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„Malen und singen fällt mir schwer“

Indierock, Dada und Punk: All das vereinte der britische Künstler und Musiker Eddie Argos mit seiner Band Art Brut, die 2005 ihren Durchbruch feierte. 2010 zog Argos nach Berlin, kurz darauf war vorerst Schluss mit Musik. Er schrieb eine Autobiografie und veröffentlichte einen Comic über einen übergewichtigen Jungen. Jetzt aber feiert die Band ihr Comeback. Ein Gespräch über den Brexit, Berliner Kneipen und die Folgen seiner Koordinationsstörung

Interview Jens UthoffFotos Alisa Resnik

taz: Herr Argos, Sie wollten sich hier auf der Dachterrasse des Hotel de Rome in Mitte treffen. Eine Luxusabsteige. Wie kommen Sie auf diesen Ort?

Eddie Argos: Ich mache meine Interviews prinzipiell nur hier – nein, Scherz. Ich habe einfach so viele Gespräche in den kleinen Bars und Kneipen geführt, in denen die Hipster sich treffen. Diesmal dachte ich: Lass uns doch mal in einem 5-Sterne-Hotel treffen, so richtig Popstar-mäßig.

Stimmt es, dass Sie gerade einen Deutschkurs machen? Dann könnten wir auch auf Deutsch sprechen.

(antwortet auf Deutsch, absichtlich affektiert) Mein Deutsch is nik so gut. (wieder auf Englisch) Ich habe erst diese Woche mit dem Deutschlernen begonnen.

Ist nach acht Jahren Berlin einfach die Zeit reif dafür?

Es liegt auch daran, dass ich mich einbürgern lassen will. Ich mag Deutschland sehr, deshalb zog ich mit meiner damaligen Freundin her. Vor acht Jahren kamen wir auch aus politischen Gründen nach Berlin – in Großbritannien kam eine neue Regierung an die Macht, David Cameron wurde Premierminister. Dass ich nun Deutscher werden will, hat auch politische Gründe: Ich hasse den Brexit, ich möchte weiterhin einen EU-Pass haben. Aber es hat auch persönliche Gründe – meine heutige Freundin ist Deutsche. Nun mache ich einen zweijährigen Integrationskurs. Als Erstes einen Sprachkurs, dann den Orientierungskurs mit den Fragen zur deutschen Geschichte und Kultur.

Die deutschen Tresensprüche kennen Sie schon mal, wie man auf Ihrem neuen Album „Wham! Bang! Pow! Let ’s Rock Out“ hört.

Ach, Sie meinen „Kannst du bitte die Luft aus dem Glas lassen“ im Song „Good Morning Berlin“. Na klar, die wirklich wichtigen Sachen weiß ich halt schon. Ein super Spruch.

Haben Sie den Songtitel von Peter Fox abgekupfert?

Wer ist das?

Ein Berliner Musiker. In dem Song „Schwarz zu Blau“ singt er auch wiederholt die Zeile „Guten Morgen Berlin“.

Nein, das kannte ich gar nicht. Das muss ich mir mal anhören.

Sie sagten, dass Sie selbst nach Deutschland kamen, weil Ihnen die politische Entwicklung in Großbritannien nicht passte. Nun hatten wir hier in den vergangenen Jahren auch einen Rechtsruck. Haben Sie es da nicht auch mal bereut, gekommen zu sein?

Das ist ja ein europaweites Phänomen. Ich denke, in diesem Land ist es immer noch weniger ausgeprägt als an anderen Orten. Und es gab auch viel Positives in Deutschland: Ich stimme sicher nicht mit allem überein, was Angela Merkel tut, aber ihr Mitgefühl für die Migranten 2015 war für mich sehr beeindruckend. Das hätte es in Großbritannien nicht gegeben. Trotzdem ist die AfD natürlich zu stark. Genauso gibt es aber immer noch Gegendemonstrationen, die viel größer sind als die AfD-Veranstaltungen, ob in Berlin oder in Chemnitz.

Der Brexit könnte für britische Bands während der Tourneen durch Europa sehr konkrete Auswirkungen haben. Es ist noch nicht klar, ob Musiker Visa für EU-Länder brauchen werden. Der Zoll aber wird wohl für einen erheblichen bürokratischen Aufwand sorgen.

