berliner szenen
: Mann, der für Zucker dankt

Ein vielleicht 50 Jahre alter Mann sitzt im Rollstuhl vor mir in der Schlange vom McCafé. Während wir warten, tippt er mich an und fragt etwas. Erst im dritten Anlauf verstehe ich, dass er die Zeit wissen will. Ich krame nach meinem Handy und sage: „Viertel vor vier.“ Er erklärt: „Bin gerade erst aufgestanden.“ Ich murmele: „Warum nicht?“, und schiele wieder auf mein Handy – ich habe nur kurz Zeit, hier etwas fertig zu schreiben.

Er bemerkt meine Eile nicht und fügt hinzu: „War bei Mama. Immer schön Wochenende. Kann man Mama und Papa kuscheln.“

Ich sehe ihn an und erinnere mich mit einem Mal, dass ich ihm vor ein paar Monaten schon einmal begegnet bin. Ich saß mit meinem Laptop an einer Bushaltestelle und war auch gerade unter Zeitdruck dabei, etwas fertig zu schreiben, als er mich ansprach: „Würdest du meine Hände halten? Ich fühle mich alleine, und das ist nicht schön.“ Kurz zögerte ich, dann wiederholte er seinen Wunsch: „Bitte nur einmal kurz anfassen für etwas Nähe.“

Ich wollte nicht so sein und gab ihm meine Hände. Er umklammerte sie ganz fest und lächelte dabei in sich hinein. Nach einer Weile aber wurde ich nervös und erklärte, dass ich weiterarbeiten müsse. Später beobachtete ich, aus dem Augenwinkel, wie andere ihm ihre Hände gaben.

Er bestellt einen Kaffee mit sieben Zucker und bittet mich, ihm beim Bezahlen behilflich zu sein.

Als er weg ist, sagt die junge Frau hinter dem Tresen: „Das ist einer unserer Stammkunden. Am Anfang wusste ich nicht, wie ich mit ihm umgehen soll. Mittlerweile wünschte ich, alle Menschen würden so direkt sagen, was sie denken. Neulich hat er mir eine Rose gebracht und meinte: ‚Für dich! Weil du schön bist und immer viel Zucker gibst.‘“

Eva-Lena Lörzer