piwik no script img

Hartz IV in der ReformwerkstattExistenzangst bekämpfen

SPD-Vertreter und Experten diskutieren am Sonntag über Hartz-IV-Reformen und einen Vorschlag: Wer lange gearbeitet hat, soll mehr bekommen.

Abgestempelt: Auch dieser Angst wollen die Reformer begegnen Foto: dpa

BERLIN taz | Nach diesen Zeiten sehnen sich nicht nur manche Sozialdemokraten zurück: Früher bekamen Langzeiterwerbslose die „Arbeitslosenhilfe“, eine Unterstützung, die sich nach ihrem vorherigen Einkommen richtete. Sie lag meist über der Sozialhilfe und wurde unbegrenzt gewährt. Mit der Einführung von Hartz IV zu Beginn des Jahres 2005 wurde die Arbeitslosenhilfe abgeschafft – doch Elemente dieser Leistung werden jetzt wieder anlässlich einer geplanten Reform der Hartz-IV-Gesetze diskutiert.

„Wir wollen prüfen, ob Arbeitnehmer nach 30 Beitragsjahren nicht mehr in Hartz IV fallen, sondern eine Regelung ähnlich der alten Arbeitslosenhilfe erhalten können“, sagte Daniela Kolbe, ostdeutsche SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied des Ausschusses Arbeit und Soziales, der taz. Kolbe tritt zusammen mit anderen Parteienvertretern und Sozialexperten auf dem öffentlichen Kongress „Debattencamp“ der SPD am Wochenende in Berlin auf. Die Forderung nach einer teilweisen Wiederbelebung der alten Arbeitslosenhilfe steht auch in einem Impulspapier ostdeutscher Bundestagsabgeordneter und Spitzenpolitiker vom Oktober.

Auch die stellvertretende SPD-Chefin Manuela Schwesig hatte bereits erklärt, Menschen, die nach 30 Jahren im Beruf arbeitslos werden, dürften nach dem Ende des Arbeitslosengeldbezugs „nicht in Hartz IV fallen, sondern müssen besser gestellt werden“. Der Sozialwissenschaftler Gerhard Bäcker, der ebenfalls auf dem Debattencamp auftritt, sagte der taz, er befürworte eine neue „Zwischenebene“ zwischen dem Bezug des Arbeitslosengeldes und Hartz IV, ein „Arbeitslosengeld Plus“ für langjährige Versicherte, das einkommensabhängig sei. Langjährig Beschäftigte sollten gegen Ende ihres Arbeitslebens nicht „in Existenzangst“ fallen müssen.

Abgrenzung nach unten

Vor der Einführung von Hartz IV im Jahre 2005 bekamen Erwerbslose, genau wie heute, erst eine Zeit lang das einkommensabhängige Arbeitslosengeld. Darauf folgte dann die zeitlich unbegrenzte Arbeitslosenhilfe, die bei Kinderlosen 53 Prozent, bei Vätern oder Müttern 57 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens betrug. Auch bei der Arbeitslosenhilfe wurde allerdings zuletzt das Einkommen eines Partners angerechnet und das Vermögen war nur bis zu einer bestimmten Schongrenze freigestellt.

Dennoch markierte die Arbeitslosenhilfe durch ihre Einkommensabhängigkeit eine bedeutsame Grenze zur damaligen Sozialhilfe: Nur wer zuvor länger gearbeitet und Arbeitslosengeld bezogen hatte, besaß einen Anspruch auf diese Leistung und unterschied sich damit von Sozialhilfeempfängern. Diese Abgrenzung nach unten wurde durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- mit der Sozialhilfe bei der Einführung von Hartz IV eingeebnet.

Keine Sanktionen bei Terminversäumnissen

Kolbe sprach sich auch dafür aus, ein „Recht auf Arbeit“ für Hartz-IV-Empfänger zu prüfen. Dies würde bedeuten, dass jeder ein Recht auf eine bezahlte Arbeit hätte, möglicherweise auch einen geförderten Job bei einem kommunalen Träger, sagte Kolbe.