Ich hoffe noch immer, dass es eine neue Wahl geben wird. Aber in England ist es sehr selten, dass man eine Entscheidung widerruft. Von Art Brut werden bald ohnehin fast alle Mitglieder in Deutschland leben. Unser neuer Gitarrist Toby will nach Berlin kommen, unsere Bassistin Freddy lebt schon hier, Drummer Charlie auch. Nur unser Gitarrist Ian ist in London. Vielleicht werden wir einfach alle Deutsche, dann erledigt sich das Problem.

Das Comeback Ihrer Band kommt ein bisschen überraschend. Das neue Album klingt aber, als machten Sie da weiter, wo Sie mit den letzten Studioaufnahmen 2011 aufgehört haben.

Ja, einen Stilwechsel wollten wir nicht. Andere Bands experimentieren mehr, arbeiten zum Beispiel mit Elektronik. Für mich ist es spannender, innerhalb der gleichen Grenzen neue Stücke zu schreiben. Ich mag es auch bei anderen Bands, wenn sie sich nicht so sehr wandeln. Ich liebe zum Beispiel die Ramones.

Sind Sie also vom Punk geprägt?

Insgesamt bin ich wohl stärker vom Britpop beeinflusst. Pulp und Suede mochte ich zum Beispiel sehr gerne. Aber in Jugendjahren kaufte ich jede Menge schräger Punk-Compilations mit irren Live-Versionen. Das lag daran, dass ich nie viel Geld hatte – deshalb erstand ich meist Second-Hand-Platten aus den Grabbelkisten für 1 Pfund. Da fand ich diese Sampler, und ich entdeckte Gruppen wie zum Beispiel Half Japanese oder The Dead Milkmen. Und Billy Childish ist einer meiner großen Helden.

Billy Childish steht für Punk, Blues und Garage Rock, aber auch dafür, als Künstler sein eigenes Ding zu machen. Warum ist er Ihnen denn so wichtig?

Aus vielen Gründen. Ich mag seine Arbeitsweise, er hat so viele Alben, Gemälde und Bücher mit autobiografischem Ansatz veröffentlicht. Und er hat Dyslexie (Schwierigkeiten, Wörter oder Texte zu lesen und zu verstehen, Anm. d. Red.), er hat Bücher mit unkorrigierten, brillanten Gedichten veröffentlicht. Ich habe Dyspraxie, eine Koordinationsstörung – das verbindet uns wohl als Künstler und Menschen.

Welches sind die Symptome bei einer Dyspraxie?

Grundsätzlich alles, was mit der Hand-Auge-Koordination zu tun hat. Und ich neige dazu, sehr schnell zu sprechen oder zu nuscheln, wenn ich auf der Bühne stehe. Ich brauche länger, wenn ich etwas Neues lerne. Ich bin auch nicht gut im Zeitmanagement oder bei organisatorischen Dingen. Wenn ich keine Listen darüber führe, was ich zu erledigen habe, bin ich verloren. Das Singen und Malen ist schwierig, deshalb habe ich wahrscheinlich bei beidem einen sehr eigenen Stil entwickelt. Bei meinen Bildern kommt nicht immer das heraus, was herauskommen sollte.

Eddie Argos

Der Mann Eddie Argos, 39, ist Sänger der britischen Band Art Brut. Zuletzt trat er auch als Autor in Erscheinung, 2015 veröffentlichte er die Autobiografie „I Formed a Band“ (Lo Fi Punk Rock Motherfucking Press, 384 S.), im gleichen Jahr gemeinsam mit Steven Horry den Comic „Double D“ (Image Comics, 152 S.). Argos ist zudem bildender Künstler, auf der Website www.lofipunkrockmotherfucker.co.uk findet man seine Werke. Argos lebt seit 2010 in Berlin, er wohnt heute mit seiner Freundin und seinem Sohn in Pankow.

Die Band Art Brut gründeten sich 2003 in London, sie debütierten 2005 mit „Bang Bang Rock & Roll“ und wurden bekannt mit Hits wie „Emily Kane“ oder „Formed A Band“. Seit 2011 haben sie kein Studioalbum mehr veröffentlicht, nun erscheint am 23. November mit „Wham! Bang! Pow! Let’s Rock Out“ das fünfte Album der Band.

Hat die Kunst Ihnen geholfen, mit den Problemen klarzukommen?

