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Ein zurückhaltendes Leben im Ungefähren

Wer die Bayern begreifen will, muss ihren Konjunktiv verstehen. Eine kleine Sprachkunde

Der Irrealis drückt einen möglicherweise nicht realen Umstand aus

Von Dominik Baur

Wir müssen mal wieder mit einem Vorurteil über die Bayern aufräumen. Da einzelne Exemplare der Gattung polternd, laut und mit geradezu überbordendem Selbstbewusstsein daherkommen, übersieht man gern, dass der gemeine Bayer ein differenziertes, fast skeptisches Verhältnis zur eigenen Existenz hat.

„I war jetz do“, also „Ich wäre jetzt da“, vermeldet er zum Beispiel gern den Vollzug seiner Anwesenheit. Er wählt dafür den Konjunktiv II, den Irrealis, sprich: Er ist sich nicht sicher, ob er wirklich da ist. Oder will sich zumindest die Option offenhalten, nicht da zu sein. Sein Dasein knüpft er an Bedingungen: Sollte es nicht zu meinen Ungunsten ausgelegt werden, wäre ich jetzt da. Ansonsten bin ich gleich wieder weg. Oder gar nicht da gewesen.

Sein oder nicht sein – das ist hier gar nicht so sehr die Frage, lautet eine andere ­Interpretation dieses Konjunktiv-Gebrauchs: Der Ir­realis solle weniger die eigene Existenz anzweifeln, sondern diene dazu, zurückhaltend aufzutreten, sich mit der eigenen Präsenz nicht aufzudrängen. „Ich wäre jetzt da, wenn es Ihnen genehm ist“, müsste man den Satz demnach vervollständigen. Allerdings bedürfte es dabei einer Erklärung, warum der Bayer in seinem gelebten Skeptizismus mitunter auch seine Umwelt in Frage stellt. „Wer warst jetz nachad du“, hört man ihn etwa fragen.

Der Irrealis, das ist nichts anderes als eine Ausdrucksform für einen nicht realen oder zumindest möglicherweise nicht realen Umstand, der mithilfe des Konjunktivs II gebildet wird. Hätte, könnte, wollte, wäre … Während das Hochdeutsche diverse Konjunktiv-Formen parat hält, ist es im Bairischen unübersichtlicher.

„Wenn ich einen Hund hätte, ginge ich mit ihm spazieren“. Im Hauptsatz wird dabei die Umschreibung „würde ich mit ihm spazieren gehen“ benutzt. Im Bairischen heißt es „gangad i mit eahm spa­ziern“, „gaang i mit eahm spaziern“ oder ­„gehad i mit eahm spaziern“. Und die Umschreibung gibt es – ganz würde-los – auch hier: „daad i mit eahm spaziern geh“; der Bayer würde nicht, er täte. Der Konjunktiv wird also meist mit dem Suffix „-ad“ gebildet: gangad, fragad, zoagad, wissad und grad so weiter. Ausnahmen? Gibt es. Etwa bei den Hilfsverben („war“, „häd“) und bei optionalen Varianten wie „gaang“.

Trifft der Konjunktiv auf passende Pronomina, entstehen beeindruckende Wortgebilde. Klassisches Beispiel ist der Satz „Wenn ich einen Schnupftabak hätte, schnupfte ich ihn“: „Wenn i an Schmei häd, schnupfaden“, „schnup­fadstn“ (du), „schnupfadan“ (er), „schnupfadman“ (wir), „schnupfadtsn“ (ihr), „schnup­fadnsn“ (sie). Nach einigen Mass Bier tun sich hier selbst Muttersprachler schwer.

Ein besonders schönes Konjunktiv-Beispiel hat der Dia­lektologe Ludwig Zehetner aufgetan: „dodaadadadadian“. Was klingt wie das leibhaftige „zweite Futur bei Sonnen­aufgang“ in Loriots Jodelseminar, würde laut Zehetner passieren, wenn man einen Blumenstock in die Sonne stellte, ohne ihn zu gießen: „Do daad a da dadian“ („Da täte er dir derdürren“).

Solchermaßen grammatikalisch gestärkt, wird auch ein im Realen verhafteter Nichtbayer der Begegnung mit einem baye­rischen Existenzialisten gewachsen sein. Daad er eahm oba ned versteng, gangad’s scho a; aber besser war’s scho, er verstandadn. Moanadn wenigstens mia!

Denn der Irrealis folgt uns bis in alle Lebenslagen. Selbst wenn es essentiell wird, ja vielleicht gerade dann, bleibt der Bayer im Ungefähren. Der Kabarettist Bruno Jonas zitiert hierfür eine landestypische Liebeserklärung:

Er: Wos daads denn du sogn, wenn i di frogn daad, ob du mi megn kanntsd?

Sie: Daadsd mi du frogn?

Er: Kannt scho sei.

Sie: Dann daad i wos sogn.

Er: Des woit i bloß wissn.

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