Weitere Reformvorschläge betreffen die Bedingungen von und die Leistung Hartz IV selbst. Die automatischen Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger bei sogenannten Meldeversäumnissen müssten abgeschafft werden, sagte Kolbe. Diskutiert wird auch eine Namensänderung des Begriffes „Hartz IV“. Im Behördendeutsch heisst die Leistung ohnehin „Grundsicherung für Arbeitssuchende“. Die FDP hatte früher schon den Begriff „Bürgergeld“ für eine andere Art der Grundsicherung vorgeschlagen.

„Wir arbeiten an einem neuen Konzept und damit ist Hartz IV passé – als Name und als System“, hatte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil bereits angekündigt. Die Kandidatin für den CDU-Vorsitz, Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, hatte allerdings dem Sender RTL erklärt, sie „fände es viel spannender, sich Gedanken darüber zu machen, wie kriegen wir die Menschen aus Hartz IV heraus, als sich Gedanken darüber zu machen, wie soll das System vielleicht anders heißen, anders gestaltet werden“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

12 Kommentare

 / 
  • Ich sach nur Tacheles…



    tacheles-sozialhil...erarchiv/d/n/2435/

  • Ach ja, noch vergessen gestern, jetzt soll wieder mal ein "besserer" Name dafür sorgen, dass sich staatlich verordnete Armut nicht so echt und real ·anhört·.



    Geht's eigentlich noch?!

  • Fangen wir doch mal einfach an.

    Mindestlohn von jetzt 12€.



    Keine Ausnahmen.



    Keine Sanktionen bei ALG2



    Korrekte Berechnung des ALG2 Satzes.



    Eindämmung von Leiharbeit



    Keine Befristung ausser kurzer Probezeit.

    Das ist besser als große Ankündigungen.

    • @Martin_25:

      ALG II-Sätze sind schwer zu errechnen und es lässt sich nur durch Pauschalen vereinfachen, also in dem einfach Beträge generell ausgezahlt werden. Das wäre genau das Gegenteil, was Hartz IV bezwecken soll, dass Ansprüche genau ausgerechnet werden und nicht berechtigte Ansprüche nicht bezahlt werden.

      • @Andreas_2020:

        "ALG II-Sätze sind schwer zu errechnen…". Nein, sind sie nicht, das haben alle Wohlfahrtsverbände und auch Tacheles alles detailliert vorgerechnet, dass es nicht reicht – nicht riechen kann…



        Die AlG2-Sätze sind ·künstlich· zu niedrig ·aus·gerechnet worden. Das ist unstreitig.



        www.hartziv.org/ne...ro-zu-niedrig.html



        Pauschal ist ja gut und schön, die vom BVerfG geforderte Möglichkeit zur Teilnahme an der Gesellschaft ist bis heute nicht im AlG2-Geld enthalten. Da kann das BVerfG sagen, was es will, die Regierung macht es einfach nicht.



        Rechtsstaat?



        Sieht für mich so gar nicht danach aus…



        Jeder Mensch, der glaubt, dass die Menschen in AlG2 sowieso schon zu viel Geld erhalten, sollten es einfach mal drei Monate mit diesem Geld versuchen, den Rest für den Urlaub auf die hohe Kante legen.



        AlG2 heisst:



        warmes Wasser von den 416.- € bezahlen,



        Internet und Telefon von den 416.- € bezahlen,



        Friseurbesuch (z. B. zum Vorstellen) von den 416.- € bezahlen,



        kein Verein,



        kein Café-Besuch,



        kein Kino,



        kein Schwimmbad,



        kein gesundes Essen,



        keine ausreichende Ernährung (mengenmäßig),



        keine Kneipe,



        kein Restaurant,



        keine Teilnahme an Demonstrationen (GG garantiertes Recht!) in der nächstgrößeren Stadt, weil die Fahrtkosten nicht gestemmt werden können.



        Resultat: Vereinsamung, Depressionen.



        Das Fahrrad darf auf keinen Fall kaputt gehen, von der Maschmaschine ganz zu schweigen.



        Usw..



        Gerechtes Deutschland.



        Aber klar, natürlich ist der Arbeitslose schuld daran, dass es nicht genügend ausreichend bezahlte Arbeit für alle Menschen gibt. Pech gehabt, faul, unwert (hatten wir schon mal…).