Ja, sehr. Ich war nicht gut in Kunst in der Schule, aber ich liebte es und blieb dabei. Ich denke, Leute mit Dyspraxie sind sehr hartnäckig, wir müssen an Dingen viel länger dranbleiben als andere Leute, wenn wir sie verbessern wollen.

Ihr Bandname Art Brut spielt auf die Outsider Art an, auf Kunst von minoritären Gruppen wie Menschen mit Behinderung oder psychischen Krankheiten.

Ja, wir beziehen uns mit dem Bandnamen Art Brut sehr bewusst auf die Outsider Art und auch die New Yorker Antikunst-Bewegung der NO! Art. Als wir 2003 begannen, gab es einfach eine Menge Kunsthochschulbands. Wir wollten das Gegenteil davon sein.

In Ihrem neuen Song „Hospital“ singen Sie auch über einen kürzlichen Krankenhausaufenthalt. Was war da passiert?

Ich hatte eine Bauchfellentzündung. Das Problem ist: Ich gehe eigentlich nie zu Ärzten. Eine Weile ging es mir nicht so gut, ich dachte, ich hätte einfach eine Grippe, so neun Monate lang … (lacht) Meine Freundin überzeugte mich, zum Arzt zu gehen. Ich musste direkt ins Krankenhaus und wurde operiert. Es war wohl knapp, sagten die Ärzte. Aber weil ich kein Deutsch konnte, habe ich nicht verstanden, wie schlimm es wirklich war. Ich blieb einen Monat im Krankenhaus. Ohne WLAN. Ich bin verrückt geworden, das war der schlimmste Monat meines Lebens. Ich kam raus und sagte mir: Jetzt ernähre ich mich gesund, trinke nicht mehr und höre auf zu rauchen.

Und, haben Sie es geschafft?

Na ja, immerhin Letzteres. Und ich trinke nicht mehr so viel. Das liegt aber auch daran, dass ich mittlerweile Vater bin. Als ich nach Berlin kam, hatte ich keinerlei Verantwortung zu tragen. Ich ging jede Nacht in die 8mm Bar, habe im White Trash aufgelegt – jetzt lege ich nur noch ab und zu auf. Wenn ich heute etwas trinke, bin ich nach zwei, drei Bier betrunken. Mein Körper merkt den Unterschied.

Art Brut haben immer noch diesen eher witzigen Gestus, während Sie sich privat öfter dezidiert politisch äußern. Warum ging es bei Art Brut gerade in dieser Zeit nicht mehr in die politische Richtung?

Ich bin ein autobiografischer Songwriter. Und es braucht immer eine Weile, bis ich Dinge verarbeite. Ich habe jetzt schon begonnen, Songs für das nächste Album zu schreiben. Da wird es wohl viel um Politisches gehen, aber aus einer persönlichen Perspektive. Die Songs des aktuellen Albums habe ich zum Großteil auch vor dem Brexit und Trump geschrieben.

Nun ist Ihr neues Album eigentlich ein Break-up-Album und eines über das Sich-neu-Verlieben zugleich.

Ja. Ich dachte zuerst an ein Konzept­album. Ein Konzeptalbum über einen Mann, der nach Berlin zieht, sich von seiner Freundin trennt, eine neue Freundin kennenlernt … bis mir auffiel: Das ist einfach nur mein Leben, kein verdammtes Konzeptalbum!

Die Trennung hat Sie aber zunächst schon mitgenommen.

Bei jeder Beziehung, die lange andauert, ist es hart, wenn sie zu Ende geht. Auch wenn es die richtige Entscheidung ist. Und besonders, wenn beide gerade in ein anderes Land gezogen sind. Aber ich sah die alte Beziehung dann auch mit neuen Augen, stellte fest, dass wir sie schon viel früher hätten beenden sollen. Die Trennung hatte auch etwas Gutes: Ich konnte mich voll in das Leben in Berlin stürzen.

Sie sind so voller Berlin-Enthusiasmus. Das kennt man gar nicht mehr.

Ich liebe es hier. Aus einem einfachen Grund: Ich mag es, in Kneipen zu gehen und mich gut mit Leuten zu unterhalten. Die interessanten Leute kommen immer noch nach Berlin, seien es Künstler, Designer oder verrückte Australier.

Gibt es andere Berliner Musiker, die Sie kennen und schätzen?

