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Die nördlichste Kapelle Bayerns

Das Schloss Clemenswerth wurde vom Herzog von Bayern erbaut. Es steht im Dorf Sögel im Emsland. Unsere Autorin ist dort aufgewachsen

Von Frieda Ahrens

Auf dem Hümmling, im tiefsten Niedersachsen, wo die Umgebung eine Ansammlung von Dörfern ist, die Luft nach Gülle riecht und noch Platt gesprochen wird, dort steht ein kleines Stück Bayern: das Schloss Clemenswerth. Erbauen ließ es Clemens August, Herzog von Bayern. Dort komme ich her: aus Sögel. Ich bin aufgewachsen mit einem besonderen Stolz auf mein Dorf, da es mit dem Schloss etwas Besonderes hatte.

Fremde, die von außerhalb des Emslandes kommen, werden kaum wissen, wo das 7.000-Einwohner Dorf Sögel liegt. Sobald man aber sagt: „Da steht Clemenswerth“, kommen erkennende Ahs und Ohs und Ausrufe wie: „Ach, das mit dem schönen Weihnachtsmarkt!“ oder „Da war ich schon einmal auf einer Freizeit!“ Mein Dorf ist dadurch cooler als die anderen Dörfer im ganzen Emsland.

Clemens August, der nicht nur Herzog von Bayern, sondern auch Erzbischof und Kurfürst von Köln und Fürstbischof von Münster, Paderborn, Hildesheim und Osnabrück war, ließ das Schloss von 1737 bis 1747 bauen, als Architekten beauftragte er Johann Conrad Schlaun. Das Schloss ist als barocker Jagdstern gebaut, das heißt wenn man von oben auf die Anlage schaut, erinnert diese eben an einen Stern. Es ist die einzige noch erhaltende Alleesternanlage weltweit.

Schloss Clemenswerth

Der Architekt Johann Conrad Schlaun wurde beauftragt, das Schloss 1737 bis 1747 zu bauen. Er hat auch das Fürstbischöfliche Schloss Münster und die Schlösser Augustusburg entworfen.

Kurfürst Clemens August wurde im Jahre 1700 geboren. 1719 wurde er Fürstbischof von Münster und Paderborn, 1723 Erzbischof von Köln, 1724 Fürstbischof von Hildesheim, 1728 Fürstbischof von Osnabrück, 1732 wurde er zum Hochmeister des Deutschen Ordens gewählt. Er starb 1761 in Koblenz.

Der Namensteil „werth“ steht für Flussinsel. Der Name des Schlosses bedeutet also: Insel des Clemens. Das passt, da es sein Rückzugsort war.

Der Nachfolger als Herr von Schloss Clemenswerth war Max Friedrich (1708 –1784). Im Zuge der Napoleonischen Befreiungskriege ging die Anlage 1803 in den Besitz des Hauses Arenberg über. Seit 1972 ist Schloss Clemenswerth als Museum der Öffentlichkeit zugänglich.

Schon früh wird uns Söglern viel Wissen über das Schloss eingetrichtert. Johann Conrad Schlaun hat die ganze Anlage symmetrisch aufgebaut mit dem Schloss als Zentrum, das ist charakteristisch für den Barock. Der Park lässt sich quasi einmal spiegeln, wenn man die Allee Richtung Dorf als Achse nimmt. Um das Schloss herum stehen acht Pavillons, darunter eine Schlosskapelle mit angeschlossenem Kapuzinerkloster. Die Pavillons stehen für verschiedene Orte im Leben von Clemens August: Seine Bistümer Münster, Hildesheim, Osnabrück, Köln und Paderborn; den Sitz des deutschen Ordens in Mergentheim; ein Pavillon ist nach ihm benannt, auch wenn er bei seinen Besuchen im Hauptschloss gelebt hat.

Am aufregendsten waren immer die Schlossteiche am Ende der Grünfläche: Dort wurden wir beim Sportunterricht dazu gebracht, für die Note 1 die drei Teiche dreimal unterhalb einer Stunde zu umrunden. Die drei Teiche waren riesig.

Doch auch viele schöne Erinnerungen verbinden mich mit dem Schloss: „Das kleine Fest im großen Park“ findet hier einmal jährlich statt. Auch nachdem ich bei der gleichen Veranstaltung in Hannover in den Herrenhäuser Gärten, dem „Kleinen Fest im großen Garten“ war , behaupte ich immer noch, dass nichts das Kleine Fest bei uns übertrifft. In allen acht Alleen, die auf das Schloss hinführen, treten Künstler auf, das Fest endet mit einem Feuerwerk über den Schlossteichen.

Das Schloss mit dem Herrscher ist in die Mitte und ein Stockwerk höher gesetzt, während der Hofstaat darum herum in den Pavillons postiert wurde

Wenn man in Sögel und Umgebung wohnt, kommt man an Schloss Clemenswerth kaum vorbei: Es steht direkt neben dem Gymnasium, auf das Schüler aus den Dörfern des Landkreises gehen; einer der alten Pferdeställe wurde zur Jugendbildungsstätte umgebaut.