        Ausprobieren. Das nackte Leben drei Monate lang konsequent. Und für Sie ist nach drei freiwilligen Monaten der Alptraum vorüber – für AlG2-Bezieher geht das z. T. seit 2005 so – "Leben" wird dazu gesagt. M. E. ist "Existieren" noch übertrieben…



        Was, glauben Sie, macht AlG2 aus diesen Menschen? Soziale Wesen, die sich einbringen?

    • @Martin_25:

      So könnt's gehen, obwohl mir ein BGE viel lieber wäre, weil die restlichgen Kontrollen und Diskriminierungen auch noch wegfielen…



      Ein BGE würde viel, viel Freiheit und echte Gleichberechtigung sowie Gleichstellung bringen.

      Wir müssen die Gesellschaft umbauen und das Wirtschaftssystem. Sonst wird das nixxx mehr.

  • Hartz-IV ist nicht passé, sondern es ist geltendes Recht - SGB II.

    Die SPD braucht für Änderungen CDU und CSU - wahrscheinlich?

    Ansonsten sind das auch ganz schön dicke Ankündigungen, die aber wenig am Elend der Menschen ändert, die eben nicht gerade 30 Jahre gearbeitet haben und nach ein oder zwei Jahren Arbeitslosigkeit Leistungen nach SGB II erhalten.

    Ich glaube diese Ankündigungen allesamt nicht, weil die SPD ja zur Philosophie, die hinter Hartz-IV steht, nach wie vor steht.

    Die Idee, dass Menschen allesamt nicht verelenden sollen, dass Armut nicht notwendig ist, teilt die SPD gar nicht.

    Im Gegenteil, die SPD glaubt an die Philosophie der Verarmung und der Disziplinierung von Armen und Arbeitslosen. Sie glaubt auch an den negativen 'Charakter' von Armen und Arbeitslosen - diese Menschen werden einzig und alleine als Problem verstanden.

    Die SPD vergöttert die Arbeit und die Arbeiter, aber hat diesen die Renten gekürzt und mit der Lierbalisierung des Arbeitsmarkts ordentlich Druck gemacht. Übrig geblieben sind nur wenige privilegierte Arbeitnehmer bei VW, im öffentlichen Dienst oder großen Verwaltungen.

    Ich vermute daher, dass die SPD Hartz-IV als Grundeinkommen umbenent und sich den Ärger mit Sanktionen und Pseudo-Vermittlungen spart, bzw. die Jobcenter runterfährt.

    ABER: Das Grundeinkommen wird dann eben kein Schlaraffenland, sondern es macht viele Arbeitnehmer zu Dauerkunden des Sozialstaates. Beim Grundeinkommen haben sie dann kein Recht mehr auf Vermittlung, sie sind dann gänzlich übrig. Anständig bezahlte Arbeit erzeugt ein Grundeinkommen nicht. Es ist Sozialhilfe für arbeitsfähige Menschen ohne Sanktion.

    Mag sein, dass dies sogar ein Fortschritt wäre, langfristig entwertet das aber Arbeit und Arbeitsleistung - damit würde sich die SPD treu bleiben. (und weiter verlieren)

    • @Andreas_2020:

      Das BGE bedeutet die Trennung von Arbeit und Bezahlung, denn jeder Mensch ist es wert – wie im GG festgeschrieben – ein Leben ohne Existenzangst und in Würde und dementsprechend mit Geld zu führen.

      Das BGE bekäme JEDE|R. Auch Sie. Sollten Sie Arbeit haben… einfach jede|r. Das wäre ein Leben in Frieden, mit Weiterbildung, viele würden sich selbständig machen, Kinder wären keine Armutsfalle mehr, Alleinerziehende könnten l e b e n, Kinder hätten Eltern, usw.



      Na, einfach mal wirklich informieren, Götz Werner lesen, Richard David Precht anhören (auch youTube) usw.

    • @Andreas_2020:

      "ABER: Das Grundeinkommen wird dann eben kein Schlaraffenland, sondern es … … … zahlte Arbeit erzeugt ein Grundeinkommen nicht. Es ist Sozialhilfe für arbeitsfähige Menschen ohne Sanktion."



      Sorry, aber Sie sollten sich erstmal über das BGE informieren, bevor Sie hier irgendwelche m. E. zweifelhaften Theorien aufstellen.

      www.youtube.com/re...rundeinkommen+Film



      +



      FREE LUNCH SOCIETY im Kino



      usw.

