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Frauen, die den Spieß umdrehen

Abgründe der sozialen Medien: Die filmische Satire „Assassination Nation“ erzählt von den Exzessen des Onlinelebens und der ständigen Jagd auf Likes, Herzchen und positive Kommentare

Sam Levinson zieht in seinem zweiten Film alle Register

Von Michael Meyns

Man könnte sagen, dass der Verfall der US-amerikanischen Gesellschaft am 8. November 2016 begonnen hat, am Tag also, als die absurde Vorstellung eines Präsidenten Donald Trump Wirklichkeit wurde. Doch damit würde man es sich zu leicht machen, denn wenn man Trump nicht als Ursache allen Übels versteht, sondern als Folge einer seit Längerem fortschreitenden Entwicklung, kommt man zu einem anderen Ergebnis. Und so sollte man Sam Levinsons Satire „Assassination Nation“, die zwar ziemlich genau zwei Jahre nach Trumps Wahlsieg in die Kinos kommt, nicht als Reaktion auf Trump verstehen, sondern als Reaktion auf eine gesellschaftliche, moralische Entwicklung, die seit Langem an Fahrt gewinnt.

Schauplatz des Films ist Salem, nicht der historische Ort im US-amerikanischen Bundesstaat Massachusetts, wo Ende des 17. Jahrhunderts auf Grund von Gerüchten, Vorurteilen und falschen Verdächtigungen 20 Menschen wegen Hexerei hingerichtet wurden, sondern eine typisch US-amerikanische Kleinstadt der Gegen­wart. Hier wird nicht mehr mit der Bibel gedroht, hier regieren die sozialen Medien, hier können Tweets, Posts oder verfängliche Fotos Karrieren oder gar Leben zerstören.

In der High School Salem sind Lily (Odessa Young) und ihre drei besten Freundinnen Königinnen. Sie stolzieren in den genau richtigen Klamotten durch die Gänge, daten die richtigen Typen und scheinen unantastbar. Doch dann beginnt eine Reihe von Leaks das Leben in Salem aus den Fugen zu heben. Höchst verfängliche Fotos und Videos tauchen auf, vom Dekan der Schule, vom Priester und von anderen Figuren des öffentlichen Lebens, die sich stets als moralische Instanz geriert haben. Lily und ihre Freundinnen werden verdächtigt, Urheber der Leaks zu sein. Nicht aus stichhaltigen Beweisen, sondern einfach weil der Onlinemob ein Opfer braucht, das er in den eben noch unbescholtenen Mädchen gefunden hat.

Vom ersten Moment an zieht Sam Levinson in seinem zweiten Film alle Register, sowohl erzählerisch als auch visuell: Unzählige Trigger-Warnings stellt er seinem Film voran; vom Bullying über Drogenmissbrauch, Homophobie und Sexismus wird nichts ausgelassen. Social Justice Warriors und exzessive Auswüchse der Political Correctness – alles kommt vor, sie sind Teil der Exzesse eines Onlinelebens mit seiner ständigen Jagd nach Likes, Herzchen und positiven Kommentaren, die der Film als Ursache einer Leere und Oberflächlichkeit entlarvt, die zunehmend weite Teile der Kultur und Öffentlichkeit befällt.

Dass Levinson sich oft der Klischees bedient, die er eigentlich hinterfragt, ist wohl ein kaum zu vermeidendes Problem einer Satire wie dieser. Das „Assassination Nation“ auch mehr als blutig endet, dabei im Gegensatz zu den Hexenprozessen den verfolgten Frauen erlaubt, den Spieß umzudrehen, ist einerseits eine weitere pointierte Note. Andererseits werden spätestens hier die satirischen Motive fallen gelassen und machen Platz für eine fast schon tarantinoeske weibliche Racheorgie.

Als eskapistisches Finale funktioniert das zwar ausgezeichnet, die beißende Anklage des zunehmenden gesellschaftlich-moralischen Sittenverfalls, der nicht nur in den USA grassiert, gerät dabei jedoch ein wenig aus dem Blick.

„Assassination Nation“. Regie: Sam Levinson. Mit Suki Wa­terhouse, Bill Skarsgård u. a. USA 2018, 110 Min.

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