Ich dachte zuerst an ein Konzeptalbum über einen Mann, der nach Berlin zieht, sich von seiner Freundin trennt, eine neue Freundin kennenlernt … bis mir auffiel: Das ist einfach nur mein Leben, kein verdammtes Konzeptalbum!

Ich liebe Element of Crime, und ich mag Gurr sehr gerne. Von den deutschen Bands mag ich noch meine Freunde The Robocop Kraus aus Nürnberg. Sie wollten mich damals, als ich aus London wegwollte, überzeugen, nach Nürnberg zu ziehen. Das hatte ich dann auch vor. Aber alle sagten: Nein, Eddie, du musst nach Hamburg oder Berlin. Berlin hat dann das Rennen gemacht. Zuerst lebte ich in Neukölln, dann im Wedding, jetzt in Pankow. Es ist eigentlich unglaublich, dass ich es hingekriegt habe, hierher zu ziehen. Ich bin ein sehr fauler Mensch.

Das Album-Artwork für „Wham! Bang! Pow! Let ’s Rock Out“ hat der Berliner Maler und Musiker Jim Avignon gezeichnet. Sind Sie mit ihm befreundet?

Ich kenne Jim noch gar nicht so lange. Wir sind uns bei der Show „Ein Hit ist ein Hit“ über den Weg gelaufen. Dort hat er ein Live-Painting gemacht. Ich hatte schon eine Idee für unser Cover, ich wollte ein klassisches Sixties-Artwork im Stile von „Days of Future Passed“ von den Moody Blues. Aber nicht als Kopie, sondern in neuer Form. Als ich Jim malen sah, dachte ich: Das ist perfekt dafür. Außerdem ist er Fan von Art Brut.

Sie selbst malen Cover-Artworks nach und verkaufen die Bilder. Wie kam es dazu?

Eigentlich fing ich damit an, um neue Musik zu entdecken. Ich hatte es satt, dass immer dieselben Platten in den Best-of-Listen der Musikjournalisten und Experten auftauchten. Also fragte ich alle möglichen Leute nach ihren persönlichen Lieblings­alben – und während ich sie hörte, zeichnete ich die Cover ab. Ich finde, das ist ein guter Weg, andere Musik kennenzulernen. Inzwischen habe ich rund 200 Bilder gezeichnet. Zu Weihnachten habe ich sie dann einmal verkauft, und das wurde dann ein Selbstläufer. Die Leute kaufen sie und hängen sie sich ins Wohnzimmer. Vielleicht will man auf diese Art und Weise zeigen, wer man ist. Früher sagte die Plattensammlung etwas über eine Person aus – heute schaut wohl kaum jemand die Playlisten am fremden iPad durch, um zu sehen, welche Bands jemand mag.

Während der Art-Brut-Pause haben Sie auch noch gemeinsam mit dem Zeichner Steven Horry den Super­helden-Comic „Double D“ veröffentlicht. Was fasziniert Sie an diesem Genre?

Ich habe Superhelden immer geliebt. Das Lesen von Superhelden­comics ist einfach ganz eng mit meiner Kindheit verbunden. Dass ich dann selbst einen schrieb, liegt an Steven Horry. Er hatte die Idee, die Geschichte eines übergewichtigen Jungen zu erzählen, der bei der Fettverbrennung Superheldenkräfte entwickelt. Die Geschichte auszuarbeiten war eine tolle Herausforderung für mich. Ich hoffe, wir werden die Reihe bald mit meinen eigenen Ideen fortsetzen.

Zum Abschluss: Haben Sie eine Message für Theresa May via taz? Ich gehe mal davon aus, dass sie diese Zeitung täglich liest.

Ja, das denke ich auch! Sie wird es mit Interesse lesen: „Was sagt Eddie Argos?“ – „Ah, er sagt: Lass das mit dem Brexit.“ Aber im Ernst: Es gibt einfach nichts Positives am Brexit. Ich hasse es, wenn die Leute sagen: „Wir haben es nun mal so beschlossen. Das ist Demokratie.“ Das ist nicht Demokratie. Demokratie ist es, kontinuierlich zu wählen, wenn sich Sachverhalte verändern. Der einzige Grund, warum die Leave-Fraktion Neuwahlen verhindern will, ist, weil sie weiß, dass sie verlieren würde. Sie stehen dem im Weg, was die Leute inzwischen wollen. Sie sind die eigentlichen Antidemokraten.

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