      BGE heisst Freiheit, Ende der staatlich verordneten Armut (AlG2), Ende von prekären Beschäftigungsverhältnissen, Ende von Monopolisten, Ende von Umweltzerstörung, Ende von prügelnden Ehemännern, die Freiheit nicht für Umweltzerstörer|Menschenschinder arbeiten zu müssen, usw., usw..



      Es ist eine Frage des Wollens, nicht des Könnens. Und finanzierbar ist es auch. Aber ein ernsthaftes Bemühen darum ist selbstverständlich notwendig dafür. Wir müssen darüber diskutieren, nicht schlecht machen.



      Usw..



      Geht nicht gibt's nicht.

  • Mir schwant böses, wenn es so bleibt. 30 Beitragsjahre werden in Zukunft immer unrealistischer für den "kleinen Mann". Viele dieser Jobs werden durch Roboter und Digitalisierung wegfallen. Spezialisten werden umworben, müssen nach vielen stressigen Jahren aber die Reissleine ziehen oder erkranken an Burnout.

    Es wird immer mehr geben, die Lücken in ihrem Lebenslauf haben werden. Gerechte Einkommen wird es nicht ohne Verordnungen geben und dazu gehört auch Absicherung während der Arbeitslosigkeit.

    Etwas wie in der Art eines bedingungslosen Einkommens scheint mir die einzigste Lösung. Alles andere wird die Schere zwischen Arm und Reich nur vergrößern und immer mehr werden trotz Arbeit in die Armut rutschen.

  • Jetzt hängt also die Menschenwürde von Arbeitsjahren ab?



    Wie unsäglich ist das denn!



    AlG2 ist gescheitert.



    Wer hat denn 30 Beitragsjahre (besonders als Frau) vorzuweisen? Und wer kommtab heute noch auf diese 30 Beitragsjahre?



    Gerechtes Auskommen für alle, die keine Arbeit haben. Das muss.



    Selbst im Jobcenter wird gesagt, dass ein höheres Alter ein Ausschlußkriterium für eine Anstellung ist. Und wenn selbst die das schon zugeben müssen, ändert sich nur etwas für die Betroffenen, wenn die gesetzlich verordnete und regierungsseitig geschaffene Armut endlich beendet, AlG2 abgeschafft und eine gerechte, sanktionierungsfreie Höhe der Geld-Zahlung gewährleistet wird.



    Im Januar will das BVerfG endlich über die m. E. verfassungswidrigen Sanktionen entscheiden…



    Gesetzlich verordnete Armut in einem Land wie Deutschland. Was für ein Witz!

  • Positiv klingt(!), dass Einzelne sich endlich einmal Gedanken über eine Veränderung dieses unsäglichen Hartz IV-Sozialabbaumonsters machen wollen.



    Doch singuläre Maßnahmen werden da nicht groß weiterführen.



    Notwendig ist vielmehr, dass man diesbezüglich bereit ist ein "größeres Rad" zu drehen.



    Beispiel: Wer heute 50+ ist, kann zumeist qualifiziert sein wie er will. Wenn er/sie in diesem Alter arbeitslos wurde, so ist eine Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt vielfach schlicht ausgeschlossen; einfach weil Firmen ältere Arbeitnehmer nicht einstellen wollen, da angeblich zu teuer, häufiger krank etc.. Doch interessiert dieser offene Verstoß gegen das u.a. Altersdiskriminierungsverbot im Industrieschutzgebiet Deutschland keinen Menschen. Und deshalb wirken die oben angesprochenen Änderungen in Sachen Hartz IV letztlich kaum bis nicht, da das diskriminierende Verhalten der Unternehmen die "alten" Arbeitslosen infolge fortbestehender Arbeitslosigkeit dennoch austrocknen lässt.



    Deshalb ist eine Änderung des System notwendig, ohne welche eine soziale Mindestgerechtigkeit nicht herzustellen sein wird!!!



    PS: Und die Voraussetzung >30 Jahre (sozialversicherungspflichtig) gearbeitet werden immer weniger Menschen erfüllen können; egal wie sehr sie sich anstrengen.