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Eine Zeitraffererfahrung

Die 42. Duisburger Filmwoche, das Festival des deutschen Dokumentarfilms, war nach 33 Jahren das letzte Festival unter der Leitung von Werner Ružička

Von Carolin Weidner

Am letzten Tag der Filmwoche, nachdem alle Preise schon längst verkündet sind, gibt es noch einen finalen Film auf der Leinwand zu sehen: „Matte ­Wetter“ (1981) von Werner Ružička und Theo Janßen.

Es ist nicht irgendein Film und der zuerst Genannte auch nicht irgendein Regisseur: Ružička, der beinahe zur Ikone stilisierte Gastgeber der Duisburger Filmwoche, scheidet nach 33 Jahren als Festivalleiter aus dem laufenden Betrieb. Unzählige bekannte und weniger bekannte Filmschaffende haben sich in dieser Zeit jenem mitunter durchaus kritischen Duisburger Publikum gestellt, das sich traditionell nach der Filmvorführung versammelte, um das Gesehene zu diskutieren, zu loben, und auch um es auseinanderzunehmen.

In einer Publikation mit dem Titel „Zeitbomben. 30 Jahre Duisburger Filmwoche“ von 2006, erinnern sich dreißig Filmemacherinnen und Filmemacher. Darunter Harun Farocki: „Als ich am Nachmittag des nächsten Tages Duisburg wieder verließ, wusste ich nicht, in welcher räumlichen Beziehung der Festival-Ort zu meiner Unterkunft oder zum Bahnhof gelegen war, ich wusste nicht einmal, wie das Kino zu dem Raum gelegen war, in dem die Diskussion stattfand. Seit 1986 bin ich fast jedes Jahr auf der Filmwoche gewesen. Stets nur ein paar Tage, stets zur gleichen Jahreszeit, immer wieder die Begegnung mit den gleichen Leuten. Ein Stück Parallel-Leben, eine Zeitraffer-Erfahrung.“

Oder Roswitha Ziegler: „Wie wichtig Duisburg einmal für mich war, wie stolz wir (Wendländische Filmkooperative) waren, wenn ein Film von uns ausgewählt wurde und dort lief. Jahrmarkt der Eitelkeiten, hoffen und beben, Glückseligkeit, Enttäuschungen.“ Der Eindruck hat auf die Folgegeneration abgestrahlt: Roswitha Zieglers Tochter Rosa Hannah Ziegler hat 2018 ebenfalls einen Film im Programm – „Familienleben“.

Um sich zu spüren

Er beobachtet vier Menschen dabei, wie sie sich auf einem Hof im sachsen-anhaltischen Niemandsland durchschlagen, mit mal größeren, mal kleineren Blessuren. Ganz am Anfang beschreibt Alfred, Cowboyhut auf dem Kopf und etwas verschmäht in der Rolle des Familienoberhaupts, einen Gehkreis über das Hofgelände, die Kamera folgt ihm dabei. In diesem Kreis, sagt er, befänden sich alle zwischenmenschlichen Spannungen und könnten nicht entweichen. Sie stauen sich mehr und mehr auf und jedes Mal, wenn man versuche, aus dem Kreis auszubrechen, würde sich auch die Mauer erhöhen, die ihn umschließt. In „Familienleben“ fliegen die Fetzen; die Entwicklungen der einzelnen Personen verlaufen teils dramatisch. Das Quartett birgt beispielsweise zwei Schwestern, von denen sich eine den Körper aufschneidet, um sich zu spüren. Beide verlieben sich auch in denselben Jungen.

Derartige Entwicklungen sind von Duisburg her nicht bekannt. Dennoch ist das Bild des Kreises, der nach Betreten, ja Hineingeraten nur noch schwer zu verlassen ist, kein schlechtes. Schließlich befindet sich das Kino „Filmforum“ am runden Dellplatz. Von Umformungspotenzialen und -schwierigkeiten berichtet, pünktlich zum Festival aus der Druckerei kommend, auch ein Buch, das ein zweitägiges Gespräch dokumentiert: Matthias Dell und Simon Rothöhler, ein (Film-)Journalist und ein (Medien-)Wissenschaftler, haben sich im März diesen Jahres mit Werner Ružička getroffen, um die Genese der Filmwoche nachzuzeichnen.

Der sehr dichte Band namens „Duisburg Düsterburg. Werner Ružička im Gespräch“ (Verbrecher Verlag) blickt auf die Stadt im Ruhrgebiet alsBegegnungsstätte verschiedener, aus ganz Deutschland eintreffender linker Strömungen. Und nicht nur ihrer: Ästhetische Schulen und Lager bekriegen sich, lösen einander ab, gehen ein, geben auf. Ružička: „Plötzlich wollten alle Kunst machen und in die Galerien gehen. Das wurde dann aber nichts. Einiges konnten wir in unserem Duisburger Format gut spielen, manche Sachen waren dann aber auch so ein bisschen Micky Maus. Eine Mode wie mit den Doku-Soap-Serien.“

Und die neuen Moden des Dokumentarischen? Man ist offen, aber man zeigt auch gern Bewährtes, Wegbegleiter, Gestandene. 2018 war Volker ­Koepp („Seestück“) in Duisburg zu Gast sowie Rainer Komers. Mit seiner Begehung karger Zivilisationsrudimente inmitten der Mojave-Wüste in „Barstow, California“, unterlegt mit der Poesie des Häftlings Spoon Jackson, zählt er zu den Preisträgern dieser Ausgabe. Außerdem Ruth Beckermann („Waldheims Walzer“) und Andreas Goldstein – ebenfalls Preisträger mit „Der Funktionär“, einem persönlichen Herantreten an den Vater und ehemaligen DDR-Kulturminister Klaus Gysi. Nicht zuletzt Gerd Kroske­ („SPK Komplex“) und Peter Mettler und Emma Davie („Becoming Animal“). Auch Marie Wilkes „Aggregat“, der in überaus nüchterner und intelligenter Manier verschiedenste Handlungsrahmen- und Modi dieser Gesellschaft zeigt und damit aufdeckt (unter anderem ist eine Redaktionssitzung der taz Gegenstand des Films), wurde in Duisburg wenn nicht kontrovers, so doch zumindest gespalten rezipiert und schließlich mit dem Nachwuchspreis bedacht.

Und „Matte Wetter“? Der kündete von einer ganz und gar anderen Zeit, als zahlreiche Kumpel morgens das Auto aus der Garage lenkten, um bald darauf auf dem Parkplatz einer Zeche zu halten, das Grubenzeug überzustreifen und mit einem Fahrstuhl im Erdreich zu verschwinden. 2017 hat die letzte Zeche im Ruhrgebiet, Prosper-Haniel, ihre Kohlehobel ausgestellt. Ein Jahr später geht auch Werner Ružička. Seine Nachfolge wurde bisher nicht bekannt gegeben.

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