bestimmt wird, indem ich an den ausgelöschten Teil meiner Familie als „den jüdischen Teil“ denken „muss“, macht mir schmerzende Knoten im Kopf. Als müsste ich versuchen, etwas auseinanderzuhalten, das eigentlich zusammengehört, aber nicht mehr darf. Die Spaltung zwischen jüdisch und deutsch ist falsch und richtig zugleich, und so geht es mir auch mit ihrem Artikel und der Begründung für getrenntes Gedenken – es ist richtig und falsch zugleich. Cornelia Jenter, Potsdam