Sobald ein Einheimischer Besuch bekommt, führt er die Gäste meist mindestens einmal über das Schlossgelände und gibt beim Spaziergang durch die Alleen sein Halbwissen über das Schloss und den Kurfürsten preis. Clemens August gehörte zum Haus Wittelsbach, sein Vater war der Kurfürst Max Emanuel von Bayern und versuchte, seine Kinder möglichst klug zu positionieren, sodass die Wittelsbacher ihre Macht in Deutschland ausbreiten konnten. Als vierter Sohn wurde Clemens August für eine kirchliche Laufbahn bestimmt und nach Rom geschickt, um Theologie zu studieren.

Wenn man in der Mitte des Hauptschlosses steht und aus den Fenstern schaut, sieht man die Pavillons um das Schloss herum nicht. So ist der Blick auf die weiten Alleen frei. Richtung Dorf kann man bis zum Zentrum gucken und die Kirche sehen. Daran zeigt sich das Talent des Architekten Johann Conrad Schlauns, Architektur und die Landschaftskunst zu verbinden. Es war typisch für den Barock, solche Fluchtlinien zu haben. Das ganze Gelände sei „gebauter Absolutismus“ der damaligen Zeit, sagt Museumsdirektor Oliver Fock: Das Schloss mit dem Herrscher ist in die Mitte und ein Stockwerk höher gesetzt, während der Hofstaat darum herum in den Pavillons postiert wurde.

Clemens August hat das Schloss Clemenswerth als eine Art Sommerresidenz bauen lassen, zu der er gefahren ist, um mit Freunden Jagen zu gehen. Zu der Bauzeit war er auf dem Höhepunkt der Macht, aber gleichzeitig hatte er sich viele politische Feinde gemacht und stand unter ständiger Beobachtung. Das Schloss war drei Tagesreisen von seiner Residenzstadt Bonn entfernt und eignete sich so gut als eine Art Zufluchtsort: frei von politischer Verantwortung, im nördlichsten Teil seiner Territorien gelegen, um die Feste abzuhalten, die mit der Jagd damals einhergingen. Kurfürst Clemens August war bisexuell und vergnügte sich auf seinem Schloss sowohl mit Männern als auch mit Frauen.

Dass das Schloss ein Jagdsitz war, ist auch heute noch spürbar. Jährlich werden eine Schleppjagd und die Falknertage abgehalten. Auf die Schleppjagd habe ich mich als Kind sehr gefreut: Das Schloss war von edel angezogenen Reitern und schön geschmückten Kutschen umgeben. Die Zuschauer warteten gespannt am Rande der Allee, die zum Dorf führte. Mit einem Schuss wurden Jagdhunde losgelassen, die hinter eine vorher gelegte Fährte die Allee hinunter hetzten, gefolgt von den Reitern und Kutschen in wahnsinniger Geschwindigkeit, sodass man Angst hatte, die Kutschen würden auseinanderfallen.

Die Schleppjagd ist die Nachfolgerin der Parforcejagd, der Lieblingsjagd von Clemens August, bei der Reiter das Wild mit Hunden jagten. Deshalb wurde Sögel für den Ort des Schlosses ausgewählt: Wie auch bei der Sögestraße in Bremen ist „Söge“ das alte Wort für Sau. In den Wäldern um das Schloss war ein großer Bestand an Wild, vor allem an Wildschweinen. Die Alleen wurden für die Hetzjagden extra lang und weit gebaut. Das Wild mit Hunden zu jagen, ist seit den 30er-Jahren verboten. Als Ersatz wurde die Schleppjagd, bei der kein Wild mehr gehetzt wird, 1958 eingeführt.

Der bayerische Einfluss ist im Schloss sichtbar: Im Fußboden und bei dem Treppenaufgang des Hauptschlosses sowie im Wappen findet sich das typische Rautenmuster, auch Wecken genannt. Der Hauptsitz der Familie Wittelsbach war unter anderem das Schloss Nymphenburg in Bayern. Von außen erinnert das Schloss Clemenswerth an die Pagodenburg im Schlosspark der Nymphenburg. Und die Schlosskirche wird oft die „nördlichste Rokoko-Kapelle Bayerns“ genannt wegen ihrer Farb- und Formenpracht. Clemens August berief 1741 den Kapuzinerorden nach Clemenswerth, der bis heute in der dazugehörigen Klosteranlage sitzt und in der Kapelle noch regelmäßig Messen hält. Die Kapuzinermönche trifft man oft im Supermarkt beim Einkaufen oder auch mal beim Schützenfest in ihren Kutten.

Ich bin inzwischen aus dem Emsland weggezogen. Das Schloss aber ist immer noch da. Es hängt in meinem Zimmer in Bremen an der Wand: als Gemälde, als Foto und als Postkarte.

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