Kommentar von Jonas Wahmkow zu unethischer Medienberichterstattung: Fahndungsaufruf in Wildwest-manier
Wenn die Berliner Polizei nach Verbrechern sucht, hilft die Bild-Zeitung gerne mit. So geschehen wieder am Mittwoch, als das Boulevardblatt großformatig die Porträts von neun Tatverdächtigen abdruckte, die während der Revolutionären-1. Mai-Demo Straftaten begangen haben sollen. Auch andere Hauptstadtmedien verbreiteten den Fahndungsaufruf samt Bildern, darunter die Morgenpost der Berliner Kurier, die BZ und die Berliner Zeitung. Diese Art der Berichterstattung lässt am kritischen Selbstverständnis einiger Medien zweifeln.
Die Öffentlichkeitsfahndung gilt als eines der letzten Mittel, um Straftaten aufzuklären. Sie wird eingesetzt, wenn intern alle Maßnahmen erschöpft sind und die Behörden auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen sind. Normalerweise ist dies vor allem bei schweren Verbrechen wie Raub oder Mord der Fall, aber seit den Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg ist es bei der Polizei in Mode, auch nach straffällig gewordenen Teilnehmer*innen politischer Demonstrationen öffentlich zu fanden.
Für die Ahndung von Stein- und Flaschenwürfen ist diese Praxis unverhältnismäßig, zumal die 1.-Mai-Demonstration dieses Jahr die seit Jahren friedlichste war. Die Veröffentlichung von Fahndungsfotos stellt einen schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar. Denn noch vor jeder offiziellen Verurteilung werden die Verdächtigen dadurch öffentlich als Straftäter gebrandmarkt.
Die Pflicht der Medien, die sich gerne als Kontrollinstanz verstehen, wäre es, auf diese Problematik wenigstens einmal hinzuweisen. Stattdessen übernehmen Bild und Co. einfach die Informationen aus der Pressemitteilung der Polizei und fügen lediglich eine reißerische Überschrift hinzu, in denen die Verdächtigen als „Randalierer“ und „Chaoten“ vorverurteilt werden. Vielleicht sollten sich einige Kolleg*innen daran erinnern, dass sie nicht für die Pressestelle der Berliner Polizei arbeiten.
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