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Neukaledonien sagt Nein

Eine deutliche Mehrheit votiert bei einer Volksabstimmung gegen die Unabhängigkeit von Frankreich. Schon in zwei Jahren könnte es eine Neuauflage des Referendums geben

Abstimmung am Sonntag in Nouméa Foto: Mathurin Derel/ap

Aus Paris Rudolf Balmer

Mit einer deutlichen Mehrheit von 56,4 Prozent haben die 174.000 Wahlberechtigten auf Neukaledonien am Sonntag die Erlangung einer „vollen Souveränität und Unabhängigkeit von Frankreich“ abgelehnt. Das Ergebnis entspricht weitgehend den Vorhersagen der Umfragen.

Bei näherem Betrachten widerspiegeln die Resultate des Urnengangs in den meisten Wahlkreisen die demografische Zusammensetzung: Wo die kanakische Urbevölkerung zahlenmäßig und politisch dominiert, gab es oft eine sehr große Zustimmung zur Loslösung von der französischen Métropole und historischen Kolonialmacht Frankreich.

Wo die Zugewanderten aus Europa, Asien und die Melanesier von den Nachbarinseln im Pazifik in der Mehrheit sind, wurde ebenso deutlich mit Nein gestimmt (43,6 Prozent). Die Kanaken repräsentieren noch etwa 40 Prozent der Einwohner. Die Beteiligung war angesichts der Bedeutung der Schicksalsfrage sehr hoch: Mehr als drei Viertel der Stimmberechtigten (80,63 Prozent) gingen wählen.

Für Staatspräsident Emmanuel Macron ist die Entscheidung eindeutig: „Ich empfinde heute einen immensen Stolz, denn eine Mehrheit hat sich für Frankreich ausgesprochen“, sagte er in einer feierlichen Erklärung wenige Minuten nach Bekanntgabe der Gesamt­ergebnisse. Für den französischen Staatschef gibt es nur einen Sieger, „den Geist des Dialogs“, und als Verlierer „den Hass und die Spaltung“.

Macron würdigte damit den politischen Dialog. Dieser war mit den Matignon-Verträgen von 1988 und 1998 mit den Vereinbarungen von Nouméa, der neukaledonischen Hauptstadt, unter der Patenschaft der Pariser Regierung von den Parteien und Vertretern der verschiedenen Bevölkerungsgruppen eingeleitet worden.

Die Abstimmung über eine volle Unabhängigkeit am 4. November 2018 war in diesem Prozess ein wichtiges Zugeständnis an die kanakischen Separatisten. Zuvor hatte Neukaledonien bereits eine weitgehende Autonomie erhalten, die den Lokalbehörden mehr Kompetenzen einräumt als in irgendeinem anderen französischen Überseegebiet rund um den Erdball.

Macron versicherte, der französische Staat habe die Abstimmung mit einer totalen Neutralität und Transparenz organisiert. Er dankte allen Parteien und Gemeinschaften für die loyale Respektierung der Regeln.

Im Vorfeld war vor allem die Frage, wer von den EinwohnerInnen stimmberechtigt sein solle, heftig umstritten. Sollten auch französische BürgerInnen, die erst seit Kurzem in Neukaledonien ihren Wohnsitz haben, mitreden dürfen? Aus Sicht der radikalsten Separatisten sollten nur die Mitglieder der Urbevölkerung entscheiden können.

Mehr als drei Viertel der Stimmberechtigten in Neukaledonien gingen wählen

Schließlich wurde ein Kompromiss gefunden, mit dem außer den Kanaken nur die seit Längerem ansässigen Europäer, Asiaten und Melanesier mitbestimmen durften. Sie sind aber zusammen eine Mehrheit. Auch unter den Kanaken, denen in den letzten Jahren ein Teil der seit der französischen Inbesitznahme von 1853 geraubten Stammesgebiete und deren Bodenschätze zurückerstattet worden ist, hat die Forderung nach einer Loslösung von Frankreich an Attraktivität eingebüßt.

Die Separatisten der Nationalen Kanakischen und Sozialistischen Befreiungsfront (FLNKS) reden bereits von der nächsten Abstimmung über die „volle Souveränität und Unabhängigkeit von Frankreich“. Die Vereinbarungen von Nouméa sehen vor, dass bei einem Nein die Abstimmung in zweijährigem Abstand ein zweites und drittes Mal wiederholt werden darf.

Damit soll verhindert werden, dass es aus Frustration über das Nein zur Souveränität zu gewaltsamen Konflikten wie in den 1980er Jahren kommt. Am Montag reist Premierminister Edouard Philippe zu Konsultationen nach Nouméa. Für ihn wurde am Sonntag über Neukaledoniens Zukunft abgestimmt und nicht über die „koloniale“ Vergangenheit.

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