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Der schlesische Professor

Die Ausstellung über Otto Muellers Netzwerk in Breslau soll seine Verbindungen zu Künstlerfreunden und Akademiekollegen darstellen. Dieser neue Fokus ist gut, auch wenn man gern mehr Kunst von Mueller sähe

Otto Mueller, Knabe zwischen Blattpflanzen (Knabe im Schilf), 1912, Holzschnitt Foto: Dietmar Katz/smb

Von Lorina Speder

Es überkommt einen ein heimeliges Gefühl beim Betreten des ersten Raumes der Otto Mueller Ausstellung im Hamburger Bahnhof. Fast wie in einem privaten Wohnraum sind die expressionistischen Werke des Künstlers sowie die Arbeiten seiner Kollegen und Freunde, der Statue einer „Rückblickenden“ von Wilhelm Lehmbruck gegenübergestellt. Das Interieur lehnt sich an das ausgestellte Porträt des Kunsthändlers Ferdinand Möller aus dem Jahr 1948 an, auf dem sich die Statue wiederfindet, zusammen mit der eingerahmten Kunst Muellers im Hintergrund: Die charakteristischen, zackigen Pinselstriche, die mit wenigen Linien ganze Körper formen, lassen da keinen Zweifel.

Der Grafiker und Maler wurde 1874 in Schlesien geboren und zog 1908 nach Berlin, wo er sich der Künstlergemeinschaft Brücke und Kollegen wie Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff anschloss. Sie sind mit auf Mueller bezogener Kunst und Anekdoten im besagten ersten Raum der ­Ausstellung „Maler. Mentor. Magier. Otto Mueller und sein Netzwerk in Breslau“ vertreten. So erfährt man durch den in einer Vitrine gezeigten Text von Ilse Molzahn von dem nach Muel­lers Tod trauernden Schmidt-Rottluff in seinem Atelier. Oder man sieht Mueller mit Pfeife in einem ­Porträt von Kirchner abgebildet.

Die rostroten Töne im Kirchner-Gemälde von 1913 fallen neben Muellers Gemälden sofort auf. Denn dessen Werke bestechen nicht nur wegen ihres formtypischen Pinselstrichs, sondern auch wegen der besonderen Dunkelheit. Sein wohl bekanntestes Motiv der Badenden malte er oft mit Leimfarben. Sie sorgen für eine andere Farbigkeit, die seine Gemälde deutlich von den Werken anderer Künstler unterscheiden. Und Vergleiche zu anderen Künstlern bekommt man in der Ausstellung viele – besonders im nächsten Raum.

Dort geht es um Muellers weitreichendes Netzwerk seiner Zeit in Breslau, wo er in den 1920er Jahren eine Professur an der Staatlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe innehatte. Die 1920er Jahren erwiesen sich in der Kunst wie im Privatleben des schlesischen Professors als eine bewegte Zeit. Der in einer ausgesprochen kreativen Schaffensphase befindliche Maler und Grafiker durchlebte ein Hin- und Her in verschiedenen Liebesbeziehungen. Muel­lers turbulente Zeit stand dabei im Einklang mit dem regen künstlerischen Austausch an der Akademie, der mit den vielen Strömungen der Zeit einherging.

Breslau war Kulturmetropole und besonders die als weltoffen und liberal geltende Akademie mit ihrem Stilpluralismus wirkte einflussreich. Neben Muel­lers Expressionismus oder Alexander Kanoldts Neuer Sachlichkeit gab es Einflüsse des Bauhauses oder der französischen Peinture, die der spätere Direktor der Akademie Oskar Moll nach Breslau brachte. Beispiele der genannten Stile findet man in den ausgestellten Werken von Muellers Kollegen. Doch genau in der Menge dieser Gemälde, die ohne Referenzwerke Muellers an der Wand hängen, verliert sich das Auge. Obwohl es Ruhepunkte wie die Ecke von Alexander Kanoldts Porträts im Stil der Neuen Sachlichkeit gibt, wirkt die gezeigte Stilvielfalt überladen, und man wünschte sich, weitere Bilder Muellers zu finden.

Der Versuch, die Verbindungen von früher aufzuzeichnen, ist trotz des offensichtlich nicht gänzlichen Gelingens wichtig. Die künstlerische Geschichte der Stadt Breslau bekam 2016 im Rahmen der Kulturhauptstadt-Ernennung erstmals wieder Aufmerksamkeit. Dort wurde die Ausstellung über Otto Muel­ler mithilfe eines deutsch-polnischen Forschungsprojekts beschlossen. Anlässe für einen regen Austausch zwischen Berlin und Breslau, oder heute polnisch Wrocław, gibt es genug. 1931, kurz nach Muellers Tod, entstand schon einmal eine Wanderausstellung zwischen beiden Städten über den Expressionisten.

Die Nationalgalerie in Berlin arbeitete eng mit dem damaligen Schlesischen Museum der bildenden Künste in Breslau zusammen, doch nach der Schließung der Kunstakademie per Notverordnung 1932 und dem Zweiten Weltkrieg kam der Austausch zum Erliegen. Auch nach dem Krieg war Breslau während des kommunistischen Regimes in den 60er und 70er Jahren ein Zentrum für polnische Konzeptkunst, die gerade erst in der westlichen Kunstgeschichtsforschung entdeckt wird. Deshalb macht es Sinn, eine erste Brücke des neuen Austauschs zwischen Breslau und Berlin über Otto Mueller als frühen Protagonisten der Modernen Kunst zu spannen. Zu viele Querverbindungen zur polnischen Kulturstadt aus den letzten hundert Jahren sind im Westen noch nicht bekannt.

Bis 3. März, Hamburger Bahnhof Invalidenstr. 50–51, Di., Mi., Fr.: 10–18 Uhr, Do.: 10–20 Uhr, Sa., So.: 11–18 Uhr

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